Oh wie schön ist Montana. Das Land des großen Himmels, der endlosen Prärien, Berge und Wälder. Keine Häuser weit und breit: Das ist das Reich der Familie Dutton, seit ihre Vorfahren im Jahr 1883 über den beschwerlichen Oregon Trail hier ankamen.
Die Dutton-Dynastie macht weiter
Jacob Dutton – perfekt besetzt mit Harrison Ford – ist ein grimmiger Endsiebziger, der sicherer im Sattel sitzt als er Treppen hochsteigt. Er und seine irisch-stämmige Frau Cara (Helen Mirren) haben die riesige Yellowstone-Ranch von seinem Bruder geerbt und über harte Winter und eine Pandemie gerettet. Doch in der Welt der Autos und Kühlschränke der 1920-er Jahre findet Jacob Dutton sich nicht mehr zurecht. Es ist Zeit für einen neue Generation der Duttons.
In der Serie "1923", die kurz nach dem ersten Weltkrieg spielt, kündigt sich die kommende Depression bereits an: Die Böden sind von Dürre, Hitze und intensiver Weidewirtschaft ausgezehrt, das Vieh verendet, Insektenplagen ziehen über das Land. Mehr als die Hälfte der Farmer verliert in dieser Zeit ihren Besitz, Banken crashen und reißen den ganzen Staat in eine Jahrzehnte dauernde Krise. Auch Jacob Dutton droht, trotz seiner riesigen Ländereien, alles zu verlieren. Entsprechend trüb und finster ist auch die Tonalität der Serie.
Die epische Familiensaga der Duttons erzählt Serienschöpfer Taylor Sheridan in inzwischen drei sehr unterschiedlichen Western-Serien, beginnend im Jahr 1883 bis in die Gegenwart. Der Kampf um die Yellowstone-Ranch gegen gierige Investoren und wohlhabende Eindringlinge aus den Küstenmetropolen bestimmt auch 120 Jahre später noch das Leben der Duttons. In der Serie "Yellowstone" hat der von Kevin Costner verkörperte Patriarch John Dutton den tugendhaften Pfad seiner Vorfahren längst verlassen: Ihm sind alle Mittel Recht, um seine Macht und das Familienvermächtnis zu erhalten.
Es geht ums amerikanische Selbstverständnis
Die Original-Serie "Yellowstone" gleitet oft ins Melodramatische und Soapige ab. Viel interessanter sind die beiden historischen Serienableger "1883" und jetzt "1923". Sie ergänzen "Yellowstone" mit einer durchaus komplexen Vorgeschichte, kommen aber ohne Vorwissen aus. Alle drei Serien loten das Verhältnis von Macht und Gewalt aus und beleuchten ihren Stellenwert für das US-amerikanische Selbstverständnis.
Seit mittlerweile fünf Staffeln ist "Yellowstone" die in den USA meistgesehene Fernsehserie. Ihr gelingt etwas Seltenes: Sie bringt ein Publikum zusammen, das sich sonst auf wenig einigen kann. Darunter progressive, urbane Zuschauende, die sich nach einem einfachen, naturnahen Leben sehnen, wie es nur in der einsamen Weite des Nordwestens der USA noch möglich scheint. Ein Mythos, den auch "1923" gern und oft mit Landschaftsaufnahmen von vermeintlich unberührter Natur und Wildnis befeuert.
Reichtum auf dem Rücken der Indigenen
Die meisten Fans der Serie leben jedoch selbst auf dem Land, in den konservativen und republikanisch wählenden Red States. Sie erkennen sich in den Duttons wieder, die den Kapitalismus der gierigen Ostküsten-Unternehmer und den Konsumfetisch der Städter ablehnen, und jede Einflussnahme des Staates skeptisch sehen.
Auch wenn die Serien aus dem "Yellowstone"-Universum ihren Fokus auf die Familiengeschichte eines selbstgerechten Antihelden setzen, hinterfragen sie immer auch das bis heute stark romantisierte Bild des Wild-West-Lebens – das die Erfahrungen der indigenen Bevölkerung oft ausblendet.
Zwei Handlungsstränge in "1923" verdeutlichen besonders gut, wie sehr die Wahrnehmung dieser Zeit von persönlichen Privilegien und Status geprägt ist: Ein Spross der Duttons verarbeitet sein Weltkriegstrauma als abenteuerlustiger Großwildjäger in Kenia und trifft dort im kitschig-goldenen Licht der Savanne die Liebe seines Lebens. Währenddessen muss sich unweit der Dutton-Ranch Teonna, ein Mädchen aus dem Stamm der Crow, gegen brutale Misshandlungen und Erniedrigungen in einer katholischen Umerziehungseinrichtung behaupten.
Macht, Geld und zerrissenen Seelen
Obwohl die Duttons sich seit ihrer Ankunft in Montana um ein partnerschaftliches Verhältnis zu der indigenen Bevölkerung bemühen, wird so klar, wie sehr die Familie – und mit ihr das ganze Land – von der Ausbeutung und Entrechtung der Indigenen profitiert. "1923" stellt diese Perspektiven gegenüber und bietet so einen Einblick in die zerrissene, amerikanische Seele. Die fantastischen Landschaften und die gelungene Starbesetzung mit Harrison Ford und Helen Mirren sind da fast zweitrangig.
Die Serie "1923" ist zu sehen beim Streamingdienst Paramount+.
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