Der Fall hat alle Zutaten für einen modernen Kunstkrimi: undurchsichtige Hauptfiguren, Bilder im Wert von hunderten von Millionen und die Frage nach staatlichem Recht oder Unrecht. Die Geschichte vom völlig isoliert lebenden Kunstsammler Cornelius Gurlitt und seinen rund 1.500 exquisiten Bildern ging um die Welt.
Kontrolle im Zug
Angefangen hat alles mit einer Zugfahrt und viel Bargeld. Zwischen Zürich und München kontrollieren Zollbeamten einen allein reisenden, nervös wirkenden älteren Herrn. Der Mann im grauen Mantel ist um die 70 und hat 9.000 Euro in den Taschen.
Wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung beantragt die Staatsanwaltschaft deshalb einen Durchsuchungsbefehl für seine Adresse in München. Die Beamten entdecken rund 1.280 Kunstwerke. Darunter wertvolle Werke von Beckmann, Dix, Marc, Matisse und Renoir.
Überzogen reagiert?
Cornelius Gurlitt hatte sie von seinem Vater Hildebrand Gurlitt geerbt. Der war im Dritten Reich ein offiziell beauftragter Verwerter von sogenannter „Entarteter Kunst“. Die Polizei beschlagnahmt daraufhin die Bilder, mit Verdacht auf Raubkunst. Das Vorgehen der Behörden ruft massive Kritik von Gurlitts ehemaligem Anwalt, dem Kunstexperten Hannes Hartung hervor:
"Der Fall ist ein skandalöses versagen der Behörden, denn sie haben meinem Mandanten sein Eigentum ohne rechtliche Grundlage entwendet.“ Hannes Hartung im Bayerischen Rundfunk
Kaum Raubkunst in der Sammlung
Die Überprüfung der Sammlung hinsichtlich Raubkunst ist tatsächlich nicht sonderlich ergiebig: Bis heute hat sich nur bei sechs Gemälden der Raubkunstverdacht bestätigt. Aktuell wurde das Werk „Porträt einer sitzenden jungen Frau“ des französischen Malers Thomas Couture seinem rechtmäßigen Besitzer zugeordnet. Es handelt sich um den ehemaligen französischen Minister Georges Mandel, der unter der Naziherrschaft in Frankreich ermordet wurde.
Intimes Verhältnis zu den Bildern
Für Cornelius Gurlitt waren die Bilder Familienerbstücke, zu denen er in geradezu intimes Verhältnis hatte. Gurlitt, der unauffällig von gelegentlichen Verkäufen aus seiner Sammlung lebte, hat den Verlust seines Erbes nicht verkraftet: Er starb als gebrochener Mann im Mai 2014 in München und vermachte seine Sammlung dem Kunstmuseum in Bern. Wut über die Behandlung der deutschen Behörden habe ihn dabei angetrieben, meint sein Ex-Anwalt.
Zwei Ausstellungen: "Gute" und "böse" Bilder
In einer Doppelausstellung in Bern und Bonn werden Besuchern jetzt Teile des Gurlitt-Nachlasses präsentiert. Die Bundeskunsthalle Bonn konzentriert sich dabei auf Bilder, bei denen die Herkunft noch nicht vollständig geklärt ist - die also noch mit Raubkunstverdacht behaftet sind. Diese Ausstellung hält Hannes Hartung für absolut unangemessen.
"Es ist ein weiteres Unrecht, dass hier dem Andenken von Cornelius Gurlitt widerfährt." Hannes Hartung im Bayerischen Rundfunk
Außerdem zeige der Fall Gurlitt, dass endlich ein Raubkunstgesetz geschaffen werden müsse, das den rechtmäßigen Besitzern ausreichende juristische Möglichkeiten einräume, so der Anwalt weiter.
Das Kunstmuseum in Bern zeigt ausschließlich Exponate, deren Herkunft geklärt ist. Der Fokus liegt hier auf Werken der Moderne, die von den Nazis als "Entartete Kunst" bezeichnet wurden, weil sie nicht der NS-Ideologie entsprachen.
Gurlitt lebte mit der Lüge
Die Frage, wer in diesem Krimi der Böse ist, bleibt offen. Der Eigenbrötler Gurlitt hatte die wertvollen Werke der Öffentlichkeit entzogen, weil seine Eltern angeben hatten, die Sammlung sei beim Bombenangriff auf Dresden verbrannt. Mit dieser Lüge lebte er.
Fragwürdiges Vorgehen des Staates
Das Vorgehen des Staates erscheint mehr als fragwürdig. Nach heutigem Wissensstand fehlte die Grundlage, um dem Sammler sein Eigentum zu entziehen. Die Geschichte endet also wie viele moderne Krimis - ohne Gewinner. Oder vielleicht doch: Die Öffentlichkeit hat von dem Fall profitiert. Jetzt kann sich jeder selbst ein Bild von den verloren geglaubten Kunstwerken machen.