Neapel am Vesuv
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79 nach Christus vernichtet der Vesuv die Städte Pompeji und Herculaneum.

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Tanz auf dem Vulkan: Glauben im Schatten des Vesuvs

79 nach Christus vernichtete der Vesuv die Städte Pompeji und Herculaneum. Um die Menschen in Zukunft zu schützen, entwickelte sich eine spezielle Glaubenskultur, mit der sich die aktuelle Sonderausstellung im Freisinger Diözesanmuseum beschäftigt.

Über dieses Thema berichtete Theo.Logik am .

Sie sehen ein bisschen aus wie Chili-Schoten, und wer schon einmal in Neapel war, dem sind sie sicher nicht entgangen: die kleinen leuchtend roten Hörnchen, genannt "le corna", die es in jedem Souvenirladen gibt. Dabei darf man ein "corno" keinesfalls für sich selbst kaufen – dann bringt es nur Unglück. Wer dagegen ein "corno" geschenkt bekommt, den soll es schützen.

Neapel hat eine eigene Frömmigkeitskultur

Neapel ist eine Stadt mit einer ganz eigenen Glaubens- und Frömmigkeitskultur, in der sich antiker Paganismus, Heidentum, magische Vorstellungen und Katholizismus auf eine besondere Weise vermischen. Es ist eine Glaubenskultur, die auch religiöse Rituale zur Abwehr von Bösem hervorgebracht hat, und das hängt mit einer für die Neapolitaner großen Bedrohung zusammen: nämlich mit dem Vesuv und der westlich davon gelegenen Vulkanlandschaft Phlegräische Felder. Zwischen all den aktiven Vulkanen liegt Neapel. Und die Neapolitaner verehren viele Heilige, die diese unbeherrschbaren destruktiven Kräfte der Natur bändigen sollen. Das gerade neu eröffnete Diözesanmuseum München und Freising hat diesem "Tanz auf dem Vulkan" eine gleichnamige Sonderausstellung gewidmet, über Leben und Glauben im Schatten des Vesuvs.

Jedes Jahr am Ostermontag tanzen hunderte Pilger in einer Prozession von Neapel aus zur Madonna dell’Arco, einem Marienheiligtum in Sant’Anastasia am Hang des Vesuvs. "Man sieht hier Maria und Jesus auf den Tragaltären, die im Rhythmus mitschwingen. Das ist eine richtige Tanzformation", erklärt Christoph Kürzeder, Direktor des Diözesanmuseums München und Freising. "Und das ist sehr beeindruckend, weil tausende Menschen zu Fuß, früher barfuß, heute mit Socken, viele Kilometer gehen. Sie brechen schon in der Nacht auf und tragen wirklich diese Tragaltäre und Skulpturen mit, und dann beginnen die Heiligen diesen Tanz", sagt Kürzeder.

"Tanz auf dem Vulkan" beschreibt bedrohliche Situation

Die auf eine riesige Leinwand projizierten dokumentarischen Aufnahmen dieses Spektakels ziehen die Besucher gleich hinein in den Tanz auf dem Vulkan. "Eigentlich beschreibt es eine Situation, bei der alle wissen, jetzt kommt was Bedrohliches und jetzt lassen wir es nochmal krachen", beschreibt es der Museumsdirektor. "Wir sind ja so gebaut, dass wir uns auch mit einer gewissen Lustangst diesen Dingen aussetzen. Das ist in Neapel auch immer irgendwie präsent." Die Ausstellung im Diözesanmuseum zeigt, wie die Menschen am Golf von Neapel seit fast 2.000 Jahren religiöse Praktiken entwickeln, um mit himmlischer Hilfe die Naturgewalten zu besänftigen, und versuchen, die Gefahr für ihre Stadt zu bannen – die Madonnen-Heiligtümer rund um den Vesuv sind nur ein Ausdruck davon.

Der Ausbruch des Vesuvs 79 nach Christus, der die blühenden Städte Pompej und Herculaneum vernichtete, ist bis heute ein Trauma, das die europäische Geschichte geprägt hat. "Das hat die Menschen in der Antike schwer beschäftigt: Was ist das? Ist das eine Strafe? Ist das ein natürlicher Vorgang, kann ich das religiös-philosophisch aufarbeiten? Man versuchte auch damals, Erklärungsmuster zu finden, und da können wir hier ein paar schöne Objekte aus Pompeji und Herculaneum zeigen: Was macht das mit einer Zivilisation, dass man mit einer Gefahr lebt, die man nicht im Griff hat", sagt Christoph Kürzeder.

Corona ist auch eine Art "Tanz auf dem Vulkan"

Und obwohl das schon mehrere Tausend Jahre her ist, gibt es immer noch Parallelen zu heute. Vor allem wegen Corona hat der "Tanz auf dem Vulkan", ein Ereignis, das man nicht im Griff hat, neue Aktualität erfahren. Das zeigt die Ausstellung im Diözesanmuseum anhand einer Vielzahl archäologischer Funde und Kunstwerke, die eigens aus dem Archäologischen Nationalmuseum in Neapel auf den Freisinger Domberg gebracht wurden. "Da sehen wir ein abgenommenes Mauerstück, in das "Sodom und Gomorra" eingeritzt ist. Und die Archäologen deuten das im Kontext des Ausbruchs als eine Art Graffito, das einen jüdischen oder jüdisch-christlichen Hintergrund haben muss", erklärt Kürzeder. Die Vorstellung, dass hier ein göttliches Strafgericht am Werk sein könnte, findet er gar nicht so abwegig.

So viele Erklärungsversuche es damals für das Rumoren des Berges gab, so viele Riten zu seiner Besänftigung sind aus Pompeji überliefert. Die Antike kannte verschiedene religiöse Praktiken zur Abwehr von Katastrophen und Unglück: Da gab es die Hausgötter, die Laren, die beschworen wurden, das Symbol der magischen Hand oder Schutzamulette aus Korallen, die laut Mythologie aus dem Blut der Gorgone Medusa entstanden sein sollen, jener mythologischen Schreckgestalt, der nachgesagt wurde, dass sie jeden, der sie anblickt, zu Stein erstarren lasse.

San Gennaro gibt sein Blut, um die Stadt zu schützen

Antike Vorstellungen von einer Kraft, die Übel abwehrt, lebten im christlichen Neapel weiter, zum Beispiel im Brauch des Blutwunders des Heiligen Januarius, San Gennaro, des Schutzpatrons der Stadt Neapel. San Gennaro und sein Blut spielten als Mittler und Mittel zur Besänftigung des Vesuvs eine wichtige Rolle. Der Heilige wird immer mit zwei Blutampullen dargestellt. San Gennaro, frühchristlicher Bischof von Neapel, soll im vierten Jahrhundert nach Christus in Pozzuoli als Märtyrer gestorben sein. Eine Frau soll sein Blut in einer Ampulle aufgefangen haben.

Ein Werk im Diözesanmuseum zeigt die Dreifaltigkeit auf Wolken sitzend. Jesus hat in seiner rechten Hand ein Bündel Blitze. In dieser Darstellung kennt man eigentlich den Gott Jupiter oder Zeus. "Und jetzt kommt San Gennaro, er ist der Mittler zwischen der Stadt und der Dreifaltigkeit, und er schaut Jesus an: Mach’s halt bitte nicht. Er hat noch diese abwehrende Geste", beschreibt Kürzeder. San Gennaro halte Jesus die Blutampulle entgegen, als wolle er sagen: Ich habe auch noch mein Blut für Dich gelassen, also erhöre uns und schütze diese Menschen. Es ist die Grundaussage dieses Patronats, dieses Heiligen für die Stadt."

Reliquie wird drei Mal im Jahr hervorgeholt

Bis heute wird die Reliquie, das Blut des San Gennaro, drei Mal im Jahr bei Gottesdiensten und einer Prozession hervorgeholt und der Heilige um Schutz für die Stadt und seine Bewohner gebeten. Neben San Gennaro gibt es 57 Conpatroni, also Mitpatrone, die San Gennaro helfen. Ihre Büsten, handgefertigt aus Silber, werden regelmäßig mit dem Blut des Gennaro durch die Straßen Neapels getragen. Bei einer Prozession, die eigentlich ein Tanz ist. Ein Tanz auf dem Vulkan.

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