Das kann sich kein Schriftsteller ausdenken: Alexander Subbotin, ehemals einer der wichtigsten Manager im Lukoil-Konzern, soll sich bei einem Schamanen-Ehepaar in Mytischtschi nordöstlich von Moskau wegen seiner Alkoholsucht in "nicht-traditionelle" Behandlung mit "okkulter Komponente" begeben haben. Dabei wurden nach Informationen russischer Medien auch "Krötengift" und "Hahnenblut" eingesetzt - in der Tat "seltsame Umstände".
Beim zweiten Besuch soll Subbotin "Herzprobleme" bekommen haben. Die Schamanen wollten dem Vernehmen nach keinen Arzt rufen, sondern gaben dem Oligarchen ein unbekanntes Mittel und legten ihn auf ein Bett, wo er kurz darauf gestorben sein soll. Die Polizei ermittelt.
Nach Angaben der "Moskowski Komsomolez" (MK) reiste Subbotin mit vier Autos und mehreren Personenschützern an. Demnach soll er von den Schamanen in einem Kellergeschoss nach und nach auf "Entzug" gesetzt worden sein. Die Wachen sollen den nötigen Wodka besorgt haben. Wegen seines Suchtdrucks soll Subbotin in einem unbeobachteten Moment eine Flasche Kölnisch Wasser und eine Flasche des Schlafmittels Corvalol getrunken haben.
Langjähriger Lukoil-Chef zurückgetreten
Subbotin ist ehemaliges Vorstandsmitglied von Lukoil Trading House LLC, einer Tochtergesellschaft des gigantischen russischen Ölkonzerns. Später wurde der Top-Manager Eigentümer der New Transport Company (NTC) in der Stadt Wyssozk in der Nähe der finnischen Grenze. 2020 wurde NTC von Alexanders älterem Bruder Valery Subbotin übernommen, der zuvor als Vizepräsident auch eine der führenden Positionen im Lukoil-Konzern innehatte. Der Verstorbene soll ein Milliardenvermögen hinterlassen.
Bemerkenswert ist der Todesfall auch deshalb, weil Subbotins Bruder Valery als "Kronprinz" im Lukoil-Konzern galt. Der bisherige Chef Wagit Alekperow (71) war am 21. April nach 29 Jahren an der Spitze zurückgetreten und kurz darauf von Putin mit einem Verdienstorden ausgezeichnet worden. Zuvor hatte der Lukoil-Vorstand den Angriff auf die Ukraine zum Verdruss von kremlnahen Medien als "tragisches Ereignis" bezeichnet und seine diesbezügliche "Besorgnis" geäußert. Zur Begründung für seinen Rücktritt hatte der aktuell auf zehn Milliarden US-Dollar Vermögen geschätzte Öl-Magnat Alekperow behauptet, er wolle nicht, dass die gegen ihn verhängten britischen Sanktionen die "Entwicklung des Unternehmens" beeinträchtigten.
Vier Gazprom-Topmanager sind tot
Dass führende russische Wirtschaftsbosse und Spitzenpolitiker regelmäßig bei sibirischen Schamanen vorbei schauen, darunter auch Wladimir Putin (69) und Verteidigungsminister Sergei Shoigu (66), ein guter "Kumpel" des Präsidenten, ist kein Geheimnis. Der jüngste Vorfall wirft jedoch abermals ein grelles Licht auf die "Todesliste" von Top-Managern, die immer länger wird. Gerüchte blieben nicht aus: Von den sechs prominenten Fällen der jüngsten Zeit haben vier einen Bezug zum Gazprom-Konzern.
Bruder des Toten: Valery Subbotin
Am 30. Januar wurde in Leninsky der 60-jährige Leonid Shulman tot aufgefunden, der Leiter der Logistikabteilung von Gazprom Invest. Der Mann wurde im Badezimmer seines eigenen Hauses entdeckt. An der Wannenwand hing ein Zettel, in dem der Verstorbene über unerträgliche Schmerzen in einem gebrochenen Bein klagte. Am 25. Februar machte der 61-jährige Alexander Tjujakow Schlagzeilen: Er lag tot in der Garage. Tjujakow arbeitete als stellvertretender Generaldirektor des Unified Settlement Center von Gazprom (der Finanzabteilung des Unternehmens) für Unternehmenssicherheit. Die Behörden sprachen von einer Selbsttötung.
Angeblich war es "Eifersucht" - Zeugen gibt es keine
Am 18. April fand in Moskau ein angebliches "Familiendrama" im Zusammenhang mit einem anderen Gazprom-Mitarbeiter statt. Wladislaw Awajew (51), Vizepräsident der Gazprombank, wurde in seiner Wohnung am Universitetsky Prospekt im Südwesten Moskaus leblos entdeckt. Neben ihm kamen auch seine Frau Elena und seine 13-jährige Tochter Maria um. Es hieß offiziell, es habe sich um einen Doppelmord mit anschließendem Suizid aus "Eifersucht" gehandelt, Zeugen gibt es keine.
Mikhail Watford, ein russischer Oligarch ukrainischer Herkunft, wurde erhängt in der Garage seines luxuriösen Anwesens Wentworth in der britischen Grafschaft Surrey aufgefunden. Die Polizei nannte den Tod "ungeklärt", lehnte aber die Vermutung ab, dass der 66-jährige Milliardär Selbstmord begangen haben könnte. Am 21. April wurde Novatek-Topmanager Sergei Protosenja (55) tot in seiner Villa in der spanischen Stadt Lloret de Mar aufgefunden. Auf dem Gelände des Hauses wurden auch die Leichen seiner Frau Natalya und ihrer 18-jährigen Tochter gefunden. Die Hintergründe der Todesfälle sind ungeklärt.
"Nur Künstler können Krankheiten inszenieren"
Ukrainische und kremlkritische Medien spekulieren seit Wochen, Putin persönlich könne seine Hand im Spiel haben. Die Verstorbenen hätten zu viel über die finanziellen Machenschaften des Kreml gewusst. Ernstzunehmende Fachleute verweisen auf die Zeit des Stalinismus, als sich der Geheimdienst darin übte, Mordanschläge wie "natürliche Tode" aussehen zu lassen. Überläufer Walter Kriwitzki (1899 - 1941) soll den Amerikanern einst gesagt haben, "jeder Dummkopf" könne einen Anschlag ausführen, aber nur "wahre Künstler" seien in der Lage, eine "Krankheit zu inszenieren". Stalin selbst kam im März 1953 möglicherweise durch das blutgerinnungshemmende Rattengift Warfarin ums Leben, das ihm Geheimdienstchef Lawrenti Beria verabreicht haben könnte - aber das ist bis heute hoch umstritten.
"Kann ja sein, dass ich am Kreml zugrunde gehe"
Banken-Milliardär Oleg Tinkow (54), der den Angriff auf die Ukraine scharf kritisiert hatte und dafür seiner Ansicht nach von Putin "enteignet" wurde, hält sich irgendwo in Großbritannien an einem unbekannten Aufenthaltsort versteckt und fürchtet nach Informationen aus dem russischen Sicherheitsapparat ebenfalls, auf einer "Todesliste" zu stehen: "Ich fühle mich wie in Geiselhaft", sagte er der "New York Times". Tinkow leidet an Leukämie: "Aber kann ja sein, dass ich am Kreml zugrunde gehe." Natürlich sei er sich immer darüber im Klaren gewesen, dass Putins Regime "schlecht" sei, so Tinkow, habe sich jedoch nicht vorstellen können, welches "katastrophale Ausmaß" das annehmen würde. Eine diesbezügliche Anfrage der "New York Times" ließ der Kreml unbeantwortet.
Angesichts des neuesten Todesfalls beim Schamanen und der bekannten Attentate mit dem schwer nachzuweisenden Gift Nowitschok, etwa am 20. August 2020 auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny, sind der Fantasie allerdings jetzt wirklich keine Grenzen mehr gesetzt.
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