Zwei Frauen schieben mit vereinten Kräften ein Fass durch eine steppenartige Landschaft.
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Ein Filmstill aus "How to blow up a pipeline"

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Terroristen? Aus Klimakampf-Traktat wird überzeugender Spielfilm

Im April erst in den Vereinigten Staaten gestartet, kommt jetzt ein Film in die deutschen Kinos, der auf Andreas Malms Buch "How to blow up a pipeline" beruht. Im Zentrum: Klimaaktivisten, die einen Anschlag auf eine Öl-Pipeline in Texas planen.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wenn es eine große Gemeinsamkeit zwischen dem Klimaaktivismus und dem Kino gibt, dann ist es der Sinn für starke, aufrüttelnde, empörende Bilder. Das sieht man den Videos an, die die Gruppe "Letzte Generation" von ihren Aktionen ins Netz stellt und die Millionen Klicks generieren: kurze Filme über Vandalismus, die dieser kleinen Gruppe von Menschen zu riesiger Prominenz verhelfen. Zuletzt waren sie ins Gespräch geraten, weil ihnen die Staatsanwaltschaft München unter anderem vorwirft, einen Anschlag auf die kritische Infrastruktur der Energieversorgung in Bayern, namentlich auf die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt geplant zu haben.

Das Medium der Literatur ist für den Aktivismus eindeutig nachrangig – und kann dennoch sehr inspirierend wirken: Als 1975 in den Vereinigten Staaten Edward Abbeys Roman "Die Monkey Wrench Gang" erschien – die fiktive Geschichte von amerikanischen Umweltschützern, die Strommasten fällen, Öl-Bohrtürme demolieren, Staudämme sprengen –, verhalf deren Lektüre anderen zu dem, was Andreas Malm "den Sprung in den Aktivismus" nennt.

Öl-Pipeline in Texas als Anschlagsziel

So geschieht es nun auch in diesem Öko-Thriller, der durch Malms Traktat "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt" angeregt worden ist. In einer Szene sieht man darin einen jungen Mann, Shawn (Marcus Scribner), in einer Bibliothek im Buch des Schweden blättern. Ein anderer, Logan (Lukas Gage), fragt ihn, wofür er das lese: "Für ein Projekt im Winter in Texas." Es würden noch Kollaborateure gesucht.

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Ein Filmstill aus "How to blow up a pipeline".

Das "Projekt", für das noch Mitstreiter gesucht werden, ist ein Anschlag auf eine Öl-Pipeline. Acht Leute bilden schließlich, was Andreas Malm ein "Konterkollektiv" nennt, ein Oktett, das zum Gegenschlag ausholt: Rowan (Kristine Froseth), Xochitl (Ariela Barer), Michael (Forrest Goodluck), Theo (Sasha Lane), Alisha (Jayme Lawson) sowie der Landwirt Dwayne (Jake Weary).

Gegen das Empire

Sie alle haben ihre Gründe, sich zu radikalisieren: Der Bauer sieht sein Vieh verenden, weil die Pipeline Land, Luft und Wasser vergiftet, eine extreme Hitzewelle hat die Mutter einer Aktivistin dahingerafft, eine andere, aufgewachsen in direkter Nachbarschaft zur Öl-Raffinerie, ist an Leukämie erkrankt. Einer von ihnen kann Bomben basteln, und er ist es auch, der in einer ihrer Diskussionen über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit ihres Tuns sagt: "Wenn das Empire uns Terroristen nennt, machen wir etwas richtig."

Auch in solchen Film-Sätzen hallt Andreas Malms Buch wider, ist es doch eine Streitschrift wider die "Elfenbein- und Betontürme des Empire". So viel Zeit ist bereits unwiederbringlich verstrichen. Wie heißt es so schön weihevoll in der Buchvorlage? "Wahrhaftig, es ist ihrer nicht mehr viel geblieben." Die Dringlichkeit, endlich zu handeln, sehen alle. Es gilt, maximalen Druck auf Politik und Wirtschaft auszuüben.

Es wird gehandelt in diesem Film, es wir aber auch immer wieder diskutiert. Wenn einer der Anfang Zwanzigjährigen mal im Spaß sagt, auch Jesus sei "ein Terrorist" gewesen, dann ist das kein Zufall. Daniel Goldhabers in nur sieben Monaten gedrehter Film verwandelt Malms theoretische Abhandlung in eine rasante Geschichte, die in Rückblenden all das problematisiert, was Malm kritisiert: den Hang zu "Frömmigkeit und Überheblichkeit" im Aktivismus etwa.

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Ein Filmstill aus "How to blow up a pipeline".

Es waren ja bezeichnenderweise zwei Christinnen aus dem "Catholic Workers Movement", die Aktivistinnen Jessica Reznicek und Ruby Montoya, die 2017 die noch im Bau befindliche Dakota Access Pipeline sabotierten und dafür heute im Gefängnis sitzen. Sie hatten so wie auch die jungen Menschen im Film genug vom "immerwährenden Maßhalten", von friedfertigen "gesitteten Manifestationen" – und beantworteten die Frage "Wann also eskalieren wir?" auf ihre Weise.

Der Versuch: nicht wirkungslos, nicht abschreckend

Auch die diverse Film-Gruppe – eine Aktivistin trägt Deadlocks, zwei Schwarze sind darunter und ein Mitglied der First Nations – kennt die neuen Aporien der Avantgarde, die Malm in seinem Buch so umreißt: "Die Aktivist*innen wollen voranschreiten – jedoch weder zu weit von der breiten Masse der Bewegung entfernt, was zu ihrer Isolierung führte, noch in deren Mitte oder Rücken, was ihre Mission unnötig machte. Sie müssen darauf gefasst sein, von so manchen verleumdet zu werden (alles andere wäre ein Beweis ihrer Wirkungslosigkeit), und zugleich Taktiken vermeiden, die allzu viele Menschen abschrecken würden – der Balanceakt einer jeden wirkmächtigen Vorhut."

Fantastisches Schauspieler-Ensemble

Dem Regisseur und Drehbuchautor Daniel Goldhaber gelingt dank famoser Besetzung eine absolut überzeugende Adaption für die Leinwand.

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Ein Filmstill aus: "How to blow up a pipeline".

"Vielleicht ist jedes Spiel mit der Idee von Gewalt letztlich ein Fiebertraum", hat Andreas Malm in seinem Buch "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt" geschrieben – und weiter: "Doch der Vernunft sind wir schon längst beraubt." Goldhaber hat mit seinem fantastischen jungen Schauspieler-Ensemble Mittel und Wege gefunden, eine mitreißende Story zu erfinden, die verschiedene Aspekte des Buches thematisiert, das, anders als sein Titel nahelegt, gerade kein Handbuch der Militanz ist.

Es steht nicht umsonst der warnende Satz darin: "Das moralische Kapital, das die Klimagerechtigkeitsbewegung über die Jahre hinweg angehäuft hat, könnte mit einem Schlag entwertet oder zunichtegemacht werden."

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