Das geplante Selbstbestimmungsgesetz soll allen Menschen die Möglichkeit geben ihr Geschlecht selbst festzulegen. Bereits ab 14 Jahren. Die Feministin Alice Schwarzer schlägt Alarm: "Trans ist jetzt Mode. Und das ist das, was uns zutiefst beunruhigt. Und da möchten wir einfach den jungen Leuten sagen: In den meisten Fällen seid ihr einfach nur sauer über die Geschlechterrolle. Bist du ein Junge, der kein Bock hat, ein Held zu sein? Bist du ein Mädchen, das keinen Bock hat, Prinzessin zu sein? Und pass mal auf, diese Rollen, dafür sind wir Feministinnen angetreten, die schaffen wir sehr gerne ab. Und dann kannst du dich als freier Mensch bewegen. Also, wir müssen die ernsthafte Transsexualität von dem Unbehagen an der Geschlechterrolle unterscheiden."
Ganz anders sieht das der Musiker und Autor Henri Maximilian Jakobs: "Es wird ja alles immer so ein bisschen dargestellt, als wäre das so eine Laune und ein kurzes Unglück, das man hat. Aber so ist es ja nicht. Also, alle Menschen, die ich kenne, die trans sind, haben einen immensen Leidensdruck und ein immenses Unglück und einen derartigen Hass auf diesen Körper, der einem eben zufällig gegeben wurde, der nicht zu ertragen ist."
Wer bestimmt über seinen Körper?
Für viele Transmenschen ist die körperliche Angleichung an das von ihnen gelebte Geschlecht essentiell. Das neue Selbstbestimmungsgesetz soll es einfach machen, den eigenen Personenstand, also den Geschlechtseintrag, in allen relevanten Dokumenten zu ändern. Ohne ein Vetorecht Dritter, etwa der Eltern. Alice Schwarzer kann das nicht nachvollziehen: „Selbstbestimmt, ein 14-jähriges Kind? Ja, im Trubel seiner Entwicklung, seiner Pubertät, seines Erwachsenwerdens? Da haben wir doch die Verantwortung beratend zu begleiten und zu sagen: Wenn du das jetzt denkst, ok, bleiben wir ganz ruhig. Denk mal, was du willst, solange nicht gehandelt wird. Dann sprechen wir uns mal in vier Jahren wieder: Kuck doch einfach, wie das Leben ist."
Die Publizistin Nora Eckert hat in "the little queer review" umgehend auf Alice Schwarzer reagiert. Sie glaubt sehr wohl, dass 14-Jährige für sich entscheiden können: "Ich finde es auf jeden Fall in Ordnung, und zwar aus dem einfachen Grund: Es ist ja nicht so, wie das immer dargestellt wird, dass ich heute in eine Beratung, in eine Trans-Beratung gehe, morgen eine Therapie beginne und übermorgen im Operationssaal liege. Das ist eine vollkommen absurde Vorstellung."
Geschlechtsangleichungen sind lange Prozesse
Es sind viele Stufen bis zur Geschlechtsangleichung zu überwinden. Beratungsgespräche, Therapien und Gutachten. Und viele Entscheider reden mit. Ziel der Ampel-Koalition ist es, das Transsexuellengesetz, das 1981 in Kraft trat, zu ersetzen. Wer eine Namens- und Personenstandsänderung beantragte, musste ein Begutachtungsverfahren durchlaufen. Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrages waren: die Zeugungsunfähigkeit (also Kastration oder Sterilisierung) und die Zwangsscheidung, weil es die gleichgeschlechtliche Ehen noch nicht gab. Diese und weitere Hürden wurden durch höchstrichterliche Urteile als verfassungswidrig gekippt. Weil es sich um nicht akzeptable Fremdbestimmung gehandelt habe, sagt die Aktivistin Julia Monro: "Wir wissen ja am besten selber, wer wir sind. Und deshalb finden wir das so übergriffig, wenn andere Menschen über mich entscheiden wollen, wie ich zu leben habe, wie ich mich zu geben habe, wen ich heiraten darf, ob ich überhaupt heiraten darf, wie ich meinen Körper gestalten darf und so weiter. Das alles ist ein sehr starker Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Und das wird als Bevormundung empfunden."
Christopher Street Day September 2021 in Oldenburg
Die Bundesregierung will das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Der Entwurf dazu hat Alice Schwarzer so provoziert, dass sie nun eine Streitschrift herausgegeben hat: "Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?" Schwarzer traut den 14-Jährigen nicht zu, ihr wahres Geschlecht zu erkennen und die richtige Entscheidung zu treffen: "Wir sind in der Verantwortung diesen Kindern gegenüber. Können denen nicht solche solche sexualpolitischen Moden überstülpen."
Alice Schwarzer spricht von "sexualpolitischen Moden"
Die Aktivistin Julia Monro wünscht sich mehr Verständnis: "Das ist nicht irgendeine kurzzeitige Phase, das ist keine Irritation. Es ist auch kein psychisches Problem. Die Irritation entsteht viel eher dadurch, dass eine Gesellschaft uns eine Norm aufdrücken möchte, der wir so nicht entsprechen."
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Sagt das Grundgesetz. Jeder Mensch sollte selbst über sich bestimmen dürfen. Aber ab welchem Alter? Der Streit darüber hat gerade erst begonnen.
Der Sammelband "Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift" von Alice Schwarzer und Chantal Louis (Hrsg.) erscheint heute bei Kiepenheuer & Witsch.
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