Wer jemals den Spielfilm "All That Jazz" aus dem Jahr 1979 gesehen hat, der weiß, dass Broadway-Legende Bob Fosse nicht nur ein Workaholic war, sondern auch abhängig von Alkohol, Drogen, Sex und öffentlicher Anerkennung. Fosse selbst hat Regie geführt bei diesem mehrfach oscarprämierten Musikfilm, der inspiriert ist von seinem Leben und dessen vielsagender deutscher Titel "Hinter dem Rampenlicht" lautet. Integraler Bestandteil ist unter anderem die sich permanent wiederholende Szene seines Morgenrituals aus Augentropfen, Aufputschpillen und Nikotin, gefolgt von dem Mantra: "It's showtime, folks!"
Mehr Nabelschau geht nicht?
Weitermachen, den körperlichen und mentalen Verfall einfach ignorieren, Bar und Medizinschrank sei Dank: Mehr Nabelschau geht nicht, sollte man meinen. 40 Jahre später ist klar: Da geht noch weit mehr. Denn die achtteilige Miniserie "Fosse/Verdon" zeigt, dass Fosses Karriere ohne seine Ehefrau Gwen Verdon wohl weniger steil verlaufen wäre. Selbst den Serienmachern war Verdons kreativer Einfluss lange Zeit nicht bekannt, erzählt Hauptdarstellerin Michelle Williams. Ursprünglich sollte die Serie lediglich "Fosse" heißen. Nachdem die Produzenten sich allerdings mit Nicole Fosse, der Tochter des Paars, getroffen hatten, sei klar gewesen, dass auch Gwen Verdon eine wesentliche Rolle spielen musste.
Bildrechte: 20th Television
Workaholic mit massivem Drogenproblem: Sam Rockwell als Bob Fosse
Eine Beziehung, so kompliziert wie das Leben
Fosses Suchtverhalten wird auch in dieser Serie thematisiert: Arbeit, Alkohol, Tabletten, unzählige außereheliche Affären – man fragt sich, wie Verdon überhaupt mit diesem Mann verheiratet sein konnte und warum sie sich nie hat scheiden lassen, obwohl das Paar die letzten sechzehn Ehejahre getrennt voneinander mit anderen Partnern lebte. Die Antwort ist so kompliziert wie das Leben selbst. Denn die symbiotische Verbindung zwischen diesem Showbiz-Paar war ein extrem komplexes Gefüge. Fosse-Darsteller Sam Rockwell spricht gar von einer "Co-Abhängigkeit".
Außergewöhnliche Beziehungen verlangen natürlich nach außergewöhnlichen Erzählformen. Die Serie erzählt deswegen nicht chronologisch, sondern schildert in acht Episoden verschiedene wichtige Etappen aus dem Leben der beiden. Mal geht es um berufliche Erfolge, mal ums Scheitern. Eine Episode skizziert Anfang und Ende der Beziehung. Und immer geht es darum, wie sich Verdon und Fosse gegenseitig aus kreativen Löchern helfen – oder sich hineinstoßen. Zusätzlich illustriert wird das Innenleben von Fosse und Verdon durch bekannte Songs aus ihrer gemeinsamen Zeit am Broadway, die mal vom Band kommen, mal direkt in die Handlung eingebunden werden.
Traumata, die verbinden
Eine weitere psychologische Ebene wird durch permanente Zeitsprünge innerhalb der Episoden eröffnet: Sie reichen zurück bis in die Kindheit von Fosse und Verdon und machen ihre Persönlichkeiten noch etwas greifbarer. Nach und nach zeigt sich, dass ihre tiefe Verbindung auch von ähnlichen traumatischen Erlebnissen zehrt. Beide waren in jungen Jahren Opfer sexuellen Missbrauchs, haben von Nahestehenden das Gefühl vermittelt bekommen, nicht gut genug zu sein und kämpfen gegen innere Dämonen.
So plakativ viele dieser Lebenserfahrungen auch inszeniert sein mögen – die Darstellung passt perfekt zu diesem Paar, das für das Rampenlicht lebte. Am Schluss, wenn der Vorhang fällt und Fosse stirbt, ist klar: Der Mann, den Verdon bis zum Schluss geliebt hat, war kein egomanisches Monster, sondern ein Mensch, der das Drama liebte und lebte. So wie sie.
Die Serie "Fosse/Verdon" startet am Karfreitag (2.4.) auf Disney+.
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