In Russland gilt es schon lange nicht mehr als "unfein", sich auf den sowjetischen Diktator Josef Stalin zu berufen. Und so empfiehlt Putins Lieblingsblatt "Komsomolskaja Prawda" (KP) doch tatsächlich "Stalins Rezept", um den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu gewinnen. Gemeint ist damit der Einsatz von Partisanen, also Kämpfern hinter der Front.
Tatsächlich hatte Stalin kurz nach dem Angriff Hitlers im Juni 1941 einen "Volkskrieg" ausgerufen, der allerdings zunächst nicht in Gang kam. Erst ein Jahr später organisierten die Kommunistische Partei und die Sicherheitsbehörden einen "Zentralstab" für Einsätze im Untergrund. Experten schätzen, dass im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Sowjetunion rund 500.000 Einwohner als Partisanen tätig waren, meist in Gruppen von einigen hundert Kämpfern, die sich damals "Volksrächer" nannten.
Russen wollen mit "lernäischer Hydra" ringen
Hauptziel dieser Truppen im Hinterland: Die Versorgung der Wehrmacht zu stören, einerseits durch die Vernichtung von Vorräten, andererseits durch Anschläge auf Schienen und Straßen. Genau das sei auch jetzt wieder wichtig, behauptet der gut vernetzte Militärkorrespondent Alexander Kots von der KP: "Militärische Ausrüstung in die Ukraine wird dreist direkt vom Bahnsteig geliefert, Treibstoff in ganzen Panzerzügen. Bis diese Versorgungskanäle blockiert sind, müssen russische Truppen dieser Lernäischen Hydra den Kopf abschlagen, an dessen Stelle jeweils zwei neue entstehen." Damit bezieht sich Kots natürlich auf das berühmte gift-fauchende Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, das erst von Herakles überwunden werden konnte.
Zwar hätten die Russen bereits einige Brücken und Schienenstränge zerstört, doch bislang mit wenig Erfolg: "Es gibt viele solcher Brücken entlang der Westgrenze der Ukraine. Sie mit Marschflugkörpern zu zerstören ist mühsam. Es scheint, dass die Lösung naheliegend ist – warum nicht Sabotagegruppen einsetzen, die aus örtlichen, pro-russischen Fanatikern zusammengestellt werden könnten?" Stalin habe damit nicht nur der Sowjetunion Vorteile verschafft, sondern auch China und Korea, wohin damals Partisanen geschickt worden seien.
"Anwohner haben kein Vertrauen in Russen"
Eine "Armee zur Wiedergeburt der Ukraine" könne doch hilfreich sein, so Kots, der jedoch gleich einschränkt: "Machen wir uns keine Illusionen. Erstens hatten Korea und China eine gemeinsame Grenze mit der UdSSR, entlang der Militärgüter geliefert werden konnten. Mit Odessa sowie mit den westlichen Regionen der Ukraine hat Russland heute keinerlei Kommunikation. Es ist einfach unmöglich, Partisaneneinheiten unter solchen Bedingungen zu versorgen, selbst wenn sie dort auftauchten."
Natürlich spricht Kots von einer "ukrainischen Terrormaschine", die angeblich jegliche Partisanenaktivität unterdrückt. Etwas ratlos räumt er ein, dass die Russen sich selbst dort schwer tun, Unterstützer zu finden, wo sie bereits vorgerückt sind: "Selbst in den befreiten Gebieten versuchen die Menschen, Sympathien für das russische Militär nicht offen zu zeigen. Ich habe es selbst sowohl in der Region Kiew als auch in Charkow gesehen. Die Anwohner haben einfach kein Vertrauen, dass Russland für immer hier bleiben wird."
"Ukraine nicht mehr dieselbe wie vor acht Jahren"
Solche bizarren Einschätzungen sind allenfalls kulturgeschichtlich aufschlussreich, zeigen sie doch, wie sehr manche Russen in der Gedankenwelt der Vergangenheit verharren und sich an Erfolgsrezepten aus dem "Großen Vaterländischen Krieg" orientieren. Stalin steht dem offenbar nicht im Weg. Obendrein wird deutlich, wie groß die Probleme der russischen Armee sind, die Lage zu ihrem Vorteil zu wenden.
Verblüfft stellen Beobachter wie Alexander Kots fest, dass die Ukraine "nicht mehr dieselbe ist wie vor acht Jahren", als es dort hier und da noch prorussische Demonstrationen gab. Dafür kann es nach Ansicht von Putin-Fans nur einen Grund geben: Unterdrückung. Eine durchaus freiwillige Hinwendung zu Europa und seinen liberalen Werten scheint außerhalb der Vorstellungswelt von Stalin-Nostalgikern zu liegen.
Partisanen vor allem in Belarus
Partisanen übrigens gibt es aktuell vor allem in Belarus, wo sie einige Anschläge auf Bahn-Anlagen verübt haben, um damit russische Versorgungswege zu unterbrechen und der Ukraine zu helfen. "Ich kann sagen, dass diese Menschen echte Helden sind, weil sie ihre Gesundheit und sogar ihr Leben riskiert haben", lobte sie der Büroleiter des ukrainischen Präsidenten und Chef-Propagandist Oleksij Arestowitsch (46) kürzlich.
Auch die Ukrainer setzen nach eigenen Angaben inzwischen hinter den russischen Linien "Partisanen" ein. Sie sollen in Städten wie Brjansk, Orjol, Smolensk und Kursk ebenfalls Eisenbahn-Infrastruktur beschädigt haben. Von russischfreundlichen Partisanen war bisher keine Rede, warum auch immer.
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