Als Amanda das erste Mal durch das Elternhaus ihrer Quasi-Freundin Lily schlendert, ist sie minutenlang allein. Es gibt zwar Bedienstete in der Villa, aber die sind eher gesichtslose Geister, die im Bedarfsfall vorbeihuschen und jeden noch so kleinen Krümel wegputzen. In den zahlreichen Spiegeln sieht Amanda nur sich und das falsche Lächeln, dass sie sich schenkt. Eine Grimasse, die noch kälter ist als der Marmor im Eingangsbereich.
Rich Kids in Connecticut
Drei Leute wohnen in dem riesigen Anwesen irgendwo in Connecticut: die Highschool-Schülerin Lily, ihre Mutter und ihr Stiefvater. Das Familienverhältnis ist angespannt, da hilft der ganze Reichtum nichts. "Money can't buy me love", das wussten schon die Beatles. Mit Geld lassen sich aber Freundschaften in die Wege leiten. Das zumindest hofft eine Nachbarin. Sie bezahlt Lily, damit sie Zeit mit ihrer Tochter Amanda verbringt. Das funktioniert erst mäßig, dann immer besser. Sehr zum Missfallen von Lilys kontrollsüchtigem Stiefvater.
Schwestern im Geiste
Es dauert noch eine ganze Weile, aber dann zeigt sich: Amanda und Lily sind Schwestern im Geiste, dem arg lädierten. Sie sind ein Albtraumpaar, das mit dem Silberlöffel im Mund aufgewachsen ist und das dazu passende Messer hinter dem Rücken versteckt. Sie haben alles, was man sich wünschen kann. Nur Emotionen, die sind Mangelware in ihrem verwöhnten Dasein. Also beschließen sie, Lilys Stiefvater umzubringen
Regie-Debüt von Cory Finley
"Vollblüter" ist das Regiedebüt von Cory Finley. Eigentlich kommt der 29-jährige Wahl-New Yorker vom Theater. Das von ihm verfasste Drehbuch war als Bühnenstück gedacht. Das merkt man dem dialoglastigen Film Noir durchaus an. Ein Großteil der Handlung spielt sich in Lilys Elternhaus ab, immer wieder kommt Kammerspielatmosphäre auf.
Der Fokus liegt dabei ganz auf den beiden hochgradig dysfunktionalen Hauptfiguren und ihrer verbalen und nonverbalen Interaktion. Gespielt werden sie von Olivia Cooke und Anya Taylor-Joy. Beide sind Anfang 20 und haben sich in Indiefilmen, aber auch unter der Regie von Steven Spielberg beziehungsweise M. Night Shyamalan einen Namen gemacht – und beide stellen mit "Vollblüter" eindrucksvoll unter Beweis, dass sie zu jenen Nachwuchstalenten gehören, von denen man mehr sehen möchte.
Nur bedingt empfehlenswert
So vielversprechend das auch klingt: Empfehlenswert ist „Vollblüter“ nur bedingt. Denn als gesellschaftspolitischer Kommentar auf eine mental aus der Bahn geworfene Generation funktioniert der Psychothriller nicht. Zu elitär und strikt eingegrenzt ist der Mikrokosmos, in dem sich die Handlung bewegt, Interesse an der Außenwelt besteht nicht. Und wirklich nachvollziehen lassen sich die Beweggründe der beiden Teenager auch nicht. Insofern ist "Vollblüter" zwar ein stilistisch gut umgesetzter Tanz am soziopathischen Abgrund, wer jedoch nach tieferen Aussagen sucht, entdeckt hinter der glattpolierten Oberfläche nur gähnende Leere.