Der Kreml-Sprecher mit Mikro
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Dmitri Peskow

    "Spaltung der Elite": Kreml-Sprecher empört eigene Medien

    Putins PR-Mann Dmitri Peskow hat Ärger mit besonders radikalen Nationalisten, weil er angeblich nicht weiß, was Patriotismus ausmacht. Dem Kreml wird inzwischen seine eigene Propaganda gefährlich, Teile der Öffentlichkeit immer fanatischer.

    Einmal mehr bewahrheitet sich in Russland die Erfahrung, dass Regierungen Opfer ihres eigenen Propaganda-Furors werden können und einmal im Umlauf gebrachte Hasspredigten nicht verhallen, sondern im Gegenteil an Lautstärke zunehmen. Der Kreml jedenfalls scheint über Teile seiner Gefolgschaft keine Kontrolle mehr zu haben, die Spirale des Fanatismus unaufhaltsam, was Verhandlungen nicht gerade einfacher macht und Kompromisse ausschließt.

    Geradezu blutrünstige Fantasien finden sich selbst in "halboffiziellen" Medien wie der Nachrichtenagentur RIA Novosti. Dort schreckt Redakteur Timofey Sergeytsev unter der Überschrift "Was soll Russland mit der Ukraine machen?" selbst vor einem Aufruf zum Massenmord nicht zurück.

    Leider könne man zwischen "schlechter Führung" und "guter Bevölkerung" nicht mehr unterscheiden, da "höchstwahrscheinlich die Mehrheit" der Ukrainer "nazistisch" sei und über Jahrzehnte "umerzogen" werden müsse: "Die Elite muss liquidiert werden, ihre Umerziehung ist unmöglich." Die "Ausrottung" werde ein "rein russisches Geschäft" sein, bei der Verbündete nichts mitzureden hätten. Bemerkenswert ist weniger, dass solche Meinungen am rechten Rand der russischen Politik verbreitet sind, als dass sie jetzt ganz offen ihren Platz auf "Mainstream"-Plattformen finden.

    Verbot der Regenbogen-Fahne gefordert

    Die Aggression richtet sich dabei nicht nur nach außen, sondern auch nach innen: Anderswo wird geschrien, die Regenbogen-Fahne müsse in Russland sofort verboten und das Strafgesetzbuch in Sachen Homosexualität wieder auf den Stand der Sowjetunion gebracht werden. Die "traditionellen" Werte gelte es mit aller Macht wiederherzustellen. Der Krieg wird also auf der Rechten schon lange nicht mehr als Sicherung gegen den NATO-Einfluss verstanden, sondern als geradezu "mythisches" Weltanschauungsdrama, wonach sich das "heilige" Russland des "liberalen Westens" erwehren muss.

    Zoff zwischen Peskow und Kadyrow

    Solche Ansichten scheint zumindest Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (54) nicht zu teilen, denn dann wäre jede Art Verhandlung mit Kiew sinnlos. Genau die jedoch sind ohne durchgreifende militärische Erfolge immer dringlicher: Der Krieg kommt Russland enorm teuer zu stehen, ein "totaler" Sieg, wie ihn sich die Fanatiker herbeisehnen, erscheint mittelfristig ausgeschlossen. So lässt sich erklären, dass Peskow sich verleiten ließ, den TV-Moderator Iwan Urgant (43), der zwischenzeitlich Russland verlassen hatte und mittlerweile zurückkehrte, als "großen Patrioten" zu würdigen. Peskow wollte auch nicht alle Kulturschaffenden, die ins Ausland gegangen sind, als "Verräter" beschimpft sehen. Viele hätten einfach nur Angst gehabt.

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    Wild entschlossen: Ramsan Kadyrow in Mariupol

    Das alles erzürnte wiederum den besonders martialischen tschetschenischen Diktator Ramsan Kadyrow (45), der gerade in Mariupol mit Teilen seiner Truppe auf russischer Seite kämpft und täglich mehrmals "heldenhafte" Botschaften absondert: "Ich wusste es nicht, aber es stellt sich heraus, dass man, um ein Patriot seines Landes zu werden, die Aktionen Russlands kritisieren, ins Ausland gehen und laut und erbärmlich sein muss, um Aufsehen um die eigene Person zu erzeugen. Und dann, wenn sich die Konfrontation abgekühlt hat, kehren sie zurück, als ob nichts passiert wäre."

    Peskow war um eine direkte und öffentliche, etwas schnippische Antwort nicht verlegen. Es sei keine "sachliche, sondern eine ideologische" Diskussion: "Natürlich ist der Wettbewerb, wer patriotischer ist, wahrscheinlich kaum nötig. Besonders in einer Zeit, in der wir alle vereint sein müssen, was ja in unserem Land und um unseren Präsidenten herum unter so schwierigen Bedingungen, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, auch tatsächlich geschieht."

    "Prawda" fordert Machtwort von Putin

    Was von außen wie eine Rechthaberei unter amoklaufenden Ideologen aussieht, erregt die russische Presse ungeheuer. Die "Prawda" schreibt: "Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der russischen Elite haben ein gefährliches Ausmaß erreicht." Putin persönlich müsse seinen Sprecher zur Räson rufen: "Dies entschuldigt den Präsidenten nicht dafür, dass er die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb seines Teams in einem entscheidenden Moment im Leben Russlands nicht kommentiert hat."

    Peskow rede "offensichtlichen Unsinn", wenn er für Verhandlungen mit Kiew sei, das "bedürfe einer Erklärung": "Das Fehlen einer öffentlichen Bewertung der Ziele und des Fortschritts der Spezialoperation demotiviert die Armee und das Volk im Krieg gegen den ukrainischen Nationalsozialismus."

    Politologe: Revolution nur nach schweren Niederlagen

    Der Moskauer Politologe Sergei Markow (63) forderte Kadyrow und Peskow auf, "Frieden zu schließen und sich zu umarmen", denn im Ausland werde Russlands Führung als zerstritten wahrgenommen: "Aus Sicht der Führung des Landes ist es logisch, dass sich Kadyrow und Peskow irgendwo vor Fernsehkameras treffen, um sich beispielsweise bei der Aufführung einer dem Islam gewidmeten Veranstaltung zu umarmen." Kadyrow bezeichnet sich selbst als Moslem und behauptete mal, die Scharia habe für ihn mehr Gewicht als russische Gesetze.

    Vielsagend ist übrigens Markows Vorhersage, dass es in Russland "keine Revolution" geben werde. Begründung: Das sei immer nur nach schweren militärischen Niederlagen der Fall gewesen: "Ein Teil der Elite verließ die Russische Föderation mit Kritik an der Führung, ein Teil verließ sie ohne öffentliche Kritik und ließ die Gelegenheit zur Rückkehr offen. Doch der Großteil der Elite ist geblieben, und nach den auf Umwegen eintreffenden Informationen dürfte sich die Elite vor dem Hintergrund des stärksten Angriffs des Westens auf die Russische Föderation eher konsolidieren als spalten. Jetzt gibt es definitiv eine riesige Unterstützung für Putin, von einer Revolution ist keine Rede. Revolutionen geschehen als Ergebnis von Kriegen, aber nur als Ergebnis großer Niederlagen und dann nach vielen Jahren. Ein typisches Beispiel ist die Revolution von 1917: Drei Jahre nach schweren, schweren militärischen Niederlagen."

    Das legt nahe, dass eine Niederlage Russlands im Ukraine-Krieg für Markow alle Möglichkeiten zum Umsturz eröffnet. In Moskau ist es wieder mal an der Zeit, zwischen den Zeilen zu lesen.

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