Porträt des Intellektuellen
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Philosoph Slavoj Žižek

    Slavoj Žižek fordert "demokratische Militarisierung" des Westens

    Der prominente slowenische Philosoph gibt sich einmal mehr streitbar und provokant: Um Putin zu bezwingen, dürfe der Westen nicht nur auf den freien Markt setzen, sondern brauche so etwas wie einen "Kriegskommunismus": "So denken echte, gute Linke."

    Damit wird sich der Philosoph Slavoj Žižek (73) wohl noch mehr Gegner in der politischen Linken einhandeln. Gegenüber dem russischen Exilmedium "Meduza" rechnete er mit all denen ab, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind und nannte ihren Standpunkt "unglaublich dumm", und zwar nicht aus moralischen, sondern aus "logischen" Gründen. Namentlich attackierte er seinen Berufskollegen Noam Chomsky (94): "Die alte Linke denkt immer noch, dass die USA und Westeuropa die wichtigsten Imperialisten sind. Dementsprechend ist 'ihr Feind mein Freund'. Sie klammern sich immer noch an den Glauben, dass Russland den globalen Imperialismus bekämpft." Tatsächlich jedoch herrsche in Russland unter Putin "Neofaschismus".

    "Es braucht staatliche Eingriffe"

    Žižek lobte die deutschen Grünen für ihren "Pragmatismus", weil sie die Loslösung von Russlands Öl- und Gaslieferungen für die ökologische Wende nutzten: "So denken echte, gute Linke." Um die "Leute zu ärgern und zu provozieren" forderte der Intellektuelle die Einführung von "Elementen des Kriegskommunismus" und meinte damit stärkere Eingriffsmöglichkeiten des Staates zum Beispiel im Gesundheitswesen und im Umweltbereich: "Natürlich braucht der Westen keine kommunistische Diktatur."

    Allerdings spricht Žižek von "demokratischer Militarisierung": "Natürlich meine ich nicht die Übergabe der Macht an die Armee. Nur darf man sich während des Krieges nicht dem Zufall des Marktes ausliefern, es braucht staatliche Eingriffe." Die politische und wirtschaftliche Krise, die der Krieg verursacht habe, müsse mit "militärischen Maßnahmen" bekämpft werden. Dagegen nannte Žižek die Auseinandersetzungen um LGBT+-Personen "Pseudokonflikte", die die Menschen "stark spalteten". Leider seien viele Linke davon "besessen".

    "Jede Kritik muss mit Selbstkritik beginnen"

    "Die westliche Ideologie funktioniert so, dass sich das System ständig selbst kritisiert, aber nichts ändert. Wenn dem nicht abgeholfen wird, wird der Westen verlieren", so der Philosoph. Er wirft "fortschrittlichen" Intellektuellen vor, insgeheim mit einem schnellen Triumph Putins gerechnet zu haben, der ukrainische Widerstand habe sie überrascht: "Das ist ein wahres Wunder - sie glauben an ihre Freiheit und kämpfen dafür."

    Russland nannte er ein "sehr traumatisiertes, gespaltenes Land", dessen Fehlentwicklung auch der Westen zu verantworten habe: "Das wird ein wenig stalinistisch klingen, aber jede Kritik muss mit Selbstkritik beginnen. Die Tragödie Russlands besteht darin, dass der Westen in den 1990er Jahren versuchte, ihm gewaltsam ein neoliberales Modell aufzuzwingen. Das direkte Ergebnis ist Putin und der Krieg." Noch wichtiger als ein Sieg über Putin sei es, die Unabhängigkeit der Ukraine zu bewahren. Sie könne langfristig die Demokratisierung Russlands vorantreiben.

    "Gefahren des Zauderns wachsen"

    Mit seinen radikalen Forderungen steht Žižek nicht allein da: Im Fachblatt "Foreign Affairs" forderte der frühere US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul, ein deutlich härteres Vorgehen des Westens. Konkret nennt er "mehr und besseren Waffen, härtere Sanktionen, neue Wirtschaftshilfen, größere Bemühungen der öffentlichen Diplomatie und ein glaubwürdiges Engagement für den Wiederaufbau nach dem Krieg". Die rund 300 Milliarden US-Dollar, die aus den Reserven der russischen Zentralbank im Ausland beschlagnahmt wurden, sollten "an die Regierung der Ukraine transferiert" werden.

    McFaul fürchtet, dass ein langwieriger Krieg Gefahr laufe, die öffentliche Unterstützung im Westen zu verlieren. Vor allem US-Präsident Joe Biden werde dann "Schwierigkeiten" haben, neue Hilfspakete für die Ukraine zu schnüren, weil ihm dafür die Zustimmung aus dem Kongress fehlen werde: "Die Gefahren einer Politik des Zauderns wachsen mit der Zeit."

    "Anzeichen von Verantwortungslosigkeit"

    Ganz anders bewertet der aus Indien stammende Kolumnist Pankaj Mishra in der "Washington Post" die Rolle des Westens. Er kritisiert, dass "mangels öffentlicher Debatten" keineswegs sicher sei, ob eine Mehrheit der westlichen Bevölkerung eine Verschärfung der Konfrontation mit Russland unterstütze. Es gebe lediglich einen "Konsens zwischen Denkfabriken und Mainstream-Medien". Die Bilanz der letzten Jahre sei jedenfalls "unangenehm", was Einmischungsversuche angehe: "Alle großen Länder des westlichen Bündnisses waren an militärischen Fiaskos beteiligt, die ganze Regionen Asiens, des Nahen Ostens und Afrikas verwüsteten."

    Mishra kritisiert eine "bizarre Vergesslichkeit", weil Deutschland nach zwei Weltkriegen abermals "Ausrüstung auf die alten Schlachtfelder" schicke: "Auch die Zukunft der Ukraine als Demokratie wird trüber, wenn man das jüngste Schicksal von Ländern betrachtet, die mit Waffen und Dollars überschüttet wurden. Die Ukraine, eines der korruptesten Länder der Welt vor dem Krieg, scheint weiter von der Aussicht auf eine ehrliche und rechenschaftspflichtige Elite entfernt zu sein."

    Der Kolumnist sieht "Anzeichen von Verantwortungslosigkeit" bei westlichen Institutionen, die ihre militärische Präsenz im Ausland stärkten und gleichzeitig gegen Wirtschaftskrisen ankämpften: "Das ist die deutlichste Warnung, dass wir vor einem umfassenderen Flächenbrand stehen."

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