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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

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Streit um Theaterstück: Malta verstieß gegen Meinungsfreiheit

Das umstrittene Schauspiel "Stitching" (2009) des schottischen Autors Anthony Neilson (41) wurde zu Unrecht in Malta verboten, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Das Theater erhält 20 000 Euro Schadenersatz. Von Peter Jungblut.

Autor Anthony Neilson gilt in Schottland als Vertreter eines aggressiven, betont provokanten und brutalen Theaterstils, der dort auch als "in-yer-face theatre" bekannt ist, ein Ausdruck, der ins Deutsche übersetzt soviel heißt wie "Frontal"-Theater. Der Zuschauer soll also mit groben und gröbsten Mitteln aufgerüttelt werden. Das gilt auch für das Zwei-Personen-Stück "Stitching" ("Näherei") aus dem Jahr 2009, in dem das Paar Abby und Stu seine Probleme diskutiert. Die Idee zu dem Stück, so Neilson in einem Interview freimütig, sei ihm in einem Erotik-Laden in Amsterdam beim Durchblättern von Porno-Heften gekommen. Der Text ist so explizit, dass er in Malta von den Behörden wegen Gotteslästerung (Blasphemie) verboten wurde. Das Stück sei "pervers" und verunglimpfe obendrein die Opfer des Konzentrationslagers Auschwitz, so die Begründung der Zensur, denn der Hauptdarsteller in dem Stück fühle sich durch Fotos von Häftlingen sexuell erregt.

"Nicht für jeden Zuschauer"

Die britische Theaterkritik hatte nach der Uraufführung von einem "sick play", also einem krankhaften Stück gesprochen, sich jedoch klar gegen jede Zensur gewendet. Amerikanische Medien warnten nach der Premiere im "Lillian Theater" in Hollywood, es handle sich um ein Stück, dass "nicht für jeden Zuschauer" geeignet sei. In New York wurde die Laufzeit des Stücks trotz zurückhaltender Kritiken mehrfach verlängert. Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (Az. 37326/13) heißt es nun, Malta habe mit dem Verbot tatsächlich gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen. Der maltesische Staat muss der klagenden Theatergesellschaft nun eine Entschädigung in Höhe von 20 000 Euro zahlen. Die Richter in Straßburg verwiesen darauf, dass die maltesischen Gesetze ein komplettes Verbot von Theaterstücken nicht vorsehe. Innerhalb von drei Monaten können Malta und die Kläger Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.

"Härtere Realität"

Anthony Neilson selbst hatte Maltas Reaktion als "hysterisch" eingestuft und den Verdacht geäußert, dass der offene Umgang mit dem Thema Abtreibung in "Stitching" die Regierung wohl am meisten verärgert habe. Der Autor hat bereits 21 Stücke verfasst, allesamt mit provokantem Inhalt. Neilson begründet seine Arbeit damit, jüngere Zuschauerschichten erreichen zu wollen und auch solche Menschen, die mit einer "härteren Realität" konfrontiert seien als sie im normalen Theaterbetrieb behandelt werde.