Russischer Funktionär im Porträt
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Gegen die Menschenrechte: Valery Fadejew

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"Sie stehen im Weg": Russlands Kampf gegen Menschenrechte

Aus Moskaus Sicht sind Menschenrechte nur eine "Waffe" des Westens zur Unterdrückung "alternativer Sichtweisen". Kreml-Politiker Waleri Fadejew regt sich in grotesker Weise über "unabhängige Individuen" auf und warnt die Russen vor "Zwietracht".

Eigentlich soll er in Putins Russland dafür sorgen, dass die Menschenrechte gewahrt bleiben, doch Waleri Fadejew scheint von den Errungenschaften der Aufklärung nicht mehr sonderlich überzeugt zu sein. In einem Interview mit den kremlnahen "Moskowski Komsomolez" machte er kein Hehl aus seiner Verachtung angeblich "westlicher" Werte und bezeichnete Menschenrechte als "Ideologie", die nur dazu diene, sich "in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen". Es stelle sich für ihn die Frage, inwieweit Menschenrechte wirklich "universell" sein könnten, wie es in der entsprechenden UNO-Charta nachzulesen ist.

"Wollen sie uns bombardieren?"

Konkret nennt Fadejew den Streit um die Familienpolitik. In vielen Gegenden der Welt, etwa in Russland, Asien und im arabischen Raum gehörten zu einer "Familie" Mann, Frau und Kinder. Im Westen dagegen mache sich eine "progressive LGBT-Ideologie" breit: "Was werden sie machen, wenn wir die nicht übernehmen? Uns bombardieren?" Im Islam sei den Menschen ein "anständiges Begräbnis" wichtig, in Afrika zähle der Einzelne nur, soweit er sich in die Gemeinschaft einfüge, sonst existiere er gar nicht, behauptete der vermeintliche "Menschenrechtler". Er nannte auch die Vielehe als Norm in manchen Erdteilen, die es von außen nicht in Frage zu stellen gelte.

"Als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte [im Dezember 1948] angenommen wurde, stimmten alle dem Pathos zu, obwohl die Vorstellung von einem autonomen Individuum die Grundlage der westlichen Ideologie ist. Aber damals störte sie nicht im alltäglichen Leben. Jetzt fängt sie an, im Weg zu stehen", so Fadejew verblüffend freimütig. Eine UN-Charta müsse jedoch "einigen" und nicht "Zwietracht säen".

"Propaganda" oder Soziologie?

Ein Dorn im Auge ist Fadejew speziell der "Welt-Werteindex", der regelmäßig auf der Basis von Meinungsumfragen aktualisiert wird. Damit versuchen Sozialforscher herauszufinden, welche Nationen überwiegend traditionellen Vorstellungen verbunden sind und welche besonders fortschrittliche Ansichten vertreten. Kriterien sind zum Beispiel Familienbilder und der Umgang mit gesellschaftlichen Themen wie Genderpolitik, Kinderreichtum und Sterbehilfe. Russland findet sich auf der neuesten Karte der Wertvorstellungen in der Nachbarschaft von Ländern wie Serbien, Belarus und der Ukraine wieder. Auch die orthodox geprägten Staaten Griechenland und Bulgarien sind mentalitätsmäßig demnach nicht weit entfernt. Das alles ist aus Fadejews Sicht nur "Propaganda", keine Soziologie.

Deutschlands "mentale Nachbarn" sind auf der erwähnten Karte übrigens Kanada und Großbritannien. Auch Österreich, die Schweiz, Frankreich und Australien teilen demnach ähnliche Auffassungen.

Russland verlangt "Entpolitisierung"

Fadejews bizarre Einlassungen zur UN-Charta passen zu den jüngsten Äußerungen des russischen Vertreters bei der UN in Genf, Jaroslaw Eremin. Für ihn dienen Menschenrechte nur der Unterdrückung "alternativer Standpunkte". Der Westen wolle nur von eigenen "chronischen Problemen im Bereich der Menschenrechte" ablenken. Eine ähnlich zweifelhafte Position vertrat die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die sich darüber aufregte, dass die UN die Zerstörung ukrainischen Kulturguts durch die russische Armee anprangerte. Die Menschenrechte müssten "entpolitisiert" werden, verlangte die Diplomatin. Außer "grundlosen Angriffen auf Russland" hätten die Vereinten Nationen nichts zu bieten.

Volker Türk, der Hochkommissar für Menschenrechte der UNO, beklagte in Genf das Verschwinden der Zivilgesellschaft in Putins Russland und nannte als Indizien das Verbot regimekritischer Zeitungen und Verbände: "Mehr als 180 Strafverfahren wurden wegen angeblicher Verleumdung der Streitkräfte eröffnet; unter den Verurteilten waren ein Journalist und ein Gemeinderat. Seit Dezember kann jede Person oder Organisation, die als 'unter ausländischem Einfluss' stehend gilt, was eine zu breite und vage Definition ist, als 'ausländischer Agent' bezeichnet werden und zahlreichen Beschränkungen unterliegen."

Prigoschin verlangt "Gerechtigkeit statt Demokratie"

Tatsächlich steht der Kreml auf dem Standpunkt, dass Menschenrechte nur dann Gültigkeit haben, wenn sie dem autoritären Regime nutzen. Söldnerführer Jewgeni Prigoschin fasste das kürzlich auf eine Frage der "New York Times" in dem absurden Satz zusammen, der Westen wolle "Demokratie", Russland jedoch kämpfe für "Gerechtigkeit", wobei er nicht ausführte, wie das zu verstehen sei. Die kremlnahen Vordenker, wie Alexander Dugin und der Monarchist und milliardenschwere Medienzar Konstantin Malofejew predigen jedoch allesamt einen quasireligiösen Mystizismus, der sich auf byzantinische Traditionen beruft und damit denkbar weit entfernt ist von den Menschenrechten, die in der Französischen Revolution ausgerufen wurden.

Dugin: "Menschenrechte sind mit Blut befleckt"

"Nach den Regeln der dämonischen Sekte der Globalisten zu spielen, bedeutet im Vorhinein zu verlieren", sagte der rechtsextreme Dugin schon 2016, zum Jahrestag der "Erklärung der Menschenrechte" in der Französischen Revolution: "Wenn wir die Ideologie der Menschenrechte oder der Zivilgesellschaft, also die Ideologie des Liberalismus, für selbstverständlich halten, werden wir schlicht das Gift schlucken, das uns erledigen wird." Menschenrechte seien seit 1789 mit "Blut befleckt", argumentierte der einflussreiche Philosoph mit Blick auf die damals hingerichteten Priester und Adeligen. Nebenbei bezeichnete Dugin den berühmten Polit-Klassiker "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" des liberalen deutschen Philosophen Karl Popper als "schwarze Bibel", weil sie alle Gegner der Menschenrechte zu "Ausgestoßenen" mache.

Tatjana Moskalkowa, die "Menschenrechtskommissarin" der Russischen Föderation, war sich nicht zu schade, ihre eigene Aufnahme in die EU-Sanktionsliste vom 25. Februar als "Verstoß gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" zu bezeichnen. "Die Russen bringen Güte und Gerechtigkeit in die Welt. Im Gegensatz dazu bestehen die Amerikaner aus Bosheit", hatte der für zahlreiche Kriegsverbrechen und massive Menschenrechtsverletzungen mitverantwortliche Prigoschin schon im Sommer 2021 verkündet.

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