Uwe Tellkamp, Schriftsteller
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Erster Roman nach 14 Jahren: Autor Uwe Tellkamp

    Uwe Tellkamps "Der Schlaf in den Uhren": Eine einzige Qual

    14 Jahre nach seinem mit dem Deutschen Buchpreis gekrönten Bestseller "Der Turm" veröffentlicht Uwe Tellkamp seine lange angekündigte "Fortschreibung" - die im Gegensatz zum Vorgänger beim Lesen regelrecht Schmerzen bereitet.

    Man weiß gar nicht, wo anfangen, so fassungslos steht man vor diesem Verhau von einem Roman. "Ladenblei", das Wort auf Seite 685, hat man sich angestrichen, in der Gewissheit, dass dieses Ding so schwer wie Blei in den Buchläden liegen wird. Denn die Lektüre ist, man muss hier gleich mit der Tür ins Haus, eine einzige Qual, eine Pein. Es bereitet einem ernsthaft Schmerzen, das lesen zu müssen. Uwe Tellkamp hat sich völlig verrannt. Ihn leitet das blanke Ressentiment. Er hat die Kontrolle über sein Material, er hat die Herrschaft über seine Kunst – das Geschichtenerzählen, die Literatur – verloren. Wir sehen ihn erbarmungslos scheitern unter dem grellen Licht der "Jupiterlampen der Öffentlichkeit", wie er sie in "Der Schlaf in den Uhren" nennt.

    Abstruse Verschwörungserzählung

    Es geht in diesem Roman um vieles, unter anderem auch um einen berühmten Autor der Bundesrepublik, der die DDR als "kommode Diktatur" bezeichnet. Bei Uwe Tellkamp heißt dieser Großschriftsteller Oskar Brock, aber es ist klar, wer gemeint ist: Günter Grass, der diese Formulierung 1995 in "Ein weites Feld" prägte. Bekanntlich einer der schlechtesten Deutschland-Romane der jüngeren Vergangenheit. Missraten, weil Grass glaubte, seine Leser politisch belehren und damit über alle Maßen langweilen zu müssen. Exakt das ist auch das Problem Uwe Tellkamps. "Der Schlaf in den Uhren" ist eine Verschwörungserzählung über "die sogenannten Hauptstrommedien" und deren "vertikale Beeinflussung" durch die Regierung, den "Machtkomplex", kurz: "die politmediale Maschinerie, die Journalitik (statt Journalistik)". Eine im Geheimen agierende "Tausendundeinenachtabteilung", so liest man in diesem modernen Märchen, sorgt dafür, dass im Jahr 2015 streng kanzleramtskonform an der "Wahrheitskrümmung, -unterdrückung, -steuerung, -färbung" gearbeitet wird - mittels "lücken- und lügenhafter und blödsinniger Berichterstattung". In diesem Telegram-Stil sind weite Teile von Tellkamps Roman abgefasst.

    Angela Merkel wird zur Roman-Karikatur

    Angela Merkel hat die zweifelhafte Ehre, sich in Tellkamps Figur Anne Hoffmann karikiert zu sehen, und der 53-jährige Tellkamp ist sich wahrhaftig nicht zu schade, darin seinen eigenen Fall zu erwähnen, "bei dem er 95 Prozent der Flüchtlinge bezichtigte, zu uns nur der Sozialleistungen wegen zu kommen". Sein alter ego heißt wie schon im "Turm" Fabian Hoffmann, wobei er sich im neuen Roman ebenso in der zu polemischen Ausfällen neigenden Schriftstellerin Judith Schevola spiegelt, die irgendwann den Verlag wechseln muss – wie Tellkamp, als er einst wegen Unstimmigkeiten von Rowohlt zu Suhrkamp ging. Dem war die Publikation seines umstrittenen Romans "Der Eisvogel" (2005) vorausgegangen, in dem ein gewisser Wiggo Ritter auftrat, der einem im neuen Tellkamp nun wiederbegegnet.

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    "Der Schlaf in den Uhren" von Uwe Tellkamp

    Tiraden gegen Grüne und Journalisten

    So wie auch andere bekannte Tellkamp-Figuren hier wiederauftauchen: Eduard Eschschloraque zum Beispiel, oder Meno Rohde. Ja, im Namenerfinden macht dem Tellkamp keiner was vor: Brünhild Tobisch. Jurko Siegfried Filipetti-de Glurić. Ferenc Rainer de Manko-Bük. Karlfriede Sinner-Priest. Holger Rockenbeck-DeJeune. Iwailo Scholze. Namenskaskaden sind auch so ein Merkmal dieses nahezu unlesbaren Buchs. Und die Abteilungsleiterin beim "Amt für Migration und Fortschritt" heißt, haha, Hüdanur Halabzadeh. Ja, da lacht die AfD. Unser Uwe, so ein Schelm aber auch! Gib den "Journalunken"! Reden doch eh alle in "Goebbelszungen" über diesen "Amf-Krampf". Pardon, das sind alles nur Zitate aus diesem Buch. Man fragt sich: Ist das jetzt wirklich noch Figurenrede? Auch, wenn über die Grünen hergezogen und einander zugeraunt wird, "dass man mit Hülsenfrüchten vom Acker der politischen Korrektheit nicht wirklich dorthin kommt, wo es ungemütlich wird, aber interessant"?

    Mehr Pamphlet als Roman

    In jedem Fall hat der Pamphletist Tellkamp in diesem Roman, mit einer der dem Autor so lieben nautischen Metaphern sei’s gesagt, das Ruder fest in der Hand - zum Entsetzen des Lesers. "Oft blätterte ich mit zögernden Fingern um und zog mein Gesicht vom Blatt zurück, da ich die Vorstellung nicht loswerden konnte, dass hinter der Seite, die meine Finger ergriffen hatten, ein Springteufel hockte, der nur darauf lauerte, mir kreischend in die Augen zu hüpfen." Dieser Satz beschreibt recht genau die Lektüre-Erfahrung des Rezensenten. Aber was sind schon die "Lesebedürfnisse irgendwelcher Fööljetongpiefkes"! Gegenfrage: Was soll uns derlei "Literatengesülz"? Muss man Sascha Lobo, Jakob Augstein und Til Schweiger nun Bescheid geben, dass sie ohne ihr Zutun in einen äußerst üblen Kolportage-Roman geraten sind? Soll man Maybrit Illner, Anne Will und Sandra Maischberger verständigen, dass sie darin selbdritt zur literarischen Figur Regula Manz, ihres Zeichens "Königin der Polittalkshows" vom "Fernsehberg", verschmolzen sind? Besser nicht. Besser, man beschäftigt sich gar nicht mehr damit. Dieses Buch beleidigt unsere Intelligenz.

    Uwe Tellkamp: Der Schlaf in den Uhren. Archipelagus I. Roman. Suhrkamp. 904 Seiten. 32 Euro. Das Buch erscheint am 16. Mai.

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