Archivbild: Harry Belafonte
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Calypso-König und Bürgerrechtler: Harry Belafonte gestorben

Er definierte die Weltmusik neu, nicht nur den Calypso-Stil, der ihn 1954 berühmt gemacht hat. Unverdrossen suchte er das "Island In The Sun" und kämpfte gegen Rassismus. Jetzt ist Harry Belafonte mit 96 Jahren gestorben.

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Als er am 31. August 1958 das erste Mal nach Deutschland kam, war Harry Belafonte vom "grauen und grimmigen" Berlin trotz des ganz großen Rummels am Flughafen Tempelhof und einem Autocorso durch die Innenstadt zunächst nicht gerade begeistert, ganz im Gegenteil: "Der Schrecken war noch zu frisch", erinnerte er sich in einem Interview mit der "Kölnischen Rundschau" zu seinem 85. Geburtstag. Das konnten auch die zahlreichen Reporter und Schaulustigen nicht vergessen machen, die ihn empfingen. Wie groß die Aufregung an der Spree war, können sich Interessierte heute jederzeit in der ARD-Mediathek ansehen: Für Weltstars war das eventhungrige Berlin schon immer leicht zu begeistern. Als er vor seinem Hotel ein "seltsames Rufen" hörte, fragte sich Belafonte allerdings, ob das etwa "Sieg Heil"-Geschrei war. Tatsächlich feierten ihn seine Fans, und das nachfolgende Konzert sei die "eigentliche Erleuchtung" gewesen. Nach dieser Erfahrung hatte er mit Deutschland überraschend schnell seinen Frieden gemacht.

Geboren 1927 in New York City als Sohn eines Matrosen von der Insel Martinique und einer jamaikanischen Arbeiterin, verbrachte Belafonte ab 1932 seine Jugendzeit bei seiner Oma auf der Heimatinsel der Mutter, wo er beobachtete, wie die Beschäftigten auf den Plantagen schufteten und sich mit Rum und Gesang wachhielten: "Musik erleichterte ihnen die schwere Arbeit. Sie kannten Tausende Lieder, sangen Tag und Nacht", so Belafonte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung: "Und eines davon war der 'Banana Boat Song'. Auf den besann ich mich später, als Künstler in New York. Ich erinnerte mich daran, dass er so vielen Menschen Freude bereitet hatte." Tatsächlich landete er mit dem "Banana Boat Song" später seinen ersten musikalischen Millionen-Erfolg: Der Titel hielt sich 1957 in Deutschland 24 Wochen in den Charts, kletterte sogar auf Platz 1, das Album "Calypso" wurde zum Mega-Seller. In den USA war das Aufsehen nicht geringer.

Harry Belafonte
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Calypso-König und Bürgerrechtler: Harry Belafonte gestorben

In Lehre bei Erwin Piscator

Im Zweiten Weltkrieg hatte Belafonte ab 1944 in der US-Marine gedient, musste jedoch nicht ausrücken an die Fronten nach Übersee. Mit dem Geld, das er wie alle Soldaten zum Abschied erhielt, finanzierte er einen Theater-Workshop an der "New School for Social Research" in Manhattan, die vom deutschen Regisseur Erwin Piscator geleitet wurde und an der damals auch spätere Superstars wie Tony Curtis, Marlon Brando und Sidney Poitier ihre Ausbildung absolvierten. Vor allem habe er dort viel über die "Dramaturgie einer Show" gelernt, so Belafonte rückblickend.

Zum Vorbild von Belafonte wurde der schwarze Schauspieler und Bürgerrechtler Paul Robeson, der schon für die Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg gesungen hatte, wegen seiner Sympathien für den Kommunismus zeitweise auf der "Schwarzen Liste" der US-Sicherheitsbehörden stand und de facto in der "McCarthy-Ära" Auftrittsverbot hatte: "Er hat mir gewissermaßen das Rückgrat eingezogen, während Martin Luther King mir die Spiritualität gegeben hat."

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Promis für Bürgerrechte: Harry Belafonte beim "Marsch auf Washington" 1963 (rechts)

Überraschend schnell wurde Belafonte mit Hits wie "Mary´s Boy Child" und "Cocoanut Woman" zum gefeierten Sänger und Schauspieler, trat in eher seichten Filmen wie "Carmen Jones" (1954) und "Heiße Erde" auf (1957), aber auch im Western "Der Weg der Verdammten" (1971). Der "kometenhafte" Aufstieg war für den jungen Belafonte naturgemäß nicht nur großartig, verriet er dem "Spiegel": "Auf einmal fliegt Dir alles zu: Geld, Drogen, Mädchen. Und zwar in einem absurden Ausmaß. So sieht die Hölle aus - in Verkleidung des Himmels." Die Bürgerrechtsbewegung wurde fortan seine "Ersatzdroge", so Belafonte. 1963 war er beim "Marsch auf Washington" mit viel Hollywood-Prominenz in der ersten Reihe.

Um einschätzen zu können, wie rückständig die Gesellschaft in jenen Jahren noch war, sei auf den "TV-Skandal" verwiesen, den Belafonte und Petula Clark in einer Fernsehshow am 2. April 1968 auslösten. Weil die weiße Sängerin kurzzeitig den Arm des schwarzen Kollegen fasste, drehte der reaktionäre Vertreter des Sponsors der Sendung, ein Tochterunternehmen von Chrysler, völlig durch. 48 Stunden nach dem eigentlich völlig nebensächlichen Vorfall wurde Martin Luther King in Memphis/Tennessee ermordet. Belafonte hatte für den Vorkämpfer gegen Rassismus, auf den bereits mehrere Attentate verübt worden waren, eine Lebensversicherung abgeschlossen: "Die Versicherung wollte sich erst weigern. Aber ich hatte schon so viel Geld bei ihnen gelassen, für meine Filme, mein Haus, die Angestellten meiner Firma, dass sie sich nicht leisten konnten, mich zu verlieren."

"Habe sehr früh begriffen, mich nicht zu beugen"

Belafonte hatte sich bereits 1960 in den Wahlkampf von John F. Kennedy eingemischt und war dabei trotz seiner Unterstützung des Demokraten realistisch geblieben. "Wir brauchten ihn, wussten aber nicht, was wir wirklich von ihm zu halten hatten", so Belafonte im Februar 2011 im "Spiegel"-Gespräch. Kennedy habe "auch nicht gerade die moralische Flagge geschwenkt", als er ins Weiße Haus gekommen sei: "Letztlich hat die Geschichte Kennedy geformt, nicht umgekehrt." Am Abend von Kennedys Amtseinführung am 20. Januar 1961 durfte Belafonte bei der Gala auftreten, seiner Einschätzung nach ein "unbeschreibliches" und "unwiederholbares" Erlebnis, denn der Weg dahin war steil: "Man hat mich als Kommunisten bezeichnet, was ich nicht bin, aber das in Amerika nun mal das aller schlimmste Schimpfwort ist. Kommunist, Sozialist, Moslem, Christ, all diese Titel. Ich habe sehr früh begriffen, dass man sich dem nicht beugen oder unterordnen muss. Dass man keine Angst davor haben muss, seine Meinung und seine Überzeugungen gegen andere zu vertreten."

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Belafonte beim Gay Pride in New York City

In den siebziger und achtziger Jahren wurde es eher ruhig um Belafonte, der zeit seines Lebens immer wieder unbekannte Talente förderte, die später Weltstars wurden, angefangen von Bob Dylan und Nana Mouskouri bis hin zu Miriam Makeba. Erst in den Neunzigern wurde der "King of Calypso" von einem jüngeren Publikum wiederentdeckt. Im Vordergrund stand immer das Engagement für Emanzipation, jedes Konzert war auch eine Solidaritätsveranstaltung. 2002 veröffentlichte Belafonte eine Anthologie aus fünf CDs über die Geschichte der schwarzen Musik: "The Long Road to Freedom". Der Bogen spannt sich dabei von afrikanischen Kriegsgesängen des 17. Jahrhunderts über die Musik der Sklaven im amerikanischen Süden bis zur Entstehung des Blues und Gospel um 1900.

Trump nannte er einen "Blödmann"

Die einzige neuere musikalische Stilrichtung, mit der Belafonte persönlich etwas anfangen konnte, war der Rap. Politisch allerdings blieb er hellwach und auf der Höhe der Zeit. So sagte er der "Süddeutschen Zeitung" anlässlich des Erscheinens seiner Lebenserinnerungen "My Song" 2011: "Amerika hat den moralischen Kompass verloren, und auch Barack Obama hat seine moralische Mitte noch nicht gefunden. Wir müssen ihn weiter treiben und treiben."

Als Donald Trump 2017 US-Präsident wurde, sah Belafonte das "Vierte Reich" heraufziehen und kurz vor der letzten Wahl meldete sich der Sänger in der "New York Times" zu Wort, um vor der Wiederwahl von Trump zu warnen, den er einen "Blödmann" nannte (flimflam man). Dieser habe den Amerikanern in der Pandemie ihre Leben, ihren Wohlstand und ihre Sicherheit genommen: "In seiner Unwissenheit oder Gleichgültigkeit oder vielleicht auch absichtlich scheint Trump nicht den Unterschied zu verstehen zwischen gemachten und gehaltenen Versprechungen." Die Schwarzen hätten gelernt, nur denen zu vertrauen, die in den "schlimmsten Stürmen" an ihrer Seite stehen und bewiesen hätten, dass sie ehrliche Freunde sind, nicht nur taktisch denkende Wahlkämpfer.

Am Dienstag ist Harry Belafonte im Alter mit 96 Jahren an Herzversagen gestorben, wie seine Agentur mitteilte.

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