Ein aus dem Wasser springender Wal
Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Elaine Thompson

Weiblicher Orca Wal vor Kanada

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Tom Mustill über einen Zusammenstoß und "Die Sprache der Wale"

Der Brite Tom Mustill, einer der renommiertesten Natur- und Tierfilmemacher, hatte vor gut sieben Jahren einen Zusammenstoß mit einem Wal. Seitdem treibt ihn das Tier so rum, dass er der "Sprache der Wale" nun ein ganzes Buch gewidmet hat.

"Wenn man seine Finger reinsteckt, knabbern die Fische daran." Tom Mustill hält eine Hand in seinen Gartenteich und schon berühren die Goldfische seine Finger. Hier am Teich hat der englische Natur- und Tier-Filmemacher den Großteil seines Buchs "Die Sprache der Wale" geschrieben. Der Anlass: Am 12. September 2015 schnellte ein Buckelwal aus dem Wasser einer kalifornischen Bucht hervor und fiel auf das Kajak, in dem Mustill und eine Freundin saßen.

Der nachhaltige Zusammenstoß

Wie durch ein Wunder überlebten beide unverletzt. Ich habe den Zusammenprall in einem Miniatur-Modell nachgebaut, mit einem Kajak aus Kork, zwei Lego-Figuren und einem Riesensegel, auf dem ein Buckelwal abgedruckt ist, und lasse das Modell im Gartenteich schwimmen: "Mein Gott! Das ist toll! Dass das Kajak jetzt zur Seite kippt, trifft die Sache sogar besser. Oh, jetzt ist es gesunken. Jetzt sind die beiden Menschen zusammen mit dem Wal unter Wasser. Genau so ist es mir ergangen."

"Ein Tier, dreimal so schwer wie ein Doppeldeckerbus. Können Sie sich vorstellen, wie es aussieht, wenn so etwas über Ihnen dräut? [...] Ich weiß noch, dass mir die Furchen am Hals auffielen. Bauchfalten, dachte ich bei mir. Und das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich unter Wasser bin." Aus: Die Sprache der Wale

Können wir künfig mit Walen kommunizieren?

Danach beschäftigte sich Mustill wie besessen mit Walen. Er drehte einen Dokumentarfilm auf der Suche nach demjenigen Wal, der auf ihn drauf gefallen war. Wie gern hätte er diesen Wal gefragt, warum er so aus dem Wasser gesprungen war. Wäre das – die Kommunikation mit Walen – in Zukunft vielleicht sogar möglich? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch dieses bemerkenswerte Buch.

Neue Technologien revolutionieren die Walforschung. So werden mit Saugnäpfen so genannte Tags an den Tieren angebracht. Sie zeichnen ihre GPS-Daten auf, aber auch ihre vertikale Bewegung im Wasser, ihre Laute und Gesänge, und liefern außerdem Videobilder. Plötzlich können wir Menschen die Welt aus der Perspektive der Wale sehen. Auch kann die Künstliche Intelligenz helfen: "Die Künstliche Intelligenz ist sehr gut darin, Muster zu erkennen", sagt Mustill. Die KI wird es uns ganz leicht ermöglichen, Deep Fakes von Wal-Kommunikation zu generieren. Wir könnten das sofort tun. Für einen Wal würde es klingen, wie wenn ein anderer Wal spräche. Wir wissen nicht, was dieses Deep Fake dann sagen würde. Vielleicht wäre es bedeutungsloser Quatsch. Wir sollten darüber diskutieren, ob wir das wirklich wollen. Denn wir könnten die Wale dadurch verstören."

Nur die Oberfläche der Tierkommunikation

Nach der Lektüre dieses Buchs empfindet man Wale und andere Tiere geradezu als seine Brüder. Auch, weil Mustill uns den bisher grausamen Umgang von Mensch mit Tier vor Augen führt. Der sei nur möglich, weil der Mensch vergesse, dass auch er ein Tier sei. Und auch, weil wir die Kommunikation anderer Tiere noch nicht deuten könnten: "Wenn man verstände, was ein Tier sagt, etwa eine Schimpansen-Mutter, die ihr Baby verloren hat und es zurückhaben will, würde man so viel für sie empfinden", sagt Mustill. "Wenn man Videoaufnahmen von Schweinen in Schlachthöfen mit Untertiteln sähe, mit dem, was sie sagen, würde es wohl jedem schwerer fallen, Schweine zu essen."

Aber können wir wirklich in Zukunft mit Walen sprechen? Tom Mustill sieht in seinen Gartenteich, auf dessen Grund die Goldfische am gesunkenen Kajak-Modell vorbei schwimmen, an den beiden Lego-Figuren und dem Segel mit dem aufgedruckten Buckelwal: "Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass wir gerade erst an der Oberfläche der Tierkommunikation gekratzt haben. Weil ich um die Komplexität der Muster weiß, die in der Walkommunikation gefunden wurden, würde es mich sehr wundern, wenn das, was sie da verwenden, nicht so etwas wie eine Sprache wäre. Es würde mich sehr überraschen, wenn die technischen Werkzeuge, die wir benutzen, uns nicht erlaubten, dem auf den Grund zu gehen. Mein Instinkt sagt mir, Menschen und Wale würden sich verständigen."

Tom Mustill: "Die Sprache der Wale. Eine Reise in die Welt der Tierkommunikation" ist übersetzt von ‎ Christel Dormagen bei Rowohlt erschienen.

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