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Türkische Gastarbeiter der 60er-Jahre

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Von einem der auszog, um sich in Deutschland zu integrieren

1958 kam Tosun Merey als Student nach Deutschland. Er heiratete Maria aus Bayern, zog an den Chiemsee und gründete eine Familie, in der nur Deutsch gesprochen wurde. Doch seine Integration scheiterte, wie jetzt Can Merey in "Der ewige Gast" erzählt.

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Es war 1958, als Tosun Merey voller Hoffnungen in ein Flugzeug nach Deutschland stieg. Jetzt, 60 Jahre später, sitzt er wieder in Istanbul. Was war passiert? Mit großem Eifer hatte Tosun versucht, sich zu integrieren, lernte Deutsch, studierte und heiratete eine bayrische Bauerstochter. Er habe gerne in Deutschland gelebt, erinnert sich der inzwischen 78-Jährige. "Lange Zeit dachte ich, ich bin ein Teil des Systems. Ich muss mich aber vergleichen mit einem Kind, das farbig geboren wurde, das aber selbst nicht merkt. Wenn das Kind aber älter wird, merkt es, dass es doch irgendwie anders ist und dass die anderen das anders sehen. So erging es mir."

Nicht zugehörig - trotz Weißbier und Schweinebraten!

Obwohl er mit seinen Kindern nur Deutsch sprach, Schweinebraten aß, Weißbier trank und ausschließlich deutsche Freunde hatte, fühlte Tosun, dass er irgendwie nicht dazugehört. Daran änderte auch die deutsche Staatsbürgerschaft nichts, die ihm um ein Haar wieder aberkannt geworden wäre. Diskriminierung habe er eher indirekt erfahren: "Leute riefen mich aus Stuttgart an und wollten mit mir Englisch reden, obwohl ich ihnen immer sagte, dass ich ein Mitarbeiter bin und Deutsch kann. Aber das war bei denen so fest verwurzelt, dass ich nicht Deutsch könne, dass sie dann immer weiter Englisch gesprochen haben."

Can Merey, der Sohn von Tosun Merey, wuchs in Deutschland mit dem Gefühl auf, Deutscher zu sein. Heute lebt er in Istanbul – als Türkei-Korrespondent der Deutschen Presseagentur. Eigentlich, sagt er, wollte er nur die Lebensgeschichte seines Vaters aufschreiben. Doch dann habe er beim Schreiben gemerkt, dass er da seine Geschichte nicht ganz ausklammern könne, weil das natürlich alles zusammen hänge.

"Für mich hat sich verändert, dass ich gemerkt habe, wie sehr diese türkischen Wurzeln doch mein Leben geprägt haben. Ich glaube, ich habe das lange verdrängt und habe dann doch beim Schreiben gemerkt, wie oft das auch in meinem Leben eine große Rolle gespielt hat." Can Merey

Demokrat und Erdogan-Versteher

Beispielsweise bei der Wohnungssuche, wenn es hieß, wir vermieten nicht an Türken. Weil Vater und Sohn immer wieder leidenschaftlich über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation diskutierten, reicht Tosuns Lebensgeschichte bis in die Gegenwart und zeichnet ein sehr differenziertes Bild der deutsch-türkischen Beziehungen. Can Merey erzählt, er habe durch die Diskussionen mit seinem Vater und seine Arbeit an dem Buch mehr Verständnis bekommen für die Türken in Deutschland. Er habe verstanden, dass es in Deutschland eine kritische türkenfeindliche Grundstimmung gebe, die sich oft auch entlädt in einer Art Wut gegen dieses System Erdogan. "Das kann man natürlich und sollte man auch kritisch sehen, aber ich glaube, dass dieses Verhältnis auf deutscher wie auf türkischer Seite nicht rational, sondern emotional betrachtet wird und da spielt die deutsch-türkische Beziehung der vergangenen Jahrzehnte eine große Rolle."

Das geht soweit, dass sich Tosun in der Rolle des Erdogan-Verstehers wiederfindet. Obwohl er sich als ungläubig bezeichnet und große Stücke auf die Demokratie hält. "Ja, der tut mir auch nicht leid, aber ich denke auch, dass man ihn nicht immer gerecht behandelt. Natürlich kann man sagen, dass in der Türkei ein autoritäres System herrscht - diese Meinung habe ich - , aber oft wird etwas als falsch dargestellt, weil Erdogan es gesagt hat," sagt Tosun während er auf dem Sofa in der Wohnung seines Sohnes sitzt und auf den Bosporus schaut. Äußerlich macht der 78-jährige einen vitalen und zufriedenen Eindruck. Und doch ist er zumindest in einer Hinsicht ein gebrochener Mann: "Ich hätte vielleicht gar nicht nach Deutschland fliegen sollen, um da zu studieren", sagt Tosun und schluckt. Ja, heute fühle er sich wieder eher als Türke, aber das bedeute ja nicht, das er jetzt gegen Deutschland sei.

Das Buch von Can Merey: "Der ewigen Gast. Wie mein Vater versuchte, Deutscher zu werden" erscheint am 10. April im Blessing-Verlag.