Das Lenbachhaus hat seit der ersten documenta 1955 sehr viel mit der Großausstellung zu tun. Bisweilen nicht als Kunstkäufer, sondern auch als Leihgeber. So waren Gemälde von Gabriele Münter, Franz Marc und Robert Delaunay schon in der Sammlung der Städtischen Galerie, als sie zur ersten documenta nach Kassel ausgeliehen worden sind. Damals ging es schließlich darum, dem Publikum wieder die Kunst nahezubringen, die die Nazis als entartet gebrandmarkt hatten. Und da passte auch ein Bild von 1911 wie Franz Marcs "Rehe im Schnee" noch in eine aktuelle Kunstausstellung. Erst seit der Documenta 3 ungefähr zehn Jahre später wird in Kassel fast ausschließlich ganz aktuelle Kunst gezeigt. Museumsleute wie die Ausstellungsmacherin Eva Huttenlauch sind bei den Preview-Tagen bei jeder Documenta dabei:
"Es wurde vor allem wahrgenommen und angeschaut und rezipiert. Und natürlich arbeitet so ein Ausstellungbesuch dann in einer Kuratorin oder einem Kurator. Man hat bestimmte Erinnerung und Dinge, die einen fasziniert haben. Und dann, zeitverzögert, ergibt es sich, dass man Einkäufe tätigt."
Aufbruch in die Moderne
Von der documenta 1 im Jahr 1955 bis zur 14. Ausgabe 2017 reicht das Forschungsfeld dieser Ausstellung. Eindrucksvoll ist eine Wandstatistik, die zeigt, wie viele Übereinstimmungen es in der Sammlung des Lenbachhauses mit der jeweiligen documenta gibt: Bei schwarz umfassten Künstlernamen wurden genau die Werke aus der Weltkunstschau gekauft. Eingekreiste Namen verweisen immerhin darauf, dass sich Arbeiten der Künstlerin oder des Künstlers in der Sammlung befinden, auch wenn diese speziell nicht in Kassel gezeigt worden sind. Bewiesen wird, dass sich das Team vom Lenbachhaus von Anfang an mit der Absicht über die documenta-Ausstellungen bewegt hat, die Sammlung zu erweitern, erklärt Eva Huttenlauch:
"Es wurde gut gesammelt, ja. Wir haben viele ikonische Werke, die sich bei einer der Documenta-Ausstellungen zwischen 1955 und 2017 befunden haben. Und das sind zum Teil Hauptwerke dieser Künstlerinnen und Künstler. Oder im Fall von Imi Knoebel ist es der einzige Film, den er jemals gemacht hat. Also das sind auf jeden Fall Dinge, die man aus der Kunstgeschichte kennt. Oder vielleicht noch nicht kennt, aber kennen sollte. Das ist vor allem frühe Videokunst, Videokunst von Frauen. Das ist in der Tat wichtig."
Zeitgeschichte als Thema der documenta
Schon vom ersten Nachkriegsdirektor des Lenbachhauses Arthur Rümann an, wurde in der Städtischen Galerie bemerkenswert viel Kunst von Frauen gezeigt. Das zeigt sich auch bei den Ankäufen aus der documenta. Allerdings beschränkte man sich fast nur auf deutsche Kreative. Von 1967 an wurde die Weltkunstausstellung immer politischer. Joseph Beuys, aber auch der Schwede Öyvind Fahlström verbanden mit ihren Werken für die documenta in Kassel jeweils eine Botschaft. Bei Fahlström ist es eine Materialcollage gegen den Vietnamkrieg. 1987 und 1992 waren zwei der bedeutendsten Farbflächenmaler Gäste der documenta 8 und 9 Rupprecht Geiger, der in München natürlich gesammelt werden musste, und der Amerikaner Ellsworth Kelly.
"Es gibt auch die schöne Geschichte, dass Ellsworth Kelly mal in München war und sich dann mit Rupprecht Geiger bei einem Abendessen zusammengesetzt hat, die beiden sich aber auch aus früheren Zeiten schon kannten und dann diese beiden Großkünstler sich irgendwie unterhalten haben. Und der schöne Zufall ist in unserer Ausstellung, dass man in zwei benachbarten Räumen auch die Arbeiten dieser Künstler sieht. Man kann, wenn man im Türrahmen steht, sogar beide mit einem Blick sehen.", meint Kuratorin Huttenlauch.
Auch mit der documenta 15 wird kooperiert
Bei der wegen ihres Antisemitismus-Skandals so umstrittenen documenta 15, die in dieser Ausstellung natürlich noch nicht vertreten ist, könnte sich Eva Huttenlauch übrigens eine Kooperation mit der Lumbung-Galerie vorstellen, über die sich das Kollektiv ruangrupa finanziert. Neongelbe Wandtexte sind im Lenbachhaus genauso wichtig wie die durchaus beachtlichen angekauften Kunstwerke. Hier werden nämlich die jeweiligen Weltausstellungen in Kassel charakterisiert. Und akribisch ausgewählte Reaktionen der zeitgenössischen Medien, vor allem der Zeitungen, zeigen, dass jede documenta zu ihrer Zeit mehr als umstritten gewesen ist. Denn, so Kuratorin Huttenlauch:
"Jede documenta war ein Medienereignis und ein Debattierort. Also die Presse war immer zur Stelle und es wurde heftig und rege diskutiert. Meistens nicht nur zur Eröffnung, sondern über mehrere Wochen, die Ausstellung läuft ja immer ungefähr drei Monate. Das ist uns jetzt ganz klar geworden auch durch die Arbeit an dieser Ausstellung, dass die documenta mehr war als sie selbst, mehr war, als nur eine Ausstellung. Sie war ein Ort der Debatte, des Diskurses, der Avantgarde, der internationalen Kunstszene, die sich traf. Aber eben nicht nur das Fachpublikum hat teilgenommen, sondern alle haben darüber diskutiert. Und das kann man jetzt eben aktuell auch wieder wunderbar verfolgen. Also es ist immer Medienspektakel."
WAS VON 100 TAGEN ÜBRIG BLIEB … Die documenta und das Lenbachhaus. Sonder-Ausstellung in Städtischer Galerie im Lenbachhaus, Müchen. Ab 19. Juli 2022
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