"Der Gemeine Lumpfisch": Ein roter Fisch vor dem Hintergrund einer futuristischen Stadt-Skyline unter einem düsteren, türkisen Himmel
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Droht, dem Handel mit Ausrottungszertifikaten zum Opfer zu fallen: "Der Gemeine Lumpfisch"

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Sci-Fi-Satire als Hörbuch-Podcast: "Der Gemeine Lumpfisch"

Emissionszertifikate? Waren gestern. Morgen sind: Ausrottungszertifikate! Die irrwitzige Sci-Fi-Satire "Der Gemeine Lumpfisch" gibt es jetzt als Podcast mit Stefan Kaminski. Autor Ned Beauman sieht die Welt nicht weit entfernt von seiner Dystopie.

Über dieses Thema berichtet: radioTexte am .

Diese Geschichte ist sehr böse, sehr unterhaltsam – und leider ziemlich überzeugend. Die Idee: So wie es heute Emissionshandel gibt mit den Rechten, CO2 auszustoßen, gibt es im BR Podcast "Der Gemeine Lumpfisch" auf Grundlage des gleichnamigen Romans des britischen Schriftstellers Ned Beauman in nicht sehr ferner Zukunft "Extinktionshandel". Handel mit den Rechten, einer Tierart den letzten Lebensraum wegzubaggern, wenn da halt leider dringend Rohstoffe erschlossen werden müssen. Quasi Ausrottungszertifikate.

"Also, was ist das für ein Fisch? Ein hässlicher kleiner Scheißer mit fiesem Gebiss. Kein großer Verlust, wie es sich anhört." Aus: "Der Gemeine Lumpfisch" von Ned Beauman

Nicht weit entfernt von der Realität

Er wünschte, er habe das alles erfunden, sagt der Autor, tatsächlich aber sei fast jedes Detail beim System der Ausrottungszertifikate im Buch nur eine kleine Übertreibung echter Klima-Finanz-Instrumente: "Zum Beispiel gibt es in den USA dieses 'wetlands banking'. Wenn sie auf Ihren schützenswerten Feuchtgebieten eine Fabrik bauen wollen, dürfen Sie das – vorausgesetzt, Sie bezahlen jemand anderen dafür, dass er auf seinen Feuchtgebieten keine Fabrik baut. Das ist nicht genau dasselbe wie 'Ausrottungszertifikate', aber auch nicht so weit weg davon", so der Autor.

Ned Beauman ist detailversessen, klug, und er liebt den schwarzen Humor. Er hat sich in die Wirkungsweisen des Klimahandels hineingefuchst für dieses Buch, in die Entstehung von Intelligenz bei Fischen und in zahlreiche andere Themen. Und natürlich spielt auch Künstliche Intelligenz in seiner Zukunft eine bedeutende Rolle. Die Menschheit werde am Ende wohl nur eine Fußnote in der Geschichte der Intelligenz sein, sagt er. Immerhin – sie habe die KI erfundenen, was ihr hoffentlich einen gewissen Bonus verschaffe.

"Ich könnte es dir erklären, aber dazu müsste ich deine Intelligenz erheblich steigern. Möchtest du das?" Aus: "Der Gemeine Lumpfisch" von Ned Beauman

Ein intelligenter und rachsüchtiger Fisch

Der Gemeine Lumpfisch seinerseits, dem in diesem Roman alle hinterherhetzen, ist – oder, möglicherweise, war – der intelligenteste Fisch des Planeten. Für "Umweltverträglichkeitskoordinator" Mark Halyard ist er nur von Bedeutung, weil Mark sein Vermögen auf nicht mehr vorhandene Zertifikate verwettet hat. Fisch-Aktivistin Karin Resaint dagegen verfolgt eine radikale Tierrechte-Agenda. Die beiden bilden das ungleiche Paar bei dieser Fisch-Jagd durch ein zukünftiges Europa, und sie brauchen eine Weile, bis sie die Motive des jeweils anderen überhaupt verstehen können.

"Der Grund, warum Ihnen diese Fische so viel bedeuten, ist also, dass sie rachsüchtig sind wie koreanische Straßenschläger?" Aus: "Der Gemeine Lumpfisch" von Ned Beauman

Unauffällig führt der Roman uns in eine Grundsatzdebatte, der man sich schwer entziehen kann, schon weil man viel zu atemlos den immer neuen, aberwitzigen Wendungen folgt. Eine Debatte zum Umgang des alles zur Ware machenden Menschen mit der Natur. Und zur Verantwortung der einen dominierenden Art für die anderen Arten. Beaumans schwarze Bilanz: Menschliches Versagen auf ganzer Linie, aber mit unglaublich viel Aufwand und Marketing. Dennoch läuft beim Lesen zwangsläufig der Gedanke mit, dass sich sehr viel erreichen ließe, wenn all diese Marketing-Energien tatsächlich in Artenschutz gesteckt würden.

Argumentative Strenge und beste Unterhaltung

Der Brite macht das sehr geschickt. Auch ein Großer Panda spielt eine Rolle im Lobby-Zirkus des behaupteten Umweltschutzes. Pandas aber lieben alle – das sei zu einfach, sagt der Autor. Deswegen der rachsüchtige Fisch im Zentrum, Venemous Lumpsucker auf Englisch, kongenial übersetzt mit Gemeiner Lumpfisch. Eine Spezies, halb erfunden, halb wie die echten, wirklich sehr intelligenten Putzerfische. "Es ist absolut entscheidend, dass es nicht um eine Tierart geht, die man knuddeln kann", so Beauman. "Deswegen habe ich mit Absicht diesen Fisch erfunden, uncharismatisch, kann stechen, fieser Job, als Putzerfisch knabbert er an der toten Haut anderer Fische rum – aber wenn wir uns philosophisch streng mit der Ausrottung von Arten befassen, dann muss man die Gefühle ausblenden. Nur weil keiner diese Art mag, heißt das ja nicht, dass man sie weglassen könnte."

Diese argumentative Strenge übersetzt "Der Gemeine Lumpfisch" direkt in beste Unterhaltung. Dabei bleiben Roman wie Lesung trotz der hochtourigen Erzählweise beunruhigend nah am Alltag 2023, zwischen Klimaschutz, Ignoranz und Gier. Das Panorama reicht von Philosophie bis Finanzmarkt, vom Rache-Fisch bis zum Sabotage-Pilz, vom Menschen bis zur Künstlichen Intelligenz. Und eine Art Elon Musk taucht auch auf.

Stefan Kaminski liest die Sci-Fi-Satire mit Bravour und quasi mehrstimmig. Er hetzt mit uns, Karin und Mark durch ein klimaerwärmtes Europa voller Greenwashing und Weltrettungskapitalismus.

Sehr schräg, sehr relevant.

Jetzt als Hörbuch-Podcast: "Der Gemeine Lumpfisch"

Sci-Fi-Satire um miese Deals und tote Tiere. 13 Folgen mit Stefan Kaminski. Regie: Kirsten Böttcher. Jetzt kostenlos in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt. Und ab dem 25. Mai im Radio bei Bayern 2 in den radioTexten.

"Der Gemein Lumpfisch" von Ned Beauman ist in der Übersetzung von Marion Hertle bei liebeskind erschienen.

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