So viele Glückwünsche bekam Alla Pugatschowa (73) noch nie für eine ihrer Instagram-Botschaften: 650.000 Leser zeigten sich begeistert von ihrer Abrechnung mit dem Kreml und würdigten sie mit einem "Like", russische Oppositionspolitiker jubelten bereits, das werde zum "Sturz des Regimes" führen. Die durch ihre gemeinsamen Auftritte mit ABBA, Udo Lindenberg und Joe Dassin auch im Westen bekannte Rock- und Pop-Diva stellte sich an die Seite ihres im Ausland lebenden Ehemanns, des TV-Entertainers Maxim Galkin (46) und schrieb an das russische Justizministerium: "Ich bitte Sie, mich in die Reihen der ausländischen Agenten meines geliebten Landes aufzunehmen, denn ich bin solidarisch mit meinem Ehemann, einer ehrlichen, anständigen und aufrichtigen Person, einem wahren und unbestechlichen Patrioten Russlands, der dem Vaterland Wohlstand wünscht , ein friedliches Leben, Redefreiheit und ein Ende des Todes unserer Söhne für illusorische Ziele, die unser Land zu einem Ausgestoßenen machen und unseren Bürgern das Leben erschweren."
"Putin sauer auf Justizminister und Stabschef"
Der in Russland ungemein populäre Galkin ist erklärter Kriegsgegner und verärgert den Kreml mit seinen internationalen Auftritten in Israel und im Baltikum. Er hatte seine Ausrufung zum "ausländischen Agenten" mit den Worten quittiert: "Ich beschäftige mich mit einem humorvollen Genre, politischer Satire. Wenn ich meine Abonnenten oder Zuschauer außerhalb des Genres als Bürger, als Mensch anspreche, tue ich das absolut aufrichtig und bleibe mir selbst gegenüber ehrlich." Die deutlich ältere Pugatschowa, die ihren Weltruhm noch zu Sowjetzeiten begründete, war kürzlich nach einem monatelangen "Sommerurlaub" in Israel und im lettischen Riga ohne ihren Mann nach Russland zurückgekehrt und hatte bei ihrer Ankunft verkündet, sie werde jetzt einigen "das Maul stopfen", was als Drohung gegen Propagandisten aufgefasst wurde.
Die Befürchtungen des Kremls wurden wahr. Angeblich ist Putin stinksauer auf seinen Justizminister Konstantin Tschuitschenko (57), der ihm "die Scheiße eingebrockt" habe, wie aus Kreisen des ukrainischen Geheimdiensts kolportiert wurde. Auch auf seinen stellvertretenden Stabschef Alexej Gromow soll der Präsident in der Angelegenheit nicht gut zu sprechen sein.
"Wir werden ohne ihre Lieder gewinnen"
Durch die propagandistische Bezeichnung von Galkin als "ausländischer Agent" mobilisierte der Kreml jedenfalls nicht nur die Wut von dessen prominenter Ehefrau, sondern auch ein höchst unwillkommenes Medienecho. Pugatschowa gab die gesamte Strategie des Justizministeriums, Regimegegner als "Agenten" zu brandmarken, über Nacht der Lächerlichkeit preis. "Sie wird keine ausländische Agentin werden und wird keine Unterstützung mehr von anständigen Russen erhalten. Wir werden ohne ihre Lieder gewinnen", schimpfte Kulturpolitiker Pjotr Tolstoi, offenbar ohne sich der Realsatire seiner Worte bewusst zu sein. Die Sängerin habe "den Bezug zur Realität verloren".
"Das Schlimmste für solche Regime und Führer ist, wenn sie ausgelacht werden", so Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin. "Putin schien ein Mann mit Sinn für Humor zu sein, und jetzt wird er gezwungen, brutal ernst und langweilig zu sein, und er wird fast offen getrollt." Das Land habe über Breschnew gelacht, über dessen zitterndes Kinn und seine Unfähigkeit, etwas zu ändern, und jetzt sei Putin soweit, dass ihn keiner mehr ernst nehme, "nur irgendwie böse".
"Es ist ihr Recht, den Ehemann zu beschützen"
Im russischen Portal "News" wurde eine "Staranwältin" zitiert, die erklärte, die Sängerin könne nicht, wie von ihr gewünscht, auf die "schwarze Liste" gesetzt werden: "Dazu ist es erforderlich, bestimmte gesetzliche Anforderungen zu erfüllen oder nicht zu erfüllen, insbesondere Förderungen aus dem Ausland zu erhalten oder eine solche Organisation selbst zu finanzieren. Aber sie tut es nicht. Es ist ihr Recht, ihren Ehemann zu beschützen."
Wie heikel die Einlassungen des Ehepaars Pugatschowa für Putin sind, wird dadurch deutlich, dass die russischen Medien, von Ausnahmen wie dem liberalen "Kommersant" abgesehen, den Instagram-Post nur stark verkürzt wiedergeben und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erst jüngst betont hatte, er kenne "keine einzige antirussische Äußerung" von Pugatschowa, während ihr Mann Galkin "sehr schlechte Aussagen" gemacht habe. Zur neuesten Entwicklung sagte Peskow: "Ich werde dieses Thema in keiner Weise kommentieren. Ich glaube nicht, dass das eine Frage ist, die sich in irgendeiner Weise auf den Kreml bezieht. Deshalb werde ich mich dazu nicht äußern."
"Sie so etwas wie die russische Elizabeth II."
Jetzt wird Pugatschowa als "Anführerin des russischen Widerstands" gefeiert. "Mögen die Briten mir verzeihen, aber sie ist so etwas wie die russische Elizabeth II., ein Symbol der Nation, die auf den Ruinen von 1991 Gestalt anzunehmen begann", so der Chefredakteur der im Ausland erscheinenden "Novaya Gazeta Europe", Kirill Martinow. Für die "Patrioten" in Russland sei der Post der Sängerin ein "Schock".
Pugatschowa sei "vielleicht die einzige Person mit mehr Einfluss als Putin". Die Kreml-Fans seien "verwirrt" über die Diva: "Tatsache ist, dass es in einer gespaltenen russischen Gesellschaft nur sehr wenige Menschen gibt, deren Autorität in der Lage ist, die öffentliche Stimmung gegen den Krieg zu wenden. Pugatschowa ist in dieser Situation die ideale Heldin. Auch wenn sie nichts mehr weiter sagt, ist die Saat des Zweifels an Putins Krieg gesät, trotz Propaganda und vor dem Hintergrund militärischer Niederlagen der russischen Armee und demütigender Verhandlungen mit den Führern Chinas und Indiens, in denen der 'starke Führer' sich gezwungen sah, sich öffentlich zu rechtfertigen." Pugatschowas Hit "Millionen scharlachroter Rosen" könne die Hymne der Kriegsgegner werden, vermutet Martinow.
"Sie starb für Russland. Macht weiter"
Derweil schäumen die Rechtsextremen und Nationalisten. Im Telegram-Post eines bekannten Kriegs-Bloggers war die mürrische Aufforderung zu lesen: "Ich fand ihre Arbeit immer mittelmäßig. Vergesst sie einfach. Für jeden Künstler bedeutet das Vergessenwerden den Tod. Und jeder Satz um ihn herum, ob mit einer positiven oder negativen Konnotation, ist nur PR. Sie leben davon. Vergesst sie einfach. Sie starb für Russland. Sie ist nicht mehr. Das ist alles. Macht weiter." Russische Promi-Blogger quälen sich mit Debatten über die möglichen Motive der Rock-Lady. Sie habe "Charakter zeigen" wollen, wird gemutmaßt, womöglich fühle sie sich von ihren Landsleuten auch "beleidigt".
"Sie ist keine Dorftante, die das, was sie im Kopf hat, auf der Zunge trägt", heißt es in einem Kommentar der "Moskowski Komsomolez": "Sie ist eine Primadonna! Das bedeutet, dass sie keine Wahl hat, außer, wenn es darum geht, Erklärungen politischer Natur abzugeben." Russland habe die Künstlerin "zu sehr verwöhnt": "Das Land liebte sie aus Gewohnheit, angetrieben von PR. Und Pugatschowa glaubte, dass es weiterhin ihr täglich Brot sei."
Der notorische Hetzer Sergej Mironow von der Partei "Gerechtes Russland" empörte sich, der Versuch der Sängerin, sich als "Opfer des Regimes" darzustellen, sei eine "erbärmliche Farce": "Die einst gute Sängerin Alla Pugatschowa beschloss, ihre Rolle zu ändern und verlegte sich auf das Genre des Melodrams: Sie versuchte, sich als Ehefrau eines Dekabristen [aufständische Revolutionäre unter Zar Nikolaus I.] darzustellen, die es eilig hat, das tragische Schicksal ihres Mannes zu teilen, der 'für die Freiheit gelitten hat'."
TV-Propagandist Solowjow sagte sarkastisch: "Weisheit kommt nicht immer mit dem Alter. Manchmal kommt das Alter allein." Er hoffe sehr, dass jetzt nicht "alle in Tränen" ausbrächen über Pugatschowas Verhalten.
"Das ist ihre Wahl"
Der üblicherweise redselige Propagandist und Musikproduzent Igor Prigoschin sagte in einem Radio-Interview vorsichtig: "Alla Borissowna ist eine erwachsene Frau, Mutter und Großmutter. Es wäre meinerseits unethisch, mich auf Kritik einzulassen, zumal wir uns gut kennen und seit langem kennen, sowohl sie als auch Maxim. Pugatschowa ist die Frau dieses Mannes. Sie eilte zur Verteidigung ihres Mannes. Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst. Das ist ihre Wahl!" Schauspielerin Elena Proklowa sprach von einem "voreiligen Schritt" ihrer Kollegin in einer "für Russland schwierigen Zeit" und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass Pugatschowa "vergeben" werde.
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