Ist Erben gerecht? Wie könnte man die Weitergabe von Vermögen fair gestalten? Und wieviel Zugriff auf den Privatbesitz seiner Bürger sollte der Staat haben? Die Antworten darauf sind so unterschiedlich wie die Vermögensverhältnisse in Deutschland. Das Thema Erben beschäftigt gerade Politik und Bürger, denn ab Januar 2023 soll eine Gesetzesänderung in Kraft treten, die das Vererben von Häusern stärker an deren Marktwert anpasst. Das bedeutet, für viele Erben wird die Steuer in Zukunft deutlich höher ausfallen als bisher.
"Natürlich ist Erben gerecht", ist Josef Bogner, Gastronom am Tegernsee, überzeugt. Schließlich bedeute eine Erbschaft nicht, dass man danach nichts mehr mache, sondern "Eigentum verpflichtet". "Wenn ich einen Betrieb oder eine Landwirtschaft erbe, dann bin ich verpflichtet, das weiterzuführen", sagt Bogner. Wenn man später nichts weiter vererben dürfe, würde das dazu führen, dass man sich heute weniger um seinen Besitz bemühe. Er würde die Erbschaftssteuer deshalb am liebsten abschaffen, meint der Gastronom.
Yacht und Villen braucht man nicht für ein "gutes Leben"
Für eine höhere Besteuerung von Vermögen setzt sich dagegen die Millionenerbin Stefanie Bremer ein, die sich bei der Initiative "taxmenow" engagiert. "Erben an sich ist nicht per se ungerecht", sagt sie. Es sei verständlich, dass Eltern etwas beiseite legten, um damit ihren Kindern später ein "gutes Leben" zu ermöglichen. Aber: "Es gibt sehr unterschiedliche Definitionen, was ein gutes Leben bedeutet. Ein gutes Leben kann man auch mit einem Häuschen und finanziellem Polster haben, dafür braucht man nicht mehrere hundert Millionen, in Unternehmensanteilen, Yachten und Villen", ist Stefanie Bremer überzeugt.
Jörg Mertens wiederum lebt von einer durch Grundsicherung aufgestockten Erwerbsunfähigkeitsrente in München, der teuersten Stadt Deutschlands. Er erbt nichts und sagt: "Ich finde schon, dass Vererben möglich sein sollte. Aber wie das in den letzten Jahren läuft - je größer die Erbmasse, desto weniger Steuern -, das halte ich für ungerecht."
Hohe Immobilienpreise: Erben wird zum entscheidenden Faktor
Gerade wird in Deutschland besonders viel vererbt. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung ist darunter viel Vermögen aus den Wirtschaftswunderjahren - zwischen 300 und 400 Milliarden Euro jährlich, vor allem im Westen. Gleichzeitig sind die Immobilienpreise enorm gestiegen, so dass sich selbst Gutverdienende immer seltener eine eigene Immobilie leisten können. Dadurch wird Erben oder Nicht-Erben zum entscheidenden Faktor.
Das wissen auch Josef Bogner, Stefanie Bremer und Jörg Mertens: Alle drei sind unzufrieden damit, wie Erben in Deutschland gehandhabt wird. Für den erwerbsunfähigen Jörg Mertens ist ein Wohlfahrtsstaat, der sich über Steuern finanziert, elementar wichtig. Bei ihm stellt sich angesichts von Energiekrise und Inflation mittlerweile täglich die Frage: Lieber essen oder heizen? Stefanie Bremer und Josef Bogner, die beide erben beziehungsweise vererben werden, können es sich dagegen leisten, weit jenseits des Überlebenskampfes über eine gerechtere Gesellschaft nachzudenken.
Steigender Bodenrichtwert erhöht auch Notarkosten
Gastronom Josef Bogner empfindet die aktuelle Steuerpraxis als ungerecht. "Jetzt ist Schluss mit lustig, weil wir können uns das so nicht mehr leisten", sagt Bogner. Er spricht von der neuen Erbschaftssteuer. Diese bemisst sich ab Januar 2023 am Bodenrichtwert und der Marktlage und wird in begehrten Wohnlagen wie dem Tegernsee entsprechend hoch ausfallen. "Wenn mein Grundstück pro Quadratmeter statt 1.000 Euro plötzlich 3.000 Euro wert ist ... Ich muss alles danach besteuern, jede Notargebühr wird angepasst, die Rechtsanwaltskosten richten sich nach dem Bodenrichtwert. Das kann’s nicht sein!", sagt Bogner.
Erbschaft am Tegernsee übersteigt oft Freibetrag
Rund um den bei Kurgästen, FC-Bayern-Stars und auch manchem Oligarchen beliebten Tegernsee sind die Grundstückspreise wie in anderen Boom-Regionen vor allem seit der Jahrtausendwende in die Höhe geschossen. Mit einer Erbschaft liegt man hier schnell bei Steuern, die weit über dem Freibetrag von 400.000 Euro pro Kind und Elternteil liegen.
Viele müssten dann bei einem Erbe Schulden aufnehmen oder gar verkaufen, ärgert sich Bogner, der für die Freien Wähler im Miesbacher Kreistag sitzt: "Das zieht ganz normalen Menschen, die hier einfach nicht weg wollen, weil das ihre Heimat ist, wirklich den Boden unter den Füßen weg." Nach Ansicht des Gastwirts braucht es nicht mehr Besteuerung, sondern eine Entlastung. Am besten fände Bogner ohnehin, wenn sich der Staat raushielte aus dem Thema – also keinen einzigen Euro Erbschaftssteuer erhebt.
Je mehr vererbt wird, desto mehr sinkt das Steuerniveau
Stefanie Bremer hingegen setzt sich für mehr statt weniger Steuern beim Vererben von großen Vermögen ein. Die 33-jährige Millionärin aus Baden-Württemberg engagiert sich bei "taxmenow". Dort wurden fünf Forderungen aufgestellt, darunter weniger Sonderregelungen bei der Erbschaftssteuer: "Wir haben ja bisher auch Steuersätze, die wir per se nicht schlecht finden, aber sie werden durch die Ausnahmen massiv ausgehebelt: Menschen, die kleinere Beträge erben, zahlen im Durchschnitt zwischen 15 und 18 Prozent Erbschaftssteuer. Wenn man aber Beträge ab 20 Millionen vererbt, dann sinkt das Steuerniveau auf 1,4 Prozent. Einfach, weil alle Ausnahmen, die möglich sind, genutzt werden", rechnet Bremer vor.
Auch, weil man mit viel Geld und den findigsten Steuerberatern die meisten Lücken finde. Die meisten Deutschen wären von den Forderungen von "taxmenow" ohnehin nicht betroffen, sondern lediglich die reichsten 30.000 Haushalte. Eben die, die laut Bremer bislang klar bevorzugt werden: "Wenn sie drei Wohnungen erben, zahlen sie die volle Erbschaftssteuer. Wenn sie 300 Wohnungen erben, dann wird das automatisch als Betriebsvermögen angesehen und ist damit steuerfrei", sagt Bremer.
Größere Vermögen werden de facto viel geringer besteuert als kleine, das belegen auch Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Die reichsten zehn Prozent besitzen 62,1 Prozent des Vermögens, während die ärmeren 50 Prozent, also die Hälfte der deutschen Bevölkerung, nur 3,4 Prozent haben. Pandemie, Energiekrise und Inflation fungieren als Brandbeschleuniger und verstärken die Unterschiede noch.
Soziale Ungleichheit wird zum Problem für die Demokratie
Der frühere Verwaltungsmitarbeiter Jörg Mertens, der bei Twitter unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen von seinen Erfahrungen berichtet, sagt: "Die Schere zwischen Arm und Reich klafft seit Jahren fürchterlich auseinander und wird immer größer werden. Weil ich das für eine Gefahr für unsere Demokratie halte, habe ich mich entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen." Empfänger von Sozialleistungen würden außerdem oft als Schmarotzer gesehen, die die Leistung nicht verdient hätten, meint Mertens.
Beim Thema Erben hört man oft die Glaubenssätze: "Wer viel hat, hat sich das auch verdient!" und "Jeder ist seines Glückes Schmied!" Bei einer Überprüfung halten sie der Realität aber häufig nicht stand. Stefanie Bremer, deren Vermögen auf etwa zehn Millionen Euro geschätzt wird, berichtet: "Ich habe viele Personen getroffen, die sagen: Ich schaffe es nicht mehr aus eigener Kraft, mein Leben zu finanzieren. In diesem System ist mir das nicht möglich. Und dann sind sie gezwungen, bei mir anzufragen um Almosen. Und das ist so entwürdigend!"
Im Video: BR24live - Warum Erben und Schenken ab 2023 teurer wird
Ab 1. Januar werden Immobilien beim Verschenken und Vererben höher bewertet. Dadurch kann eine Erbschaft deutlich höher besteuert werden.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
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