Eigentlich sollte sich das UNESCO-Komitee, das sich mit dem Welterbe beschäftigt, im vergangenen Juni im russischen Kasan an der Wolga treffen, um dort über Neuaufnahmen auf der Welterbe-Liste zu entscheiden. Doch diesen Propaganda-Erfolg verhinderten 46 Nationen, die bereits am 8. April den Boykott der Veranstaltung angekündigt hatten. Beobachter wollten damals im Hauptquartier in Paris sogar eine regelrechte "Diplomaten-Schlacht" festgestellt haben. Der Westen sah die "Glaubwürdigkeit" der UNESCO-Kulturpolitik gefährdet, Länder wie Indien und Argentinien waren weniger empört.
Russland führte seit 2019 für die geplante Dauer von vier Jahren den Vorsitz im Welterbe-Komitee, deshalb war die Arbeit des 21-köpfigen Gremiums de facto blockiert. Jetzt schrieb der von Moskau eingesetzte Vorsitzende Alexander Kusnetsow an die Mitglieder der Organisation, er habe die "Ehre", das Ende seiner Tätigkeit als russischer Vertreter im Welterbe-Komitee zu verkünden, wie die US-Nachrichtenagentur AP und die französische AFP meldeten. Damit können die Delegierten ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.
"Der Schaden geht weiter"
Hinter den Kulissen sollen die Vereinten Nationen eine "Mediation" auf den Weg gebracht haben, um Russland zum Einlenken zu bewegen und das Gremium wieder handlungsfähig zu machen. Nach den UN-Statuten folgt auf Russlands Vorsitz das Land, das nach dem Alphabet als nächstes folgt, was in englischer Schreibweise Saudi-Arabien wäre. Dort soll in den nächsten Tagen beschlossen werden, ob das Angebot angenommen wird. Für das erste Halbjahr 2023 ist die nächste ordentliche Sitzung des Welterbe-Komitees ins Auge gefasst.
Die britische Delegierte Laura Davies hatte im April darauf hingewiesen, dass bereits in den ersten Kriegswochen in der Ukraine rund 100 Kulturstätten zerstörten wurden: "Das Erbe von Charkiw, einer kreativen Stadt der UNESCO, zahlte einen besonders hohen Preis, ebenso wie das Zentrum von Tschernihiw, das auf der vorläufigen Liste des Weltkulturerbes der Ukraine steht. Die schrecklichen Bilder der Bombardierung des Mariupol-Theaters, die von der UNESCO durch Satellitenbilder bezeugt werden, wiegen besonders schwer in unseren Köpfen. Und der Schaden geht weiter."
Der damalige russische Vertreter im Welterbe-Komitee Grigori Ordschonikidze hatte dagegen von einer "beispiellosen diplomatischen Hexenjagd" auf sein Land gesprochen.
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