"Zukunft? Welche Zukunft? Die Zukunft von jungen Schwarzen heißt Sozialamt oder Gefängniszelle". So desillusionierend wie für den jungen Alex Wheatle in der vierten Folge sieht es zunächst wirklich aus – in all den fünf Geschichten, die Regisseur Steve Mc Queen in seiner BBC Miniserie "Small Axe" erzählt. Diskriminierung in der Schule und auf der Straße, Schikane und Polizeigewalt machen vor allem den jungen männlichen Schwarzen das Leben zur Hölle.
Die Community macht's möglich
Doch irgendwie kriegen McQueens Helden und Antihelden gerade noch die Kurve, sie geben nicht auf, denn irgendeiner oder irgendeine aus der Schwarzen Community steht hinter ihnen. Sie müssen ihren Kampf gegen den Rassismus ihrer Umgebung nicht allein kämpfen. Das ist der kleine helle Streifen am Horizont, der sich trotz aller gezeigten Brutalität gegen die Schwarzen in allen fünf Filmen zeigt.
London zwischen 1968 und 1984
"Small Axe" spielt zwischen 1968 und 1984 und eröffnet in fünf autarken Filmen nach und nach die unterschiedlichsten Lebensbereiche der karibischen Community. Dort, wo sie sich trifft, wo sie diskutiert, feiert und ihre heimischen Gerichte isst, fängt die Serie an: Folge eins heißt "Mangrove", benannt nach dem Restaurant im Migrantenviertel Notting Hill, das der in Trinidad geborene Frank Crichlow Ende der 1960er-Jahre gegründet hat.
"Mangrove": Schwarze Aktivisten formieren sich
"Black Ownership": Schon das Schild im Fenster des Lokals triggert Polizist Frank Pulley. Auf der Suche nach Kriminellen und Prostituierten durchforstet er das "Mangrove" mit seiner Truppe bei zerstörerischen Razzien wieder und wieder, beleidigt Gäste und Personal. Schwarze Aktivisten, darunter die Black-Panther-Anführerin Altheia Jones-LeCointe unterstützen das "Mangrove". Bei einer gemeinsamen Demonstration eskaliert die Gewalt der rassistischen Polizisten: Neun Aktivisten finden sich kurz danach auf der Anklagebank wieder.
"Small Axe" Szene aus Folge 1: "Mangrove"
Akzeptieren wir einen weißen Anwalt? Können wir eine schwarze Jury durchsetzen? Lassen wir uns auf einen Vergleich ein...? McQueen arbeitet in dem Film fein heraus, wie sich die Schwarzen Aktivisten über jede Menge Streitfragen – angesichts der umfassenden institutionellen weißen Übermacht – allmählich zusammenraufen im Zuge des Gerichtsprozesses.
"Lovers Rock" die große Party der karibischen Community
"Lovers Rock": Die zweite Folge der Serie heißt wie die Musik der Einwanderer – eine melancholische Spielart des Reggae – und zeigt eine Hausparty in den 1980er Jahren in West London. Junge Schwarze Frauen machen sich übermütig zurecht, die Jungs bauen gigantische Lautsprecher auf, ein paar Frauen bereiten schon tanzend in der Küche westindische Snacks vor. Dann geht's richtig los: Lachen, Tanzen, Trinken, Schmusen... bis ins Morgengrauen.
"Small Axe" Folge Zwei: Szene aus Lovers Rock
Weiße Zuschauende sind so nah dran, als wären sie fremde Gäste auf dieser Party, auf der die Schwarzen ganz unter sich bleiben – der Eintritt in die Clubs der Weißen ist ihnen untersagt. Die ungeheure Sorgfalt, mit der in "Small Axe" Kostüme und Setting geschaffen, beleuchtet und dekoriert werden, besticht in dieser Folge besonders.
"Red, White and Blue": die Geschichte von Leroy Logan
Der achtjährige Leroy steht in Schuluniform vor den Toren seiner Schule und wartet auf seinen Vater. Zwei Polizisten kommen und durchsuchen ihn. Begründung: "In dieser Gegend gab es in letzter Zeit viele Diebstähle." Als Leroys Vater hinzukommt, verbittet er sich diesen Übergriff auf sein Kind.
Mit dieser Szene beginnt die dritte und wohl härteste Folge von "Small Axe", die auf der wahren Lebensgeschichte des ersten Schwarzen Polizisten in London fußt: Leroy Logan, dem Mitbegründer der Schwarzen Polizistenvereinigung in England. Gegen den erbitterten Widerstand seines Vaters, der selbst einen Prozess gegen rassistische Polizisten anstrebt, die ihn wegen einer Lappalie krankenhausreif geschlagen haben, entschließt sich der promovierte Biochemiker dazu, Polizist zu werden.
Small Axe: John Boyega als Leroy Logan
Voller Idealismus, tritt Logan an, die "Strukturen in der Polizei zu ändern", eine Brücke zwischen der Polizei und seiner Community zu schlagen. Das trifft auf beiden Seiten nicht eben auf Gegenliebe: Die Schwarzen beschimpfen ihn als "Verräterschwein" und "Kokosnuss", die weißen Kolleginnen und Kollegen verweigern ihm die dringend erforderliche Unterstützung bei einem gefährlichen Einsatz. Er erkennt: "Wir müssen einen neuen Weg gehen, aber wenn man das tut, ist man allein." Bleibt er dabei?
"Alex Wheatle": Lernen in der Gefängniszelle
Auch Folge vier von "Small Axe" erzählt eine wahre Geschichte aus der zweiten Einwanderergeneration in England. Die Kindheit und Jugend des später erfolgreichen Kinderbuchautors Alex Wheatle zwischen weißen Pflegefamilien und Kinderheimen.
"Alex Wheatle": Dritte Folge von "Small Axe" . Sheyi Cole spielt den späteren Kinder- und Jugendbuchautor.
Der Reggae holt den Jugendlichen aus seiner unendlichen Einsamkeit heraus, aber verwickelt ihn in die Proteste der Schwarzen. In seiner stinkenden Gefängniszelle bekommt er von einem Rastafari den entscheidenden Rat, der seinem Leben eine andere Richtung gib.
"Education": Empowern durch Verwurzelung
Die fünfte Folge von "Small Axe" führt die Abgründe des britische Bildungssystem vor Augen: Der aufgeweckte zwölfjährige Kingsley gerät wegen einer Leseschwäche in eine Sonderschule, die den Namen Schule nicht verdient. Er merkt selbst, dass er völlig fehl am Platze ist und stößt bei seinem Fluchtversuch auf eine engagierte schwarze Psychologin, die diese britischen Einrichtungen schon auf dem Kieker hatte.
Der zwölfjährige Kingsley wird aus seiner Regelschule geworfen.
Steve McQueen, Kind karibischer Einwanderer
Genau wie seine Helden in "Small Axe" ist der 1969 geborene britische Filmemacher und Oscar-Gewinner ("12 Years a Slave") selbst Nachkomme der "Windrush"-Generation: Das sind die Einwanderer aus der Karibik, die von 1948 an aus dem Commonwealth nach England kamen. England brauchte dringend neue Arbeitskräfte, musste wieder aufgebaut werden. Politisch waren die Immigranten – ähnlich wie die "Gastarbeiter" in Deutschland – erwünscht, doch in der Gesellschaft wurde die Schwarze Community diskriminiert.
Steve McQueen zeigt mit "Small Axe" verschiedene Wege aus wirklich desparaten Situationen und prekären Lagen auf: Bildung und Verwurzelung in der eigenen Community sind die entscheidenden Faktoren fürs Empowerment. Dabei überzeugt er mit seinem Realismus – nicht nur was die sorgfältige Ausstattung aller Settings, und die wunderbar gemusterten Hemden seiner Protagonisten betrifft. Realismus insofern McQueen klar macht, dass seine Protagonisten letztlich Glück hatten. Dass sie noch die Kurve gekriegt haben, verdanken sie anderen, denen sie mehr oder weniger zufällig über den Weg gelaufen sind. So ein Glück kann man nicht erzwingen. Die nüchterne Botschaft: Solange der strukturelle Rassismus andauert, werden es Einzelkämpfer kaum schaffen. "Small Axe" lädt aber auch Weiße dazu ein, die Welt einmal ganz aus der Perspektive einer schwarzen Minderheit zu betrachten.
Die BBC-Serie "Small Axe" läuft ab 18. März auf One und ist von da an ein Monat in der ARD Mediathek abrufbar. Anlass für die Übernahme der sonst bei Amazon gezeigten BBC-Serie ist der Internationale Tag des Rassismus am 21. März.