Man sieht einen jungen Mann
Bildrechte: THE SON FILMS LIMITED ET CHANNEL FOUR TELEVISION CORPORATION 2022

Der Sohn Nicholas in einer Szene des Films in Manhattan

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"The Son": Was machen Eltern falsch bei ihren Kindern?

Die Theaterstücke des französischen Schriftstellers und Regisseurs Florian Zeller sind dermaßen erfolgreich, dass er sie selbst auch auf die Leinwand bringt. Auf das preisgekrönte Drama "The Father" von 2021 mit Anthony Hopkins folgt nun "The Son".

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"The Son" beginnt mit der Melodie eines Kinderliedes, das Beth ihrem Baby zum Einschlafen vorsummt. Über die Leinwand schwingen dazu die Konturen eines unscharf gefilmten Mobiles, das über dem Bettchen hängt. Wir sehen Beth, dann betritt im Hintergrund Peter die Szenerie, der Vater, er kommt gerade aus dem Büro, trägt noch Jackett und Krawatte. Beth bedeutet ihm, er solle leise sein und nicht stören. Peter geht ins Wohnzimmer, telefoniert kurz noch geschäftlich, schenkt sich einen Drink ein – und wartet. Ohne Dialog etabliert Regisseur Florian Zeller mit ein paar Bildern die Grundkonstellation einer Kleinfamilie mit klassischer Rollenaufteilung in einer, das erkennt man schon, sehr luxuriösen Wohnung in Manhattan. Dann klingelt es und das Idyll implodiert. Vor der Tür steht überraschend Peters Ex-Frau Kate und erzählt aufgeregt von den Schwierigkeiten, die ihr als alleinerziehender Mutter der gemeinsame Sohn macht, der siebzehnjährige Nicholas: Der war seit einem Monat nicht mehr in der Schule. Peter und seine Ex-Frau beschließen, dass der Sohn zu ihm zieht; die Nähe des Vaters könnte ihm guttun und wieder eine Struktur in sein Leben bringen. Für Peter und Beth bedeutet es, dass sie nun keine Kleinfamilie mit Baby mehr sind, sondern eine Patchworkgemeinschaft zu viert.

Von der Demenz zur Depression

Florian Zeller bemüht dunkle Streichersounds in seinem neuen Werk, um die angespannte Stimmung zu untermalen. Im Mittelpunkt Nicholas, ein verzweifelter Teenager. Er wird mit verletzlicher Intensität von dem jungen Australier Zen McGrath gespielt. Wie zuvor schon das oscarprämierte Drama "The Father" entstand auch "The Son" als Adaption eines der höchst erfolgreichen Theaterstücke des Regisseurs. Ging es im Vorgänger um Demenz im Alter, geht es jetzt um einen Jugendlichen mit einer tief sitzenden Depression. Der Film handelt einerseits von den Dingen, die Eltern glauben, bei ihren Kindern versäumt oder verkehrt gemacht zu haben, und andererseits von der umfassenden Hilflosigkeit angesichts einer psychischen Erkrankung.

Klaustrophobisch inszenierte Räume

Nach einem Suizidversuch wird Nicholas in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nur selten verlässt die Kamera die klaustrophobisch inszenierten Innenräume der Klinik oder der luxuriösen Wohnung. Kameramann Ben Smithard ordnet sich der Bühnenhaftigkeit des Settings unter, was den Film etwas steif und die Charaktere bald allzu schematisch wirken lässt. Schauspielerisch bleiben die Stars des Films – Hugh Jackman, Vanessa Kirby und Laura Dern – unter ihren Möglichkeiten. Es gibt berührende Szenen, aber Florian Zeller entwickelt den Stoff mit einer gewissen Vorhersehbarkeit und kommt über recht universelle Einsichten zu dem, was Eltern bei ihren Kindern falsch machen, nur selten hinaus.

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Wenn der Vater bei seinem Vater wieder zum Sohn wird - Hugh Jackman und Anthony Hopkins

Herausragend ist die kurze Szene, wenn Peter seinen eigenen Vater aufsucht und selbst wieder zum Sohn wird. Anthony Hopkins spielt dieses Patriarchenmonster beeindruckend übellaunig und gefühlskalt, als autoritäres, selbstgerechtes Familienoberhaupt der alten Schule, als Geschäftsmann, der seinen Beruf stets über die Familie gestellt hat und die daraus entstandene Entfremdung mit seinem Sohn sarkastisch eher feiert als bereut. Mehr solcher Überhöhungen hätten dem Film gutgetan.

War Florian Zellers "The Father" mit Anthony Hopkins und Olivia Colman eine Sternstunde des großen Schauspielerkinos und dazu mysteriös verwirrend inszeniert wie ein Thriller, wirkt dagegen "The Son" wie die allzu einfältige Verfilmung eines systemischen Erziehungsratgebers mit tragischem Ende. Ein paar Oscar-Nominierungen wird es am Dienstag Nachmittag wohl trotzdem geben.

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