Jörg Pauly (links) und Yael Hahn
Bildrechte: Sebastian Beck/Komödie im Bayerischen Hof

Erfolgspaar: Erol Oturan und Melanie Pfaff sind das Super-Doppel

    "Türke" im Tennisclub: Polit-Komödie "Extrawurst" in München

    Ein neuer Grill muss her im Sportheim, aber es gibt ein Problem: Der einzige Muslim im Verein will keinen Kontakt zu Schweinefleisch. Braucht er also einen Extra-Grill? Die Debatte ist so unterhaltsam wie überraschend - und sprengt den Club.

    Welches Kompliment könnte schmeichelhafter sein? "Bin gespannt, wie es ausgeht", sagt in der Pause ein Zuschauer erwartungsvoll zur Begleiterin. Endlich mal eine Komödie, bei der nicht von Anfang an klar ist, welche Pirouetten die Handlung drehen wird und ob es tatsächlich ein Happy End gibt. Soviel sei verraten: Dieses Stück ändert alle fünf Minuten mit quietschenden Reifen seine Richtung, und es macht richtig Spaß, diesem Kampf der Kulturen über die volle Runden-Zahl gebannt zu folgen.

    Alle Achtung, wie es die Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob schafften, mit ihrer "Extrawurst" so ziemlich alle deutschen Ängste vor Migration und kultureller "Überfremdung" abzuhandeln, und zwar so, dass das Publikum mal verblüfft, mal verstört, mal überrascht, mal erschrocken und mal erleichtert ist. Deutschlandweit, sogar im verwöhnten Berlin, gab es dafür bereits viel Lob, das Stück entwickelt sich zum Hit und kann es durchaus aufnehmen mit der Filmadaption "Willkommen bei den Hartmanns".

    Eifersucht ist fast schon eine Erleichterung

    In welcher Boulevardkomödie geht es schon um Ausländer- und Muslimfeindlichkeit, die AfD, Schwule und Vegetarier, autoritäre Vereinshierarchen und devote Mitglieder, Atheisten und Bekehrte? Da ist es fast schon eine Erleichterung, dass zwischendurch auch ein bisschen Eifersucht "dran" kommt und Streicheleinheiten verteilt werden. Liebe allerdings, die bleibt doch weitgehend außen vor.

    Der einzige "Türke" im Tennisclub Lengenheide ist eigentlich ein Deutscher und völlig unkompliziert. Zwar isst er wegen seiner tiefreligiösen Frau kein Schweinefleisch, doch er legt keinen Wert darauf, dass deshalb extra für ihn ein zweiter Grill angeschafft wird. Hilft aber nichts: Die Debatte im Vereinsvorstand darüber geht trotzdem los, denn seine höchst erfolgreiche "Doppel"-Partnerin Melanie Pfaff möchte Flagge zeigen und plädiert "aus Freundschaft" und Toleranz für die Anschaffung eines zweiten Geräts, damit muslimische Gäste ohne Bedenken am Sommerfest teilnehmen können.

    Bildrechte: Sebastian Beck/Komödie im Bayerischen Hof

    Ganz in weiß: Vorstand in Aktion

    Vereinschef Dr. Heribert Bräsemann (Gerhard Wittmann) will die Sache natürlich kurz und knapp abhandeln, bietet sogar an, einen ihm geschenkten Grill zur Verfügung zu stellen, doch so einfach ist die Sache nicht: Ist das nicht Diskriminierung, wenn Menschen mit Migrationshintergrund ihre Würste auf einem Behelfsgrill rösten, während die Deutschen daneben ein Luxusmodell nutzen? Und überhaupt: Soll Religion im Tennisclub überhaupt ein Thema sein? Und warum sollen Regeln geändert werden, die sich doch Jahrzehnte "bewährt" haben? Nehmen sich die "Türken" etwa eine Sonderrolle heraus, wo doch die Italiener in Deutschland auch nicht klagen?

    "Das wird man ja noch sagen dürfen"

    Furios führen die Mitwirkenden (Thomas Stegherr, Jörg Pauly, Heiko Rupprecht und Yael Hahn) vor, wie scheinbar lapidare Meinungsverschiedenheiten eskalieren. Der schnöselige Werbetexter ist gar nicht so liberal, der übereifrige zweite Vorsitzende fühlt sich als gläubiger deutscher Christ im eigenen Land verfolgt, der Chef vom Ganzen will die Situation permanent mit einem Witz entschärfen, die Frau fühlt sich für ihr Engagement missachtet und der "Türke" hat mit Erdogan so wenig zu tun, das allen der Mund offen steht, vor allem, als er über Anatolien schimpft.

    Könnte heikel sein, denn nach jedem zweiten Satz droht "politischer" Applaus. Doch der kommt überraschend selten und milde. Rechte Sprüche gibt´s auch gar nicht, sondern lediglich solche, die als "rechte" missverstanden werden könnten oder aus Wut in die Welt geschossen werden. Alltag eben, wie er in Deutschland gang und gäbe ist: "Das wird man ja noch sagen dürfen!"

    Großartig, wie Regisseur Michael von Au diese zwei Stunden am Laufen hält und das Tempo (und die "Zumutungen") stetig steigert. Am Ende darf das Publikum übrigens abstimmen, was den Grill betrifft, aber da ist der schon fast vergessen und andere Dinge sind viel wichtiger geworden.

    Bildrechte: Sebastian Beck/Komödie im Bayerischen Hof

    Verein in der Krise

    Für ein Boulevardtheater ist so ein Stoff ein Risiko, schließlich erwartet das Publikum in der Regel seichte Herzschmerz-Unterhaltung mit zuverlässig gutem Ausgang. Doch die Begeisterung war groß, zurecht, denn hier funktionierten die Dialoge, hier passten die schnippischen Einwürfe, hier war die Realität mit am Tisch. Und das Büfett im Sportheim, das wurde tatsächlich bis zum Schluss nicht eröffnet, was in Deutschland ja sowieso die größte anzunehmende Katastrophe ist. Zumal der Nudelsalat anfangs fast schon zeremoniell aufgetragen wurde.

    "Neuanfang" ist immer gut

    Ein unbedingter Tipp für alle, die sich mal auf beschwingte Weise mit sehr störrischen Themen befassen wollen und alle Vorurteile plötzlich von unten und oben, rechts und links beleuchtet finden. Das macht Effekt, gute Laune und ist auf der Höhe der Zeit. Wie es ausgeht, bleibt selbstverständlich unausgesprochen, aber ein "Neuanfang", der könnte uns allen gut tun, so die Botschaft - immer wieder!

    Bis 24. Juli in der Komödie im Bayerischen Hof in München.

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