Die Pianistin Fania Durmashkin, links, und ihre Schwester, die Sängerin Henia Durmashkin, gehörten zum jüdischen DP-Orchester.
Bildrechte: Archiv Sonia Beker/USHMM

Die Pianistin Fania Durmashkin, links, und ihre Schwester, die Sängerin Henia Durmashkin, gehörten zum jüdischen DP-Orchester.

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Trotziges Überlebenszeichen: Das Displaced-Persons-Orchester

Kurz nach dem Krieg gründeten jüdische "Displaced Persons" in Landsberg ein eigenes Orchester. Vor 75 Jahren reiste Leonard Bernstein nach Landsberg, um sie zu dirigieren. Ein Jubiläum, das nun mit einer Veranstaltungsreihe gewürdigt wird.

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Sie wollten nach Amerika, nach Israel oder nach Australien. Aber noch saßen sie fest im Land der Täter. In den KZs hatten sie Musik gemacht, mussten für die Nazis aufspielen. Nach der Hölle der Lager waren sie nun "Displaced Persons", Staatenlose - aber sie gründeten ein Orchester. Im Mai 1948 war Leonard Bernstein bereits ein junger Star. Und jetzt sollte er kommen, um sie zu dirigieren. Sonia Bekers Eltern waren unter den Musikern: "Meine Eltern und überhaupt alle Orchestermitglieder waren außer sich vor Freude. Dieser Besuch verschaffte ihnen Geltung und Respekt, weil Bernstein extra zu diesem Konzert angereist kam. Er hatte selbst nach einem Orchester aus Überlebenden gefragt und sie hatten ihn nach Landsberg geführt. Alle Musiker waren so stolz. Fühlten sich nach all den schrecklichen Erlebnissen von ihm erkannt, weil er auch jüdisch war. Ich glaube, sie spielten wie nie zuvor. Und legten ihr ganzes Herz und ihre Seele in ihr Spiel."

Trotziges Überlebenszeichen

Sonias Bekers Eltern hatten sich im Ghetto von Vilnius kennen gelernt. Als Überlebende des Holocaust lebten sie nach der Befreiung in Landsberg, einem von insgesamt 200 DP-Camps in Bayern. Das 1945 gegründete Orchester war für sie - wie für alle Mitmusiker - ein Lebenszeichen, ein trotziges Überlebenszeichen. Immerhin trat das Orchester stets in gestreifter Häftlingskleidung auf. Untereinander sprach man Jiddisch. Es war Leonard Bernstein, der sie bei seinem Besuch aufforderte, sich mit Hebräisch auseinanderzusetzen – der Sprache, die man in Israel sprechen würde. Dem Staat, der ein paar Tage nach Bernsteins Besuch gegründet wurde.

"Meine Eltern müssen damals ganz unterschiedliche Gefühle gehabt haben. Sie waren ja wie viele Orchestermusiker noch sehr jung. Und weil sie überlebt hatten, besaßen sie viel Hoffnung und versuchten voranzukommen. Andererseits war in ihnen das Bewusstsein des Verlusts von Freunden und Verwandten verankert. Das muss ein regelrechter Mix widersprüchlicher Gefühle gewesen sein. Am Ende war es vor allem ihre Vitalität als junge Musiker, die sie nach vorn blicken ließ.

Anknüpfen ans frühere Leben

Tatsächlich reisen Bekers Eltern Ende der 1940er Jahre nach Amerika aus. Sonia Beker lebt heute in Brooklyn. Vor ein paar Jahren hat sie ein Buch geschrieben. In "Symphony of Fire" setzt sie sich mit der Geschichte ihrer Eltern auseinander – ihrem Überleben in den Lagern als Musiker: "Musik hatte dann sicherlich eine heilende Wirkung auf sie. Und diese Wirkung übertrug sich auch aufs Publikum, auf andere Überlebende, die zu den Konzerten kamen, auch auf die amerikanischen Soldaten. Es gab da sicherlich diesen 'Circle of healing'. Vor allem für die Überlebenden bot das Konzert die Möglichkeit, an das anzuschließen, was vor der Verfolgung ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen war. Und was ihnen genommen worden war. Und hier saßen sie nun also und hatten die Chance durch Musik an ihr früheres Leben anzuknüpfen.“

Sonia Beker besucht Landsberg zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre. Seit Längerem erinnert die Städtische Musikschule mit ihrem Jugendorchester an das DP-Orchester, das sich 1949 auflöste. Und spielt Stücke, die auch damals zum Repertoire des Orchesters gehörten. Zum Beispiel: George Bizets "Farandol". Um zu erzählen, was vor 75 Jahren in Landsberg geschah. In Landsberg wird vom 11. bis 14. Mai an das Ereignis erinnert, das durch die Staatsgründung von Israel zum Doppeljubiläum wird. Mit einer Ausstellung, einem Musikworkshop, Talks - und natürlich einem Jubiläumskonzert.

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