Die Nachricht ist wenig überraschend, gleichwohl vielsagend: Laut russischer Nachrichtenagentur TASS sprach Wladimir Putin eine "Einladung" an den Dirigenten Valery Gergiev aus, er solle sich Gedanken darüber machen, ob er neben dem Mariinski-Theater in St. Petersburg mit mehreren Spielstätten, darunter auch ein neues Haus in Wladiwostok, zusätzlich noch das Bolschoi-Theater in Moskau übernehmen könne. Eine derartige Entscheidung würde Gergiev (68) zum allrussischen "Super-Generalintendanten" machen und an zaristische Zeiten anknüpfen, als beide Häuser der kaiserlichen Theaterverwaltung angehörten.
"Strafaktion" für das Bolschoi?
Bemerkenswert an der Äußerung Putins, der nach eigenen Worten "Gerede" vermeiden will: Der "Noch"-Intendant des Bolschoi, Wladimir Urin (75), hatte sich anders als Gergiev früh und entschieden gegen den Krieg ausgesprochen. Einige herausragende Stars hatten das Theater verlassen, darunter Primaballerina Olga Smirnova. Es sieht also nach einer "Strafaktion" für das traditionsreiche Haus aus.
Das Angebot Putins kann natürlich als besondere Wertschätzung nach dem Rauswurf Gergievs als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker gesehen werden. Der Maestro hatte sich geweigert, sich vom Angriffskrieg auf die Ukraine zu distanzieren und trotz Ultimatums seitens des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) eisern geschwiegen. Gergiev gilt seit langem als enger Freund und Vertrauter von Putin und zählt zu den bestbezahlten Dirigenten weltweit.
Gergiev: "Tradition stärken"
Gergiev selbst zeigte sich offen für eine Großtheater-Fusion unter seiner Leitung: "Ich denke, dass die Tradition dadurch gestärkt wird. Unglaubliche junge Sänger und Tänzer füllen jetzt die Bühnen beider Theater auf. Wahrscheinlich ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie man die Bemühungen koordinieren kann."
Er erinnerte im Gespräch mit Putin daran, dass sogar in schwierigsten Zeiten über eine Gesamtverantwortung für beide Theater nachgedacht worden sei: "Ich erinnere mich sehr gut, wie ein einstündiges Gespräch mit Viktor Tschernomyrdin, dem damaligen russischen Ministerpräsidenten, inmitten der schwierigsten und anstrengendsten Vorkommnisse im Nordkaukasus stattfand. Damals dachten wir darüber nach, wie wir vielleicht die Kräfte bündeln und die Verantwortung des Staates zeigen könnten. Es scheint mir, dass dies vielleicht weitreichende und wertvollste günstige Möglichkeiten haben kann." Das klingt ganz danach, dass Gergiev sich geschmeichelt fühlt und längst zugestimmt hat.
Vorwurf an westliche "Eliten"
Putin geißelte in seiner Rede vor jungen Kulturschaffenden die angebliche "Cancel Culture" des Westens gegenüber der russischen Kultur, verwies auf die Änderung von Konzertprogrammen und wollte ein "Verbot" russischer Autoren wahrgenommen haben: "Das letzte Mal wurde eine solche Massenkampagne zur Vernichtung anstößiger Literatur von den Nazis in Deutschland vor fast neunzig Jahren durchgeführt." In Russland seien "Bücherverbrennungen" nicht vorstellbar.
"Heute versuchen sie, ein ganzes, tausend Jahre altes Land, unser Volk, abzuschaffen", so Putin. "Ich spreche von der fortschreitenden Diskriminierung von allem, was mit Russland zu tun hat. Mit der vollen Duldung und manchmal Ermutigung der herrschenden Eliten."
Im gleichen Atemzug verglich er die Lage Russlands mit der "Ausgrenzung" der britischen Bestseller-Autorin JK Rowling, die wegen ihrer Äußerungen zur Transsexualität seit Monaten kritisiert wird. Die Schriftstellerin wehrte sich prompt per Twitter gegen diese Art "Solidarität" aus dem Kreml: "Die westliche 'Cancel Culture' sollte womöglich nicht von denen kritisiert werden, die momentan Zivilisten abschlachten, nur weil sie Widerstand leisten und die ihre Gegner einsperren und vergiften."
Der Beitrag der russischen Kultur zur "Entwicklung der Weltzivilisation" sei "von unschätzbarem Wert", so Putin: "Seit Jahrhunderten haben russische Meister der Literatur, Musik und bildenden Kunst der Menschheit nicht nur neue ästhetische Traditionen, sondern, was sehr wichtig ist, jene Ideale und Bedeutungen gegeben, die sie zu moralischen, geistigen Richtlinien für Millionen von Menschen, für ganze Generationen gemacht haben." Die "Wahrheit" über Russland werde dessen Kultur hoffentlich in die Welt hinaustragen.
Putin: "Hollywood hat Zweiten Weltkrieg falsch dargestellt"
Gleichzeitig kritisierte der Präsident, Hollywood und "japanische Schulbücher" hätten jahrzehntelang die Geschichte des Zweiten Weltkriegs "falsch" dargestellt, insbesondere die Rolle der Roten Armee: "Wie Sie wissen – dessen sind wir uns durchaus bewusst – wurden zum Beispiel in Hollywood immer wieder Filme veröffentlicht, in denen die Vereinigten Staaten als einziger Sieger über den Nationalsozialismus bezeichnet wurden. Die Rote Armee wurde entwertet und für selbstverständlich genommen, obwohl sie einen entscheidenden Beitrag leistete - man schaue sich nur die Zahl der Militäreinheiten an, die an der Ostfront auf deutscher Seite kämpften."
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