Leon in schlabbrigen Klamotten und mit Rucksack über der Schulter trifft am Ostsee-Ufer auf Nadja, die mit einem Fahrrad unterwegs ist.
Bildrechte: Christian Schulz/Schramm Film

Leon (Thomas Schubert) und Nadja (Paula Beer) sind nicht die einzigen, die sich in einem Ferienort an der Ostsee näher kommen.

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Sommerliebe und Apokalypse: "Roter Himmel" von Christian Petzold

Ein Waldbrand färbt den Himmel rot, während sich vier Menschen um die 30 zaghaft näher kommen: Mit seinem neuen Film "Roter Himmel" öffnet sich Regisseur Christian Petzold einer Leichtigkeit, die an die Filme Éric Rohmers erinnert.

Vier Menschen um die 30 verbringen ein paar Tage während des Hitzesommers 2022 in einem Ferienhaus an der Ostsee. Da sind die beiden Freunde Felix und Leon – letzterer ist die Hauptfigur, ein Jungschriftsteller, der die Sommerfrische nutzen will, um seinen zweiten Roman zu beenden. Thomas Schubert spielt ihn als leicht pummeligen, tapsigen Miesepeter, der schnell mit sich unzufrieden ist und seine schlechte Laune dann an den Anderen auslässt.

Außerdem ist da noch Nadja, gespielt von Paula Beer, eine Literaturwissenschaftlerin, die während der Sommermonate Eis an der Strandpromenade verkauft. Dort hat sie David kennengelernt, der am Meer sitzt und als Rettungsschwimmer arbeitet.

Sommer-Romanze mit viel Symbolik

Mit wundersam schwebenden Momenten hat Christian Petzold dieses Aufeinandertreffen von vier relativ jungen Menschen inszeniert – etwa, wenn Felix, Nadja und David draußen im Garten nachts mit fluoreszierenden Schlägern und Bällen noch Federball spielen und Leon, der eigentlich arbeiten will, ihnen von drinnen aus einem dunklen Zimmer sehnsüchtig zuschaut. Die Szene endet überraschend. Leon, der kurz eingeschlafen ist, wacht auf, weil er hört, wie nebenan zwei Sex miteinander haben. Er glaubt, es müssten Nadja und David sein, wie am Vorabend, aber dann hört er Nadja neben sich.

Mit Witz und zugleich einem melancholischen Unterton inszeniert Christian Petzold diesen sommerlichen Beziehungsreigen, und erstmals gibt es in einem Petzoldfilm eine schwule Liebesgeschichte.

Petzold erfindet sich neu

Die Konstellationen wirken nie festgeschrieben – und das passt zu der ausgelassenen Stimmung, die sich in dem Ferienhaus manifestiert. Der Regisseur scheint den Zuschauerinnen und Zuschauern im Kino ein fideles carpe diem zuzurufen, ein: Genießt den Moment, es könnte der letzte sein! "Roter Himmel" überrascht als eigenwillige Kombination aus Ferienfilm und subtil angedeutetem, apokalyptischen Horror: In der Nähe der Ostsee brennen die Wälder, wie das im Sommer 2022 in Norddeutschland tatsächlich vielenorts der Fall war.

Die Idee zu dem Film kam Petzold aber schon zwei Jahre zuvor – während er in Paris an Covid erkrankte, als er dort seinen letzten Kinofilm "Undine" dem französischen Publikum vorstellte: "Ich lag vier Wochen im Bett und in diesen vier Wochen hatte ich Fieberträume, die sich alle im Sommer abspielten. Dann gab es die Waldbrände in der Türkei. Ich bin mit meiner Frau dorthin gefahren und wir haben Waldbrandgebiete besucht. Und dann dachte ich: Lichtungen, nachts, der Wald … ."

Vorbild Éric Rohmer

Christian Petzold hat sich mit "Roter Himmel", seinem 18. Film, neu erfunden. Bekannt ist er für eher statische, strenge Werke – dieser aber strahlt durch die flüssige Montage von Bettina Böhler und die gelenkig wirkende Kamera von Hans Fromm etwas Verspieltes aus, erinnert an die lichten Meereskomödien des Franzosen Éric Rohmer, der für Petzold schon immer ein Bezugsrahmen war. "Roter Himmel" besitzt zudem Momente, die an Shakespeares "Sommernachtstraum" erinnern – und ergänzt das alles noch um eine Prise Dystopie: Die Waldbrände kommen näher, offizielle Ansagen, das Gelände zu evakuieren, sind zu hören, der Himmel strahlt wie im Titel durch die Feuer rot, Sirenen heulen, Asche regnet auf die Idylle herab.

Da schwingen Klimawandel und Artensterben mit, einmal ganz konkret, als man ein Wildschweinrudel durch den Wald flüchten sieht und einem Frischling das Fell brennt. Kurze Zeit später ist das Jungtier tot. Katastrophe und Unbeschwertheit begegnen sich in "Roter Himmel", Leichtigkeit und Bedrohung, Begehren und Tod. Dass das nie schwer wirkt, sondern immer mit Poesie und Zärtlichkeit erzählt wird, ist des Regisseurs große Kunst, die diesmal mit untergründiger Ironie und bisweilen sogar Situationskomik durchsetzt ist.

"Roter Himmel" (Deutschland 2023, 1 Std. 42 Min, Regie: Christian Petzold, mit Paula Beer, Thomas Schubert, Langston Uibel) startet am 20. April in den Kinos.

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