Beim Treffen im Moskauer Kreml
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Lässige Pose: Putin und Xi Jinping

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"Verstehe den Rummel nicht": So verspotten Russen Xi Jinping

Teils befremdet, teils ironisch reagieren russische Blogger und Medien auf den Besuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Moskau. Dabei werden wenig schmeichelhafte Vorurteile verbreitet: "Chinesen machen niemals etwas zu ihrem Nachteil."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Geschwätz ist eine Alterserscheinung", schimpfte ein russischer Leser des St. Petersburger Portals "Fontanka" wenig gnädig über die Begegnung von Xi Jinping (69) und Wladimir Putin (70). Ein anderer schrieb aufgebracht, die Chinesen bekämen ja gerade siebzig Prozent Rabatt auf Gaslieferungen, da stelle sich durchaus die Frage, was eigentlich Russland davon habe. Mit Blick auf den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gegen Putin war von einem Diskutanten der Spott zu lesen, Xi habe Putin vermutlich "seine Rechte als Angeklagter" erläutert. Ein kremlnäherer Leser fragte indigniert zurück, ob denn irgendjemand "innige Küsse" und die feierliche Überreichung eines Zobelmantels erwartet habe.

"Wer ist das?"

Sogar die Chefredakteurin des Propagandasenders RT, Margarita Simonjan, trug eine für Xi wenig schmeichelhafte Anekdote bei. Simonjan will eine Assistentin gebeten haben, wegen der Ankunft der chinesischen Delegation die Moskauer Stauwarnungen im Auge zu behalten: "Du weißt doch, Xi ist angekommen." Die Antwort der Assistentin: "Wer ist das?" Simonjan will sie daraufhin als "fromme Einsiedlerin" bezeichnet haben.

Begeisterung klingt irgendwie anders: "Ich verstehe den Rummel um den Besuch des Genossen Xi in Russland nicht, mit der übertriebenen Wichtigtuerei und der schmeichlerischen Tonlage", schreibt ein populärer Militärblogger mit 300.000 Followern in seinem Telegram-Profil. "Die Chinesen werden niemals etwas zu ihrem Nachteil tun. Und nicht nur die Chinesen denken so pragmatisch. Nur wir Russen können es uns offenbar leisten, zu unserem eigenen Schaden vorzeitig eine Offensive zu starten, um den westlichen Verbündeten zu helfen." Xi Jinping sei zum "Feilschen" nach Moskau gekommen, so der Netzkommentator. Wenn Putin etwas erreichen wolle, müsse er wohl Zugeständnisse machen.

"Gibt leider kein anderes Rezept"

Auch Russland könne die wichtigste Grundregel der Weltpolitik nicht außer Kraft setzen: "Sie werden immer dann von Verbündeten und Freunden umgeben sein, solange Sie stark und reich sind. Es gibt leider kein anderes Rezept, das sich empfiehlt." Letztlich gelte weiterhin der berühmte Ausspruch des Zaren Alexander III. (1845 - 1894), wonach Russland nur zwei wirkliche Verbündete habe: Seine Armee und seine Marine: "Wir können uns nur auf uns selbst verlassen."

Das der Privatarmee Wagner nahestehende Portal "Grauzone" meint hämisch, außer "unrentablen Öl- und Gasprojekten und der Einfuhr unserer Rohstoffe" habe China bisher wenig zum Wohlergehen Russlands beigetragen. Xi wurde als "Pu der Bär" verspottet, außer "förmlichen Äußerungen" und ein paar Tagen Beifall werde das Treffen nichts bringen: "Die Chinesen sind 'Brüder', solange es für sie von Vorteil ist und sie damit den Einfluss der Vereinigten Staaten schwächen können, mehr nicht. Alle Zuwendungen an die geschwächte politische Führung Russlands erfolgen nur in ihrem eigenen Interesse, unter anderem um zu verhindern, dass durch die Vereinigten Staaten eine weitere Quelle der Instabilität in der Region entsteht."

"Braucht Peking das?"

Russland müsse trotzdem dankbar sein, denn außer "ein paar Afrikanern" habe es keine Verbündeten mehr: "Anscheinend reicht es den Patrioten, Rohstoff-Lieferant und politisch abhängig zu sein, und alle, die den chinesischen Jade-Löffel nicht mögen, sind demnach Verräter."

Blogger Vladlen Tatarsky (560.000 Follower) schraubt seine Erwartungen ebenfalls nach unten: "Aus irgendeinem Grund erwarten viele von Xis Besuch in Moskau eine Einigung über den Ukraine-Krieg. Es ist nicht ganz klar warum. Ja, selbst wenn Russland es jetzt nötig hätte, was könnte Peking Kiew anbieten, was Washington der Ukraine nicht bieten kann? Warum sollte Selenskyj am Vorabend einer groß angelegten Gegenoffensive, bei der er die Grenzen der Krim erreichen will, den Konflikt einfrieren?"

Es sei "unwahrscheinlich", dass China nennenswert Einfluss nehmen könne: "Vielleicht können sie uns Waffen liefern, vor allem unbemannte Systeme und die Produktion von lenkbarer Artilleriemunition. Aber braucht Peking das? Was werden wir ihnen dafür geben, was sie sich noch nicht genommen haben?"

"Krieg" der Dolmetscher

Der stets sehr satirisch aufgelegte Andrej Kolesnikow vom liberalen Wirtschaftsblatt "Kommersant" macht sich über Putins Schwärmerei für Peking lustig. Der russische Präsident hatte angedeutet, er sei "etwas neidisch" auf Xi: "Ja, Wladimir Putin ist definitiv ein Fan eines solchen Systems, das er bei uns vielleicht noch einführen möchte; dazu wird er in der einen oder anderen Form noch die Sowjetunion brauchen. Das heißt, alles, was jetzt passiert, ist irgendwie logisch." Offenbar habe sich Xi im Kreml "gleich zu Hause gefühlt", so demonstrativ wie er es sich in seinem Sessel bequem gemacht habe. Ein Kreml-Vertrauter habe ihm zugeflüstert, jetzt werde "alles entschieden", so Kolesnikow, der "seufzend" anfügte: "Muss es denn sofort sein?"

Verwundert stellte Kolesnikow fest, wie wenige chinesische Journalisten angereist seien, normalerweise kämen sie doch "zu Tausenden". Mit seiner hervorragenden Beobachtungsgabe will der "Kommersant"-Kolumnist überdies einen skurrilen "Krieg der Dolmetscher" wahrgenommen haben. So war der chinesische kurzzeitig nervös, weil der russische augenscheinlich entschlossen war, auch Xis Worte zu übersetzen: "Dann drehte sich der chinesische einfach triumphierend um, sprach laut, deutlich und in einem so herrischen und gebieterischen Ton, dass es mir von diesem Moment an schien, als seien die Verhandlungen nicht bilateral, sondern sogar trilateral. Der chinesische Übersetzer wollte darin eine wichtige Rolle spielen."

"Reptil so schnell wie möglich zertreten"

Der kremlnahe Politologe Sergej Markow stellte klar, dass die Ukraine in den ersten Gesprächen zwischen Putin und Xi "überhaupt nicht wichtig" gewesen sei: "Denn aus der Sicht Chinas und Russlands ist nicht der Krieg in der Ukraine das wichtigste Ereignis der Weltpolitik, sondern der Versuch der Vereinigten Staaten und der amerikanischen Koalition, ihre Hegemonie weltweit zu etablieren." Es gehe für Xi und Putin darum, das "Reptil so schnell wie möglich zu zertreten."

"Xi betrachtete sorgfältig seine Füße"

In den auflagenstarken "Moskowski Komsomolez" (MK) wird irritiert darüber berichtet, wie "bescheiden" der Empfang von Xi in Moskau gewesen sei. So wurden ihm am Flughafen nicht mal Brot und Salz überreicht, wie es sonst bei Staatsgästen üblich ist. Das "Seltsamste" sei gewesen, dass auch keine Frauen in Folklore-Tracht anwesend waren. Offenbar sei die Atmosphäre "rein geschäftsmäßig", die Chinesen hätten sich "übertriebenen Protokollaufwand" verbeten. Dass auf dem Rollfeld am Flughafen Wnukowo nur chinesische Medien zugelassen waren, verwunderte die Russen ebenfalls. Es wird auch erwähnt, dass Putin das letzte Mal 2004 persönlich zum Flughafen fuhr, um einen Staatsgast zu begrüßen: Das war damals bei Gerhard Schröder der Fall.

Über Xis Auftritt beim Aussteigen aus dem Regierungsjet schrieben die MK leicht befremdet: "Als er die mit Teppich ausgelegte Treppe hinabstieg, betrachtete er sorgfältig seine Füße. Und erst ganz am Ende hob er seine Augen zu denen, die ihn begrüßten." Bei einer Visite in Usbekistan sei der chinesische Staatsgast noch mit halbstündigen Tänzen und "begeisterten", fahnenschwenkenden Volksmassen empfangen worden: "Warum hat Xi beschlossen, auf besondere Aktivitäten [wie sie sonst bei einem Staatsbesuch üblich sind] zu verzichten? Der Kreml deutet an, dass er von einer überaus anstrengenden innenpolitischen Agenda erschöpft ist, schließlich ging in Peking gerade der Nationale Volkskongress zu Ende."

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