"Wir hatten bisher ein vertrauensvolles Verhältnis zum BMBF", sagt Regine Schönenberg. Das sei nun jedoch vorbei. Und die Politikwissenschaftlerin ist nicht die einzige, die das so sieht. Seit Wochen rumort es im deutschen Hochschulbetrieb. Auf Twitter macht der Hashtag #StopTheCuts die Runde. Von Förderstopps ist die Rede. Das Geld bleibt aus. Forschungsprojekte, die das Wissenschaftsministerium (BMBF) schon zugesagt hat, liegen auf Eis.
Kritik an der mangelnden Transparenz des BMBF
So etwas komme vor, erklärt Paula-Irene Villa: "In diesem Ausmaß ist uns das allerdings noch nie untergekommen." Villa ist Professorin für Soziologie in München. Auch sie ist von den Förderstopps betroffen, hat sich früh mit anderen Forschenden vernetzt und fordert als Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vor allem eines vom BMBF: mehr Transparenz. Immer noch ist unklar, wie viele Projekte derzeit auf ihr Geld warten. Und auch, nach welchen Kriterien das BMBF in seinen Förderentscheidungen verfährt.
Auf Nachfrage des BR reagiert das Ministerium. Vage aber immerhin. Erstens: Es handle sich nicht um Förderstopps, sondern nur um Auszahlungsverzögerungen. Wichtiger Zusatz: "Im Einzelfall kann es jedoch vorkommen, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden können." Zweitens: Wie viele Förderlinien davon betroffen seien, könne man "aufgrund der Vielzahl an Projekten, Förderlinien und Programmen des Hauses […] nicht ohne weiteres" sagen. Und drittens: Die Gründe dafür lägen in den "besonderen Herausforderungen" der Haushaltsjahre 2022 und 2023.
Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
Ihr sei natürlich klar, dass die Haushaltslage angespannt sei, so Villa. "Wir sind ja nicht naiv!" Der Krieg, die Pandemie, die Energiekrise und dann auch noch die Schuldenbremse, die im kommenden Jahr greifen soll – die Wissenschaft ist nicht der einzige Bereich, dem momentan Kürzungen drohen. Ob es aber klug ist, hier anzusetzen, ist eine andere Frage.
Fakt ist: Für die deutsche Hochschulgemeinde kommt derzeit einiges zusammen. Seit Jahren gibt es Kritik an den prekären Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Über 80 Prozent sind befristet. Viele auf sogenannten Drittmittelstellen. Und auch die scheinen nun gefährdet – was nicht nur am BMBF liegt. Anfang Juli wurde etwa bekannt, dass das Budget des DAAD, der über das Auswärtige Amt finanziert wird, bis 2023 um 13 Millionen sinkt. Peanuts mit Blick auf den Bundeshaushalt. Gespart wird wenig. Dafür viel kaputt gemacht. Allein 50 Prozent der Stipendien müssen gestrichen werden. Betroffen ist vor allem der Forschungsnachwuchs. Eine Karriere in der Wissenschaft – in Deutschland immer unattraktiver. "Existentiell" nennt Villa die Situation. "Wenn diese Drittmittel derart massiv wegbrechen, dann hat das Personal an den Universitäten eine Finanzierungsgrundlage verloren."
Was außerdem auffällig ist: Von den Auszahlungsverzögerungen scheint vor allem geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung betroffen. Zu den sozialen Folgen von Corona etwa. Oder zu Rechtsextremismus und Rassismus. Regine Schönenberg erkennt darin ein Muster. Vor allem "progressive Themen" würden weggekürzt. Ihre Vermutung: Das BMBF setzt andere Schwerpunkte. "Es ist ja nicht so, dass das Budget geschrumpft ist, sondern das Geld ist in ein großes, neues Digitalisierungsprojekt namens DATI geflossen."
Setzt das BMBF neue Förder-Schwerpunkte?
Auch das ist ein Teil der Wahrheit: Den "besonderen Herausforderungen" des Haushaltsjahres zum Trotz – das Budget des BMBF steigt 2023 sogar leicht. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Verzögerungen weniger mit einer Budgetkürzung als mit einer Budgetverschiebung zu tun haben. Hin zur sogenannten DATI, einer geplanten Agentur für Technologie und Innovation, über die vor allem "anwendungsorientierte Forschung" gefördert werden soll. Dazu passt auch die seit Wochen kursierende Auskunft des BMBF, dass man künftig auf Forschung setzen wolle, die einen "schnellen Impact" erzeuge.
Das Ministerium hat sich davon inzwischen distanziert, sogar Bettina Stark-Watzinger persönlich. "Diese Formulierung ist nicht meine und entspricht weder meiner Haltung noch meiner Politik", twitterte die Ministerin letzte Woche. Die Wissenschaftscommunity beruhigt das wenig. Auch daran kann man den Vertrauensverlust des BMBF ablesen. Aus dem Kreis der U15, dem Verbund der forschungsstärksten deutschen Volluniversitäten, hört man weiter die Befürchtung, dass die sogenannten Verzögerungen in Wahrheit doch Förderstopps sind.
Forschungsversprechen können nicht eingehalten werden
Für Regine Schönenberg ist das Ende schon jetzt Gewissheit. Sie arbeitet im Forschungsverbund BioTip, dessen Verlängerung vom BMBF bereits gecancelt wurde: Ein so internationales wie interdisziplinäres Projekt, bei dem es unter anderem um die Frage geht, welche Ursachen die Umweltzerstörung im Amazonasgebiet hat – und wie die Gesellschaften vor Ort sie auffangen können. Das ursprüngliche Ziel des Projektes bestand darin, das erworbene Wissen am Ende aufzubereiten, um es mit den Bevölkerungen vor Ort zu teilen. "Das war eigentlich immer auch die Linie des BMBF“, erklärt Schönenberg, "zu sagen, wir machen keine neokoloniale Forschung, sondern alles wird aufgearbeitet und zurückgegeben. Das war immer unser Versprechen."
Jetzt nicht mehr. Ohne Förderverlängerung bleibt dafür schlicht keine Zeit. Nachhaltig sei das nicht, sagt Schönenberg. Auch ethisch kaum vertretbar. Aber offenbar die neue Linie des Ministeriums, das damit viel Vertrauen verspielt. Nicht nur in der deutschen Forschungsgemeinschaft.
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