Ennio Morricone von hinten, wie er in seinem über und über mit Papieren und Büchern angefülltem Arbeitszimmer "luftdirigert".
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Der Komponist bei seiner kreativen Arbeit: Filmausschnitt aus Giuseppe Tornatores dokumentarischer Reminiszenz "Ennio Morricone - Der Maestro".

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Spiel mir das Lied von... Ennio Morricone: Jetzt im Kino!

Selbst wer ihn nicht kennt, kennt ihn doch: Ennio Morricone, Komponist von über 500 Filmmusiken für Klassiker wie "Spiel mir das Lied vom Tod", "Es war einmal in Amerika" oder "Mission". Jetzt ist der Meister selbst der Held: im Film "Der Maestro".

Seine Werke reichen tief in die Populärkultur. Einer seiner größten Fans ist Quentin Tarantino, für den er 2016 die Oscar-gewürdigte Musik zu "The Hateful Eight" komponierte. Und die Band Metallica etwa eröffnet seit 1983 jedes ihre Konzerte mit seiner Komposition "The Exstasy of Gold" aus dem Film "Zwei glorreiche Halunken". Nun hat der italienische Regisseur Giuseppe Tornatore, bei vielen bekannt durch seinen Kinofilm "Cinema Paradiso", seinem Freund Ennio Morricone eine dokumentarische Reminiszenz gewidmet, zwei Jahre nach seinem Tod.

Morgensport vorm Komponieren

Ein alter, kleiner, schmächtiger Mann mit dünnem Haar und markanter schwarzer Hornbrille auf dem Boden einer elegant eingerichteten römischen Wohnung. Er macht routiniert leichte Gymnastik. Stretching. Dann steht er auf und geht ein paarmal mit flotten Schritten im Kreis durch die Flure des großbürgerlichen Apartments. Bevor er in sein mit Büchern, CDs, Platten und Papierstapeln vollgestopftes Arbeitszimmer kommt, sich an den Schreibtisch setzt und mit Bleistift in der Hand über Notenzeilen beugt.

Ennio Morricone hatte bei der Arbeit einen strengen Rhythmus, erzählt sein Sohn Marco Morricone: "Jeden Tag stand er um 4 Uhr auf und drehte seine Runden. Dann legte er sich auf den Boden und machte seine Übungen. Wie ein Athlet." Strikt und methodisch war der Papa. Die Strenge war anerzogen, erfährt man in dem immer wieder aus viel Archivmaterial, Rückblenden und Statements von Kollegen und Freunden wie Quincy Jones oder Hans Zimmer.

Sein Lehrer wollte ihn im ernsthaften Fach

Hier wird chronologisch das ganze Leben des Maestro Morricone aufgerollt. Die Kindheit, mit dem energischen Vater, einem Berufstrompeter. Natürlich musste auch Ennio am Konservatorium Trompete lernen, wurde dann schnell Studiomusiker beim Radio, bei Platten- und Filmfirmen. 1954 schloss er seine Ausbildung als Komponist bei seinem Lehrmeister Goffreddo Petrassi ab.

Eine lebenslange Mentor-Schüler-Beziehung, die Morricone tief prägte, erzählt sein Sohn Marco: "Meiner Meinung nach könnte man einen Film machen, der sich nur um die Beziehung zwischen Petrassi und meinem Vater dreht. Papa hat viele Jahre lang mit dem inneren Konflikt gelebt, dass er seinen Lehrer betrogen hat, und das hat ihn sehr umgetrieben. Als Petrassi herausfand, dass er unter Pseudonym die Musik zu 'Für eine Handvoll Dollar' geschrieben hatte, sagte er zu Ennio: 'Ich habe dort eine schöne Musik gehört. Aber du wirst wieder zum Ernsthaften zurückkommen. Und dieser Satz hat Papa noch mehr gequält!'"

Sergio Leone – eine Lebensbeziehung

Bevor Morricone 1964 seine jahrzehntelange erfolgreiche Zusammenarbeit mit seinem früheren Klassenkameraden Sergio Leone begann, war er mit Kammermusik und Orchesterwerken in der Avantgarde seines Landes unterwegs. Er bewunderte Stockhausen und John Cage, reiste nach Darmstadt zu den Kursen für neue Musik. Oder arrangierte Pop Songs. Arbeitete unermüdlich.

Mit dem Regisseur Sergio Leone – so erfährt man – verband Morricone mehr als Arbeit, es war eine Lebensbeziehung. Beide wussten genau vom Stellenwert des Anderen für ihre Arbeit. Das erzählt Morricone in Interviewsequenzen, berichtet von der Arbeit an den vielen Giallos, an den Spaghetti-Western, an "Spiel mir das Lied vom Tod". Und von seinen Stilmitteln und Soundelementen, die sich so ganz von der damaligen Filmmusikkonvention unterschieden. Schon bald wollten alle ihre Filme von Morricones Musik begleitet haben.

Ehren-Oscar

Über 50 Millionen Schallplatten verkaufte Morricone weltweit. Er komponierte wie am Fließband, aber immer mit neuen Einfällen, wollte sich stets verbessern und nie wiederholen. Besonders stolz war er auf die Musik zu Roland Joffes Film "The Mission", die 1987 Oscar-nominiert war. Zu seinem großen Missfallen musste er sich aber Herbie Hancock und dessen an Jazztraditionals orientierten Soundtrack zu "Round Midnight" geschlagen geben.

Den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk überreichte ihm dann erst 2007 Clint Eastwood. Und bei seinen späten Tourneen rund um den Globus, bei denen er seine Werke aufführte, jubelten dem ernsthaften Italiener Tausende zu. Sein Sohn Marco: "Ich weiß nicht ob seine Musik die Klassische Musik dieses Jahrtausends ist, ich weiß aber, dass seine Musik für sich steht. Und alles, was für sich steht, hat eine besondere Qualität. Und er hat Musik von hoher Qualität geschrieben."

Vorbild Barockmusik

Seine Vorbilder, so erzählt es der Maestro in dem mit zweieinhalb Stunden etwas ausufernden Film, seien die Barock-Komponisten Frescobaldi, Palestrina und natürlich Bach. Auf den Kontrapunkt gehe eben alles zurück. Vom Innenleben des Komponisten erfährt man in "Der Maestro" leider wenig.

Morricone bleibt das scheue Enigma, dem auch auf der Bühne im ausverkauften Circus Maximus kein Lächeln auskommt. Sein Sohn Marco sagt, er war ein Genie und ein zugleich rätselhafter Charakter voller Geheimnisse. Seine Musik sei der Spiegel seiner Seele.

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