Bildrechte: Jean-Marc Turmes/Deutsches Theater

Nachdenklich: Lean Fargel

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Singen nach dem Attentat: "Ba-Ta-Clan" im Deutschen Theater

Der Titel einer Kurzoperette von Jacques Offenbach wurde zum Inbegriff des Grauens: Im gleichnamigen Pariser Theater starben beim Attentat 2015 neunzig Menschen. Wie geht das mit satirischer Unterhaltung zusammen? Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Zwei weitreichende Folgen hatte die Uraufführung von Jacques Offenbachs nur einstündiger Kurz-Operette "Ba-Ta-Clan" im Jahr 1855: Der Komponist feierte damit einen Riesenerfolg und bekam daraufhin die Chance, an größeren Theatern zu arbeiten, und, zehn Jahre später, benannte sich ein Pariser Vergnügungsetablissement nach der Operette mit dem berühmt gewordenen Marsch: Bataclan. Am 13. November 2015 starben dort neunzig Menschen - das kann niemand vergessen, der Offenbachs Satire heutzutage auf die Bühne bringt. Aber geht das überhaupt, ein heiteres, ironisches Singspiel mit dem Gedenken an die Opfer in Einklang zu bringen? Regisseur Frieder Kranz hatte vor der Premiere am Deutschen Theater in München daran erhebliche Zweifel.

Also ich hatte eine Menge Material, und im Dezember habe ich gedacht, diesmal bekommst du das Material nicht zusammen. Wie soll man das schaffen - irgendwie? Dann dachte ich, wir machen das mit dem Attentat nicht, aber das geht gar nicht! Dann haben wir versucht, dass zu bauen und zu basteln, und dann kam meine Dramaturgin mit dem Buch von Antoine Leiris, was man ja nicht lesen kann, ohne dass einem ständig die Tränen fließen, gerade, weil es so unsentimental und so direkt ist, und dann wusste ich, ich will das irgendwie einbauen. - Frieder Kranz

"Meinen Hass bekommt ihr nicht"

Und so lakonisch und unsentimental wie das ganze Buch von Antoine Leiris mit dem berühmt gewordenen Titel "Meinen Hass bekommt ihr nicht" war denn auch die eingeschobene Lesung aus einem von ihm damals gesendeten Facebook-Post. Leiris verlor beim Attentat seine Frau, das gemeinsame Baby wurde dadurch zur Halbwaise. Eine erschütternde Geschichte, wie auch die aller anderen Opfer, aber das Bataclan wurde bekanntlich genau ein Jahr nach dem Massaker wieder eröffnet, 2016, mit einem Konzert von Sting, und bei Jacques Offenbach, da tanzen und singen die Darsteller, obwohl ihnen in einem fiktiven China, womit in Wahrheit das damalige Frankreich gemeint war, die Todesstrafe droht.

Ja, es gab dieses Attentat, aber die Geschichte ist größer und mehr und das Leben ist stärker als das. Und darum geht´s letztlich, an diesem Haus hier, dem Deutschen Theater, und darum geht es für uns alle immer wieder. - Frieder Kranz

Junge Sänger für eine bessere Zukunft

Beeindruckend, wie die vier Studenten der bayerischen Theaterakademie diese eigentlich unmögliche Mini-Operette "Bataclan" stemmen. Joana Lissai, Lean Fargel, Chris Young und Julian Schier sind gerade durch ihre Jugend besonders geeignet, den schwierigen Spagat zwischen Unterhaltung und Erinnerung zu meistern, denn junge Menschen stehen für eine bessere Zukunft, für Toleranz, für Aufbruch und Erneuerung. Und so singen, tanzen und steppen sie sich durch Offenbachs bizarre und mutige Abrechnung mit der französischen Republik, die die Armen immer ärmer, die Reichen reicher machte. Aktuelle Bezüge sind mit Sicherheit kein Zufall.

Choral in Todesangst

Klar, Offenbach lässt seine Darsteller auch noch in Todesangst satirisch den Choral singen: "Ein feste Burg ist unser Gott" - nicht Luther sollte damit zum Gespött gemacht werden, sondern der damals äußerst populäre Groß-Komponist Giacomo Meyerbeer. Seine "Hugenotten" singen den Choral, bevor sie in der gleichnamigen Oper ermordet werden - jetzt, nach dem Attentat auf das Bataclan, längst keine Satire mehr, sondern ein Fanal.

Wenn wir auf der Bühne anfangen zu leiden, dann heulen die Zuschauer nicht. Ich will auch gar nicht, dass die Zuschauer während der Vorstellung weinen. Ich will, dass sie nach Hause gehen und sich vielleicht an diesen Moment später noch einmal erinnern. Die Trauer gehört genauso zum Leben wie die Freude, und wenn die Zuschauer einmal geschluckt haben und einmal gelacht, dann haben wir schon viel geschafft. - Frieder Kranz

Ernste Miene, munteres Spiel

Christoph Weinhart begleitete diesen so nachdenklichen wie - ja, tatsächlich - auch vergnüglichen Abgesang am Flügel mit ernster Miene, aber munterem Spiel. Die Trommeln von Bataclan sollen berühren, aufrütteln, empören. Bessere Menschen, das wusste Jacques Offenbach, machen sie garantiert nicht.

Wieder am 16., 17., 23. und 24. März 2018