Oscargewinner Brendan Fraser in "The Whale"
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Oscargewinner Brendan Fraser in "The Whale"

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Irritierend heiter: "The Whale" mit Oscargewinner Fraser

Depressionen sind der Grund seines extremen Übergewichts: Brendan Fraser steckt in "The Whale" in einem 150 Kilogramm schweren Fatsuit und spielt den schwermütigen Vater großartig und mit selbstkritischer Ironie. Herausfordernd und sehenswert!

Anfangs ist es ein bisschen so, als würde man in den Zoo gehen, um, sagen wir, das dickste Nilpferd überhaupt anzuschauen. Da liegt es. Bewegt es sich auch? Im Fall dieses Films ist es aber ein fast 300 Kilo schwerer Mensch. Und weil wir wissen oder zumindest ahnen, dass Hauptdarsteller Brendan Fraser selbst nicht so übergewichtig ist, schauen wir sehr genau darauf, wie das gemacht wurde. Im Internet ist alles detailliert nachzulesen. Fraser berichtet darüber, wie es sich anfühlt, in einen rund 150 Kilogramm schweren Fatsuit, also einen Leibesfülleanzug, zu schlüpfen – um dann zu spüren, was passiert, wenn man "im Körper eines Mannes mit diesem Gewicht" etwa auf einem Sofa sitzt und aufstehen muss, weil es klingelt.

Schwermütig und extrem übergewichtig

Das lenkt vom eigentlichen Thema des Films etwas ab – vom Schicksal eines unglücklichen Mannes, Charlie heißt er, der unter Adipositas leidet, einem krankmachenden, deutlich erhöhten Übergewicht. Er isst, weil er Depressionen hat. Charlie war verheiratet und hatte mit seiner Frau eine Tochter. Als die acht Jahre alt war, verliebte er sich in einen Mann und verließ die Familie. Ein paar Jahre später starb sein Lebensgefährte und er fing an, sich seinen Fressattacken hinzugeben.

"The Whale" spielt fast ausschließlich in seiner Wohnung, dunkel und muffig. Der Welt draußen verweigert sich Charlie. Als Literaturdozent gibt er online Kurse für gutes Schreiben. Zu ihm kommen nur ein Pizzabote; Liz, eine Freundin, die Krankenschwester ist und nach ihm schaut, und Thomas, ein Missionar, der seine Seele retten will.

Kammerspiel in Charlies Wohnung

Regisseur Darren Aronofsky belässt es bei der räumlichen Beschränkung des Theaterstücks von Samuel D. Hunter – Hauptschauplatz bleibt Charlies Wohnung. Er versucht erst gar nicht, sie allzu filmisch zu inszenieren: Er konzentriert sich durch die Verwendung des eher engen, klassischen Aufnahmeformats des 4:3-Bildes ganz auf seinen Protagonisten.

Ihm sei es vor allem um die Emotionen gegangen, sagt der Regisseur im Interview, er habe versucht, das Bild mit seinem Hauptdarsteller zu füllen und nicht großes Kino zu machen.

Vorliebe für tödliche Passionen

Der Titel "The Whale" ist – wie überhaupt der ganze Film – vielschichtig. Zum einen wirkt Charlie in seiner engen Wohnung tatsächlich wie ein gestrandeter Wal. Zum anderen spielt Herman Melvilles "Moby Dick" immer wieder eine Rolle – vor allem, wenn Charlies Tochter Ellie plötzlich auftaucht, eine zornige junge Frau, die in der Schule einen Aufsatz über "Moby Dick" geschrieben hat. Ist sie am Ende der Wal, der den Kapitän, also ihren Vater, in seinem sinkenden Schiff herausfordert?

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Die Tochter hinter einer Tür: Ist sie der Wal?

Überraschend vieldeutig und tiefgründig wird der Film im zweiten Teil und kann die anfänglichen Zweifel am körperlichen Übergewicht als reinem Spezialeffekt oder den Verdacht einer eher voyeuristischen Inszenierung von Maßlosigkeit und Gefräßigkeit überwinden. Darren Aronofsky gelingt es, den Ballast des Vordergründigen abzuwerfen – und er kann sich seiner Vorliebe für tödliche Passionen und für das Pathos menschlichen Leids konkreter widmen, so, als habe er sich freigeschwommen vom vorwiegend metaphorischen Stoff des Alles-in-sich-Hineinfressens.

Der Film entwickelt eine irritierende existentielle Heiterkeit und Hauptdarsteller Brendan Fraser, der großartig ist, eine selbstkritische Ironie. Beides bleibt ambivalent – die Grenzen zwischen Erlösung und Autoaggression fließen ineinander. Leid und Leben sind nicht zu trennen, Trauer und Hoffnung zwei Seiten einer Medaille. Zum Ende hin kann dieser durchaus sehenswerte und herausfordernde Film mehr und mehr überzeugen.

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