Der Dirigent am 22. Juli beim Konzert in Salzburg
Bildrechte: Barbara Gindl/Picture Alliance

Teodor Currentzis

    "Sie sind keine Soldaten": Russland-Versteher prägen Salzburg

    Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis gilt als so genial wie umstritten: Er lässt sein Orchester von einer kremlnahen Bank sponsern. Trotzdem halten ihm die Salzburger Festspiele die Treue: Es gebe schließlich keine "Kollektivschuld".

    Das dürfte ein besonders flauschiges Kuschel-Interview geworden sein: Für den Sender Servus-TV befragte der ehemalige Intendant der Wiener Staatsoper, Ioan Holender (87) den hoch umstrittenen Dirigenten Teodor Currentzis (50) über dessen Verhältnis zu Putin und dessen Regime. Das Gespräch soll am 4. August ausgestrahlt werden, wurde aber über die österreichische Nachrichtenagentur APA auszugsweise bereits veröffentlicht.

    Demnach soll Currentzis, der sein in Nowosibirsk ansässiges Orchester MusicAeterna auch von Geldern der russischen VTB-Bank sponsern lässt, gesagt haben, das Wort Demokratie bedeute ihm viel: "Es bedeutet, dass jeder Mensch über sich selbst entscheiden kann. Und ich habe diese Entscheidung zu akzeptieren und zu respektieren. Nur wenn wir so denken, kommen wir voran und können die Zukunft verbessern. Wenn wir die Ideen des anderen nicht akzeptieren, tappen wir in eine Falle und landen in einem anderen System. Und wir kennen dieses System sehr gut aus der Vergangenheit." Sich in der Kommunikation mit anderen Menschen "frei zu fühlen", sei für ihn ein "Menschenrecht".

    "Sie sind nicht verantwortlich"

    Currentzis hatte sich bisher höchst ausweichend oder gar nicht über sein Verhältnis zum Putin-Regime geäußert, was ihm viel Kritik bescherte. Der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, nahm den gefeierten Dirigenten und dessen russische Musiker-Kollegen in der "New York Times" jedoch in Schutz: "Sie sind keine Soldaten. Sie sind nicht verantwortlich für das, was passiert. Es gibt keine Kollektivschuld." Bereits zuvor hatte Hinterhäuser gegenüber österreichischen Medien Currentzis als "Gegenmodell von Putin" beschrieben. Der Künstler habe sich nie auch nur im geringsten mit dem russischen Präsidenten gemein gemacht. Es gelte immer im Auge zu behalten, dass allein das Wort "Krieg" in Russland unter Strafe stehe.

    Ähnlich sieht es Ioan Holender, der sich bereits im April auf Servus-TV darüber ereiferte, dass ein Benefiz-Auftritt von Currentzis auf Druck des ukrainischen Botschafters in Wien nicht stattfinden konnte: "Dass der Botschafter eines fremden Staates in Österreich bestimmt, wer und was in einer österreichischen Kulturstätte gespielt werden darf, ist neu und der Gipfel kultureller Unfreiheit."

    Holender fordert "rasche Einigung mit Putin"

    Im österreichischen "Kurier" wetterte Holender jüngst gegen "Auftrittsverbote" für Anna Netrebko und den Putin-Freund und millionenschweren Star-Dirigenten Valery Gergiev. Bei der Gelegenheit nahm er auch Teodor Currentzis gegen "westliche Medien" und einen "deutschen Journalisten" in Schutz: "Den Krieg in der Ukraine wird dies alles nicht beeinflussen oder gar verkürzen. Im Gegenteil, solange die Staaten in der EU, angeführt und von den Vereinigten Staaten unter Druck gesetzt, weiterhin Waffen über die NATO der Ukraine geben, verlängert sich der Krieg. Die Sanktionen schaden uns nicht minder als jenen, gegen die sie gerichtet sind."

    Die USA würden "Druck machen" auf Europa, um ihr "viel teureres und durch umweltschädliche Art und Weise gewonnenes Gas" verkaufen zu können, so Holender, der anfügte: "Als die USA vor Jahren Nordvietnam überfallen hatten und die Menschen dort mit verbotenem Giftgas umbrachten, reagierte der europäische Westen genauso wenig, wie als sie den Afghanistan- und den Irakkrieg auslösten. Nur eine rasche Einigung mit Putins Russland, ohne Druck und Verfolgung von beiden Seiten, kann dem Leiden in der Ukraine ein Ende setzen. Das sagt uns allein der normale Menschenverstand."

    Castellucci: "Einfach nur schamlos"

    Wie der österreichische "Standard" meldete, stärkte auch der prominente Regisseur Romeo Castellucci seinem Künstlerkollegen Currentzis den Rücken: "In Russland riskieren Sie für bestimmte Dinge Ihr Leben. Das ist kein Scherz. Viele russische Künstler*innen sind Geiseln Putins, gelähmt von dem Dilemma, ob sie ihr Land für immer verlassen oder Putin verurteilen sollen. Andere aufzufordern, sich quasi selbst zu verbrennen, während man es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat, ist einfach nur schamlos."

    Die österreichische "Presse" reagierte mit Ironie auf die aufgeregte Debatte um Currentzis: "Kontaminiert, das ist bestimmt das richtige Wort für die Atmosphäre, die mit staunenswerter Selbstgerechtigkeit, aber ohne wirkliche Grundlage seit dem Beginn des russischen Raubkriegs von den Feuilletons gar nicht weniger Qualitätsmedien geschürt und verbreitet wird. Ist halt eine saftige Geschichte. Mit Kummer und Scham sieht man, wie kaum ein Rezensent den Kotau vor den Wortführern dieses infamen Mobbings verweigert, und kaum eine Kritik von Currentzis' Auftritten erscheint ohne den düster raunenden Hinweis auf unangenehme Fragen, die an ihn zu stellen wären."

    Demo und Pfiffe für Ehrengäste

    Ungeachtet der Debatte um ihn wurde Currentzis bei der Premiere der beiden Opern-Einakter "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók und Carl Orffs szenischem Endzeit-Oratorium "De temporum fine comoedia" mit Beifall bedacht. Allerdings gab es vor dem Salzburger Festspielhaus eine "kleine Demonstration", bei der "Wölfe im Schafspelz" kritisiert wurden. Laut "Salzburger Nachrichten" gab es noch die so viele "Pfiffe und Buh-Rufe" beim Eintreffen der Gäste. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer hatte abgesagt.

    "Es wäre falsch, Currentzis zu bestrafen"

    Matthias Naske, der künstlerische Leiter des Wiener Konzerthauses sagte der "New York Times", in seinem Saal werde Currentzis erst wieder auftreten dürfen, wenn er "eine völlig unabhängige Finanzierung des Orchesters gesichert" habe. Damit ist dann wohl eine Trennung von der kremlnahen VTB-Bank gemeint, die vom britischen "Guardian" sogar als "Privatbank" von Putin bezeichnet wurde. Allerdings zeigte sich auch Naske solidarisch mit dem Dirigenten: "Teodor Currentzis ist ein Ausnahmekünstler, der die Kraft der Musik nutzt, um für humanistische Werte einzustehen. Er fühlt sich verantwortlich und hält an seinen Ensembles in Russland fest, die er dort aufgebaut hat. Es ist falsch, ihn dafür zu bestrafen, dass er seine Musiker nicht im Stich gelassen hat."

    Louwrens Langevoort, der Intendant der Kölner Philharmonie, wird mit dem Satz zitiert, Currenztis sei sich "wirklich bewusst, dass etwas getan werden" müsse: "Der Druck kam von allen Seiten und er wollte – aus Sicherheitsgründen für alle in Russland lebenden Parteien – keine Erklärung abgeben."

    "Grenzte für mich an Lächerlichkeit"

    Der österreichische Multimedia-Künstler und Bühnenbildner Peter Hans Felzmann (72) mokierte sich unterdessen über den Umgang mit Star-Sopranistin Anna Netrebko: "Allein die Aktion mit Anna Netrebko grenzte für mich an Lächerlichkeit. Sie hat zwei Staatsbürgerschaften – die österreichische und die russische –, durfte aber kurzfristig hierzulande nicht mehr auftreten, weil sie in Russland geboren ist. Durch diesen realitätsfernen und dummen Ausschluss verbeugt man sich im Grunde vor den Machthabern. Man sollte eigentlich sagen: 'Kein Problem, ihr dürft natürlich auftreten, denn ihr macht Kunst und keinen Krieg.' Die Künstler kann man nicht in Geiselhaft nehmen, nur, weil ein Mensch dort agiert wie ein Wahnsinniger."

    Aktuelle Debatten, neue Filme und Ausstellungen, aufregende Musik und Vorführungen... In unserem kulturWelt-Podcast sprechen wir täglich über das, was die Welt der Kultur bewegt. Hier abonnieren!