Eine Aufklärungsdrohe kurz vor dem Start
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Russischer Soldat mit Drohne

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Schock-Video löst Debatte aus: So grausam ist der Drohnen-Krieg

An vorderster Front gebe es keinen "Humanismus", argumentierte ein russischer Kommandant und stellte "zum Beweis" ein Video ins Netz. Darin wird eine Drohnen-Bombe auf einen ukrainischen Soldaten geworfen: Roboter sehen keine Kapitulation vor.

An der Front sei alles "ganz einfach", so der russische Oberst Artem Zhoga: "Niemandem käme es in vorderster Reihe in den Sinn, über Ethik, Humanismus und [den Moralisten und Schriftsteller Leo] Tolstoi nachzudenken." Die "ewige Debatte" über Menschlichkeit im Krieg werde "in aller Ruhe" nur weit weg von der Schlacht geführt, etwa im Netz. Um zu zeigen, was er damit konkret meint, stellte Zhoga Aufnahmen einer Kampfdrohne in seinen Blog, die vielfach kopiert wurden und nicht nur die russische Öffentlichkeit schockierten.

Darin ist ein offenbar verletzter ukrainischer Soldat zu sehen, der sich auf allen Vieren über ein offenes Feld schleppt. Als er sieht, dass über ihm eine Drohne fliegt, hebt er betend seine Hände zum Himmel. Doch der Drohnen-Pilot löst per Fernsteuerung die Bombe aus. Sie explodiert direkt neben dem bewegungsunfähigen Mann, über dessen weiteres Schicksal nichts bekannt wurde.

"Meilenstein für moralischen Fortschritt"

Der Vorfall ist in mehrfacher Hinsicht beklemmend. Infanteristen sind in der "neuen Art von Krieg" zunehmend von Mini-Drohnen gefährdet, die zielgenau Bomben mit rund fünfzig Gramm Sprengstoff abwerfen können. Zahlreiche schwer erträgliche Blogger-Videos beider Seiten dokumentieren das. Mit den Mini-Angriffen sollen zum Beispiel Scharfschützen und MG-Posten ausgeschaltet werden. Der militärische Vorteil der Drohnen: Sie können ihre tödlichen Bomben direkt über Schützengräben oder offene Luken von Panzern auslösen. Da die Piloten dieser Drohnen viele Kilometer entfernt sind, können sich die Soldaten, die von den Kameras als Ziel erfasst werden, nicht mit erhobenen Händen ergeben. Die Roboter sehen keine Kapitulation vor, sondern sind eine moderne Weiterentwicklung der Lenkmunition.

Im Drohnenkrieg ist es schier unmöglich, Gnade walten zu lassen, Mitleid zu zeigen: Derjenige, der sie steuert, kann aus der Distanz schwerlich Gefangene machen. Dies vorausgesetzt, mutet es grotesk an, was Ethik-Experten über Drohnen schreiben: "Gemessen an Bombern, Marschflugkörpern und ganz offensichtlich an Massenvernichtungswaffen, wird die Drohne in der Geschichte der Kriegsführung wohl als echter Meilenstein für moralischen Fortschritt in Erinnerung bleiben", schreibt Philosophieprofessor Daniel Statman. Sein Argument: Mit Drohnen würden die eigenen Soldaten geschont.

"Können Roboter Bedenken haben?"

Der russische Roboter-Fachmann Nikolai Kim hatte bereits 2015 die Frage gestellt, ob es jemals möglich sein wird, einer künstlichen Intelligenz moralische Bedenken einzuprogrammieren. Wenn Drohnen vollautomatisch nach Zielen suchten, könne es keine Skrupel geben, während der Mensch an der Fernsteuerung immer noch selbst entscheiden könne, ob er die Bombe auslöse oder nicht. Wer Mitleid empfinde, werde Milde walten lassen, andere würden eine "endgültige" Lösung bevorzugen: "Wie legt man solche Regeln fest? Das können wir nicht, und bis jetzt hat das auch niemand getan, außer hinreichend selbstbewusste Mächten wie die Vereinigten Staaten. Ich glaube nicht, dass sie mit dieser Art von Entwicklung das Richtige tun."

Weniger skeptisch zeigt sich die Moskauer Wirtschaftshochschule. Dort wurde vor wenigen Tagen ein neuronales Netzwerk präsentiert, dass nach Angaben der regierungseigenen Nachrichtenagentur TASS alle Gesetze mit Hilfe künstlicher Intelligenz moralisch einordnen könne. Das Parlament habe schon Interesse signalisiert. Wenn Gesetzestexte maschinell nach ethischen Gesichtspunkten bewertet werden können, dürfte es nicht mehr weit sein, bis auch Waffen entsprechend "begutachtet" werden - fragt sich nur, welche Algorithmen das Sagen haben.

"Krieg ist nun mal beängstigend"

Schon 2013 hatte der Ethiker Paul W. Kahn in einem aufsehenerregenden Artikel für das "European Journal of International Law" solchen Sichtweisen energisch widersprochen. Für ihn sind Drohnen "Killerroboter", die nicht das moralische Recht haben, Soldaten zu töten, weil das Risiko in diesem Fall völlig ungleich verteilt sei. Aus moralischer Sicht hätten Soldaten vor allem einen Grund, feindliche Kräfte auszuschalten: Die Selbstverteidigung. Für Maschinen gelte das aber gerade nicht. Drohnen hätten damit aus seiner Sicht mehr mit dem skrupellosen Machtpolitiker Niccolò Machiavelli zu tun als mit Philosophen wie Immanuel Kant oder berühmten Kriegstheoretikern wie Carl von Clausewitz.

Im Übrigen seien Drohnen auch deshalb ungemein gefährlich, argumentierte Ex-Pentagon-Experte Gregory Allen, weil sie Kriege in Zukunft generell wahrscheinlicher machten. Wenn Roboter gegen Roboter kämpften, könnten manche Regierungen weniger "Schwellenangst" vor bewaffneten Konflikten haben.

"Im besten Fall Idioten"

"Der Schwerpunkt der humanitären Bedenken sollte auf der Fähigkeit der Drohne liegen, legitime militärische Ziele von schutzbedürftigen Zivilisten zu unterscheiden und ihre Angriffe nur gegen erstere zu richten", schrieb Rechtsexperte Hitoshi Nasu von der amerikanischen Militärakademie in West Point. Dass es allerdings schwer ist, sich einer Maschine zu ergeben, räumte er in einem Interview mit dem "Christian Science Monitor" freimütig ein: "Nun, Krieg ist nun mal sehr beängstigend."

Nachdem der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu kürzlich zwei Kampfpiloten auszeichnete, die eine amerikanische Langstrecken-Drohne über dem Schwarzen Meer kentern ließen, meinte der Sprecher des US-Sicherheitsberaters, John Kirby: "Ich kenne kein anderes Militär auf der Welt, keine andere Air Force auf der Welt, die einen Piloten dafür auszeichnen würde, dass er eine Drohne zerschmettert. Wenn das Tapferkeit ist, dann haben sie wohl eine andere Definition davon. Es ist lächerlich, es ist beschämend." Im besten Fall seien die Kampfpiloten aus seiner Sicht "Idioten". Auch dies ein skurriler Hinweis darauf, wie Drohnen ethische Maßstäbe in jeder Hinsicht verschieben.

"Wirklich schlechte Nachrichten"

Russische Militärblogger klagen darüber, dass ihr Land keine eigenen Drohnen herstellt und diesbezüglich dem Westen technisch weit unterlegen sei. Ständig wird in russischen Blogs zu Geldspenden zur Anschaffung von Drohnen aufgerufen, da die Armeeführung offenbar keine oder zu wenig zur Verfügung stellt. Generäle, die sich skeptisch über Drohnen geäußert hatten, werden als begriffsstutzig und vergreist verspottet. Die Ukraine profitiere von Drohnen deutlich mehr als von Leopard-Panzern, so die russischen Fachleute, denn die hochmobile elektronische Aufklärung aus der Luft ermögliche den dortigen Verantwortlichen eine superschnelle und präzise Kommunikation. Das seien "wirklich schlechte Nachrichten".

Bei der erwarteten Gegenoffensive der Ukraine würden vermutlich massenhaft Kampf- und Aufklärungsdrohnen eingesetzt: "Dass der Gegner Tag und Nacht eine bestimmte Anzahl fliegender Killer über dem Schlachtfeld halten kann, ist praktisch garantiert." Dabei werden die Drohnen immer billiger: Eine australische Firma entwickelte bereits Fluggeräte aus Pappe, die als Bausatz an die Ukraine geliefert werden und auf dem Schlachtfeld leichte Fracht transportieren können. Gegen Niederschläge ist die Oberfläche der Drohnen gewachst.

Alle Vergleiche mit dem Zweiten Weltkrieg hätten sich erledigt, schärft der Blogger Alexander Chodakowski seinen russischen Landsleuten ein. Sie verharrten viel zu lange im "stereotypen Denken" der alten Zeit, obwohl die modernen Waffensysteme längst völlig neue Tatsachen geschaffen hätten. Außerdem sei Russland rein personell nicht mehr in der Lage, viele hundert Kilometer Front zu halten, was sich angesichts der stark sinkenden Geburtenrate auch in Zukunft nicht ändern werde.

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