Viel Lärm um nichts. Kein Skandal, kein Tumult, kein Protest, kein Geschrei, ja noch nicht einmal zaghafte Unmutsäußerungen waren während des jetzt nachgeholten Vortrags von Marie-Luise Vollbrecht zu hören. Auch der Hörsaal blieb entgegen den Erwartungen nur halb gefüllt. Ein beträchtlicher Teil der Zuhörer waren Kamerateams, Journalisten und Fotografen, wobei Marie-Luise Vollbrecht gar nicht die Fragen der Journalisten beantworten wollte und darauf verwies, dass sie später bei YouTube in einem Livestream zu sehen sein werde.
Sie sprach ebenso wenig auf der wegen ihr angesetzten Diskussionsrunde, wofür sie mehrere Gründe angab: "Also erstens mir ging es immer nur um die Vermittlung von Grundlagenwissen der Biologie und mein Vortrag der ist korrekt und ich finde, dass meine Person und meine Meinungsäußerung außerhalb der Universität irrelevant sind für den Inhalt meines Vortrags."
Sturm im Wasserglas?
Des weiteren sei ihr das Podium zu unausgewogen und zu voll. Und dann ging es mit dem Vortrag los. "Ihr kennt ja eigentlich alle den Vortrag schon", beginnt Vollbrecht, und tatsächlich haben sich über 120.000 Menschen inzwischen ihren Vortrag auf YouTube angeschaut, "dann kommen wir mal wieder zu den Seeanemonen. Es freut mich auch sehr, dass Deutschland ein größeres Verständnis von Seeanemonen hat."
Worum es aber eigentlich in dieser aufgeladenen Debatte der letzten Tage überhaupt ging, wurde allerdings weniger ersichtlich. Marie-Luise Vollbrecht sprach über die Strategien der Evolution bei der Fortpflanzung, angefangen bei von den Seeanemonen bis eben zur zweigeschlechtlichen Fortpflanzung unter anderem beim Menschen. Das war tatsächlich korrekt und daran war nichts transfeindlich oder sonst wie feindlich. Es war lediglich ein wenig simpel, das heißt stark eingeengt auf die Fortpflanzung, als sei alle Entwicklung in der Natur nur diesem einzigen Zweck unterworfen.
Die Provokation lag eher in ihrer Haltung: Als müsse man diese wenig neuen Erkenntnisse der Gesellschaft erst noch erklären. Danach Ortwechsel von der Humboldt-Universität Unter den Linden in den Audimax einen halben Kilometer weiter bei der Charité.
Neben dem Präsidenten der Humboldt-Universität, Peter Frensch, war der Doktorvater von Marie-Luise Vollbrecht, Rüdiger Krahe gekommen. Der laut eigener Aussage gezwungen war, "mal ziemlich weit über meinen Tellerrand hinauszuschauen". Weiter waren eine Wissenschaftshistorikerin anwesend, ein Jurist, die Wissenschaftsministerin, dazu Heiner Schulze vom schwulen Museum und eine Transaktivistin. Zwar waren anders als in dem Vortrag zuvor jetzt tatsächlich beide Lager der Debatte im Publikum vertreten, trotzdem ging es äußerst ruhig und gesittet zu.
Mission "Schadensbegrenzung": erfolgreich
Das Ziel der Humboldt-Universitätsleitung, mit dieser Diskussionsrunde vor allem Schadensbegrenzung zu betreiben und die Debatte wieder einzuhegen ging vollständig auf. Der Vertreter der kritischen Juristinnen, die die Proteste angekündigt hatten, einigte sich mit seinem Unipräsidenten, dass sie ja gleichermaßen in der Presse schlecht weggekommen seien.
Auch die per Videostream anwesende Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger, die die Humboldt-Uni für die Absage oder Verschiebung des Vortrags stark attackiert hatte, rudert jetzt wieder zurück: "Deswegen finde ich es gut, dass die Universität gewährleistet, dass der Vortrag jetzt stattfinden kann, ohne sich mit den Inhalten gemein zu machen. Obwohl ich die Inhalte jetzt gar nicht im Detail kenne."
Und das war eben das größte Manko. Man sprach wenig konkret und eher allgemein über die Wissenschaftsfreiheit. Wie ein weißer Elefant stand unausgesprochen die die eigentlich Frage im Raum: Wieso erregt einige Menschen wie Marie-Luise Vollbrecht das neue Selbstbestimmungsgesetz – das das alte Transsexuellengesetz abgelöst hat – so sehr, dass sie sich als eifernde Aktivistin mit dann durchaus fragwürdigen Behauptungen jenseits der Wissenschaft engagiert. Mit der Folge, dass aber auch die Gegenseite so übersteigert darauf reagiert.
Die BR KulturBühne – ein Platz für Konzerte, Events, Debatten und auch großes Vergnügen. Hier geht's lang!
Aktuelle Debatten, neue Filme und Ausstellungen, aufregende Musik und Vorführungen... In unserem kulturWelt-Podcast sprechen wir täglich über das, was die Welt der Kultur bewegt. Hier abonnieren!