Matthias Lilienthal hatte schon im Frühjahr 2018 angekündigt, seinen Vertrag an den Kammerspielen nicht zu verlängern. Am Residenztheater begann die letzte Spielzeit von Martin Kušej. Und Christian Stückl wurde bis 2025 als Leiter des Volkstheaters bestätigt, nachdem sich die CSU über Stückls und Lilienthals Teilnahme an der #ausgehetzt-Demo erregt hatte und Neutralität von den öffentlichen Theatern forderte.
Christian Stückl: "Wir dürfen nicht wegschauen als Theatermacher"
"Ich hab das Gefühl, dass wirklich sehr viel los war dieses Jahr. Im Sommer haben wir uns noch mit der CSU gestritten, weil wir zu der Demo #ausgehetzt aufgerufen haben. Ich frag mich immer noch, warum die sich da so stark angegriffen gefühlt haben. Wahrscheinlich waren die recht nervös, weil die Bayernwahl immer näherkam. Tatsächlich haben auch wir in unseren Sitzungen viel mehr über Politik diskutiert als in den Jahren davor. Wir dürfen da einfach nicht wegschauen als Theatermacher. Wenn wir nicht mehr mitkriegen, was draußen passiert, dann laufen wir verkehrt durch die Welt. Wir müssen darauf reagieren.
Es gab auch so viel Erfreuliches in diesem Jahr. In Oberammergau habe ich für die Passionsspiele 2020 Jesus, Judas, Maria und Kaiphas und Pilatus bestimmt. Mein Vertrag am Volkstheater wurde dann doch bis 2025 verlängert, und wir haben mit dem Bau des neuen Schauspielhauses begonnen. Wir sind total im Zeitplan, und wenn es so weitergeht, können wir tatsächlich ab 2021 ins Schlachthofviertel umziehen. Gerade gibt es richtig viel zu tun, weil wir jeden Scheinwerfer und jede Steckdose bestimmen sollen und darüber nachdenken müssen: Wollen wir mal einen roten oder einen schwarzen Theatervorhang? Wir werden im Gegensatz zu hier* dann drei große Bühnen haben, die wir bespielen können. Da brauchen wir mehr Schauspieler, müssen also wachsen. Ich freue mich schon sehr auf das, was da auf uns zukommt."
* dem bisherigen Standort des Volkstheaters in der Brienner Straße in München
Matthias Lilienthal: "Ich bin der CSU zu tiefstem Dank verpflichtet"
"Ich liebe das Jahr 2018. Auch wenn ich bei der Bayernwahl noch darauf gehofft hatte, dass da mal eine neue Regierung zustande kommt, die den bayerischen Beamtenapparat so richtig durchrüttelt. Da hatte ich dann doch einen leichter Kater danach, als klar wurde, dass am Ende doch wieder 60 Prozent konservativ gewählt haben. Trotzdem bin ich der CSU zu tiefstem Dank verpflichtet. Mit dem Versuch, den Kammerspielen im Sommer das Demonstrieren zu verbieten, hat die CSU dafür gesorgt, dass die #ausgehetzt-Demo dann doppelt so groß wurde, wie sie wahrscheinlich sonst geworden wäre. Dabei hat mich besonders gefreut, dass es den klaren Schulterschluss gab zwischen Christian, Martin und mir.* Um eine solche Solidarität, die es nicht immer gegeben hat hier in München, kann man nicht froh genug sein.
Auch auf der Bühne ist einiges passiert in diesem Jahr. Wir hatten super Produktionen und Null Flops (lacht). Mit "No Sex" von Toshiki Okada hatten wir die vielleicht schönste Produktion, die wir hier je gemacht haben. Darin geht es um vier junge Männer, die sich geschworen haben, auf Sex zu verzichten. Und dann gehen sie in eine Karaoke-Bar und singen von nichts anderem als ihrer Sehnsucht nach Liebe. Mit "Dionysos Stadt" von Christopher Rüping gab es bei uns zehn Stunden antikes Theater und bei "Uncanny Valley" hatten wir Roboter auf der Bühne. Genau diese Experimente reißen die Spanne unserer Ästhetik auf, und genau das werden wir in den nächsten anderthalb Jahren hier in München weiterhin so realisieren."
* gemeint sind Martin Kušej, Intendant am Residenztheater München, und Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters
Martin Kušej: "Man muss manchmal auch den anderen Kollegen und Theatern beispringen"
"München ist eine tolle Theaterstadt mit einem tollen Publikum. Wir haben gerade die erste Hälfte meiner letzten Spielzeit hinter uns gebracht. Wir schmeißen uns hier voll ins Zeug. Ich weiß, es gab diverse politische Eruptionen, was die Theater betrifft. Aber ehrlich gesagt, für mich persönlich ist das im Vergleich zu Wien sehr angenehm. Ich bin es gewohnt aus Deutschland, dass man Dinge anpackt und Konflikte austrägt. Man muss sich positionieren, man muss Haltung haben, man muss manchmal auch den anderen Kollegen und Theatern beispringen. Das finde ich beispielhaft in dieser Stadt, dass wir mit den Kammerspielen und dem Volkstheater eine richtig gute kollegiale Zusammenarbeit haben. Das wird mir am Burgtheater in Wien sicher ein bisschen fehlen.
Wir haben jetzt noch einige ganz tolle, große Premieren vor uns. Ich versuche so viel wie möglich hier am Haus zu sein und es wirklich bis zum letzten Tag gut zu führen. Ich bin vor fast acht Jahren angetreten mit dem Auftrag, möglichst viel zu verändern und neu zu machen. Ich denke, vieles ist gelungen. Das Residenztheater spielt wieder eine große und wichtige Rolle in der deutschen Theaterlandschaft. Das Haus ist jeden Abend sehr gut ausgelastet. Insofern übergebe ich ein sehr gut funktionierendes Theater an meinen Nachfolger Andreas Beck. Ich bin sicher, dass er das gut weiterführen wird – wenn auch mit einer anderen Handschrift. Gott sei Dank, das gehört dazu, Theater muss sich verändern und Intendanten-Wechsel haben ja genau diesen Sinn. Ich habe das Gefühl, dass nach acht Jahren Kušej das Ding rund und abgeschlossen sein wird und auch die Zeit gekommen ist für etwas Neues."
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