Bildrechte: Nik Schölzel/Mainfrankentheater Würzburg

Paprika und Liebe: Csárdásfürstin

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Stark einsturzgefährdet: Multikulti-"Csárdásfürstin" in Würzburg

1948 war Wien noch keine zuckersüße Touristenmetropole, sondern eine zerbombte Stadt mit vier Besatzungszonen. Dahin verschlägt es die Würzburger Csárdásfürstin, dort trifft sie Gestrandete aus der ganzen Welt. Satire oder Ernst? Von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Wie soll das bitte funktionieren: Eine Operette, die in Budapest und Wien spielt, besetzt mit einem Mexikaner, einem Amerikaner, zwei Japanern, einer Ukrainerin, einem Tschechen und ein paar Deutschen, um nur die Hauptrollen zu erwähnen? Keiner von ihnen klingt nach österreichischer Gemütlichkeit, keiner hat ungarisches Feuer, allen fehlt k.u.k.-Ausstrahlung.

Schäbiger Multikulti-Tingeltangel

Kein Problem, sagte sich der Regisseur Marcel Keller, und verlegte seine Würzburger "Csárdásfürstin" kurzerhand in das Budapest und Wien von 1948, also in schwer versehrte Städte, wo sich neben Russen, Amerikanern, Briten und Franzosen auch noch jede Menge andere Nationalitäten tummeln. In einem ehemaligen Kino hat ein schäbiger Multikulti-Tingeltangel aufgemacht, da treffen sich die Überlebenden des Weltkriegs und feiern, als ob es kein Morgen gäbe - zwischen Prostitutierten, Taschendieben, Soldaten und Schiebern.

Schatten vom Nazi-Adler

Hier passt es, das gebrochene Deutsch der vielen Mitwirkenden, das sonst unfreiwillig komisch wäre, denn Operette lebt nun mal von Sprach- und Sprechwitz, von Situationskomik. Die Gesellschaft, die hier vorgeführt wird, rappelt sich gerade wieder auf. Der Würzburger Chor ist einmal mehr ausgesprochen spielfreudig, das sind lauter kunterbunte, charaktervolle Typen, keine fade Masse Mensch. Über der Tür im Adelspalais ist noch der Schatten vom Nazi-Adler zu erkennen, die Wände haben Risse, ob die Statik noch lange hält, weiß keiner zu sagen.

Ob die Statik noch hält?

Auch das ist Operette: Immer einsturzgefährdet, immer Kokettieren mit dem Zusammenbruch, das Tanzen auf dem Vulkan. Marcel Keller hat vieles reingepackt in seine "Csárdásfürstin": Kitschige Walzer wie im UFA-Film, Swing wie im amerikanischen Soldatenclub, das Ganze absichtlich leicht verstärkt, damit es klingt wie aus einem scheppernden Röhren-Radio der fünfziger Jahre. Das alles sieht schwer nach Retro-Trash aus, auch dank der Kostüme von Erika Landertinger, die nicht mit Rüschen und Schleifen spart, sich mal an den ungarischen Nationalfarben orientiert, mal an der Abendgarderobe des Wiener Opernballs - jedenfalls weit entrückt von der Gegenwart.

Schräge Vögel in der Voliere

Unterhaltsam ist das vor allem wegen der wirklich schrägen Vögel, die in diese Operetten-Voliere hineinflattern. Barbara Schöller ist eine gertenschlanke Chansonette Sylva Varescu, die in ihrem reiferen Alter schon viel erlebt hat, selbst weiß, dass sie nicht mehr die schönste im Angebot ist und eigentlich genug hat von Romanzen und Liebelei. Umso glaubwürdiger ist ihr Hadern und Zaudern, umso anrührender ihre Enttäuschung, ihr Frust über die Launenhaftigkeit und den Opportunismus der Kerle. Edwin, ihr Liebhaber, ist in diesem Fall der betörend glutäugige Mexikaner Roberto Ortiz, der sich mit viel für ihn ungewohnten Text abmüht und dadurch ebenso sympathisch und engagiert wirkt, denn wozu der ganze Aufwand, wenn nicht aus Liebe?

Bad Ischl im Ersten Weltkrieg

Mathew Habib aus Florida gibt den untersetzten, quirligen Graf Boni, der sich herrlich ungelenk den holperigen Weg bahnt zur Frau seiner Träume, der adelige Komtess Stasi, dargestellt von der bezaubernd-charmanten Japanerin Akiho Tsujii. Klar, so absurd-international hätte sich Komponist Emmerich Kálmán seine "Csárdásfürstin" gewiss nicht vorgestellt, aber absurd ist das Werk, das mitten im Ersten Weltkrieg im lauschigen Bad Ischl fertig gestellt wurde, natürlich in jeder Hinsicht.

Trauriger Schatten über dem Varieté

Die französische Dirigentin Marie Jacquot begleitete den farbenfrohen Irrsinn recht melancholisch durch alle Lebenslagen, was gut zum Inszenierungskonzept passte. Über der aufgesetzten äußeren Fröhlichkeit mancher Varieté-Szenen lag da auch musikalisch ein trauriger Schatten, eine leise Ahnung von der inneren Verzweiflung der Menschen, die hier vom Schicksal zusammen gewürfelt wurden. Regisseur Marcel Keller sagte übrigens im Interview für das Programmheft, er wolle keines der Paare aus der "Csárdásfürstin" in zwei Jahren noch mal besuchen, was plausibel erscheint, denn das einzige Glück, das hier zelebriert wird, ist das Glück der Davongekommenen, und das hält bekanntlich nicht lange. Mag sein, das diese "Csárdásfürstin" insgesamt etwas unentschlossen ist, nicht richtig düster, nicht richtig satirisch, sondern irgendwas dazwischen, ein Schwebezustand. Aber der war über drei Stunden ausgesprochen kurzweilig - schade, dass das Mainfrankentheater bei weitem nicht ausverkauft war.

Wieder am 5. , 15. und 31. Dezember, sowie viele weitere Termine.