Poster mit Porträt von Oberst Sergej Ischewski in St. Petersburg
Bildrechte: Maksim Konstantinow/Picture Alliance

Außenwerbung für Russlands "Helden"

    Russische Werbeagenturen verweigern sich Söldner-Truppe "Wagner"

    In russischen Gefängnissen darf Privatarmee-Betreiber Jewgeni Prigoschin keine Rekruten mehr anheuern, und auf dem freien Markt stieß er nach eigenen Worten auf den entschiedenen Unwillen der Kommunikationsbranche: "Sie rümpften ihre Koks-Nasen."

    Trocknet die berüchtigte Söldner-Armee "Wagner" personell aus? "Ja, das ist tatsächlich so", bestätigt der umtriebige Oligarch Jewgeni Prigoschin in einem Telegram-Post. Grund dafür: Bei gleichzeitig enorm hohen Verlusten darf er auf Intervention des Kreml nicht länger in Haftanstalten nach "Freiwilligen" suchen. Er muss daher auf dem freien Markt nach Interessenten Ausschau halten und stieß dabei nach eigenen Worten auf den Widerstand russischer Werbeagenturen, mit denen es "enorme Schwierigkeiten" gebe, obwohl er persönlich ein "großzügiges" Budget zur Verfügung stelle, so Prigoschin: "Viele Moskauer Agenturen rümpften ihre Koks-Nasen und verweigerten die Zusammenarbeit."

    "Aktiver und erfolgreicher"

    Zum "Beweis" listete der Söldnerchef zehn Werbefirmen auf, bei denen er sich eine Abfuhr geholt haben will, darunter "Gazprom Media" und die Firma, die Spots im staatlichen Fernsehen schaltet. Prigoschin räumte ein, natürlich sei es "schlecht", dass er keine Gefangenen mehr mobilisieren dürfe, er hat "Kräfte" im Verdacht, die seinem Unternehmen damit schaden wollten, weil es an der Front "aktiver und erfolgreicher" sei als die Armee. Obendrein sei das auch für all diejenigen in den Justizvollzugsanstalten von Nachteil, die "gerne in den Krieg ziehen und ihr Leben neu ausrichten" möchten.

    Bereits vor einigen Tagen hatte Prigoschin sich an TV-Sender gewandt und auf die Ausstrahlung von Werbespots gedrängt ("Setzen Sie sich bitte mit uns in Verbindung"), mit offenbar geringem Widerhall. Auf Vorhaltungen, ihm gingen die Rekruten aus, hatte der Söldnerchef ironisch bemerkt, ihm lägen "zehn Millionen Bewerbungen" von US-Amerikanern vor. Allerdings stamme ein im Netz umlaufendes Werbe-Video für Wagner, das sich an US-Interessenten richte, definitiv nicht von ihm.

    "Ich kann mich irren"

    Per Telegram ließ Prigoschin seiner Wut auf Putin freien Lauf, der versprochen habe, alle "Freiwilligen" an der Front mit Soldaten gleichzustellen: "Ich kann mich irren, aber die Unterlagen, die ich gesehen habe, weichen davon milde ab." So werde seinen Söldnern in Aussicht gestellt, bevorzugt Datschen-Grundstücke erwerben und Sanatorien besuchen zu können: "Ich denke, dass unsere Jungs ohne Beine und Hände mehr verdienen, als damit abgespeist zu werden." Nebenbei schimpfte Prigoschin auf die "rotzfrechen, feigen Sprösslinge" der Kreml-Bürokratie, die lieber Urlaub in Dubai machten als zu kämpfen.

    Ob die russische Kreativ-Branche tatsächlich aus eigenem Ermessen die Zusammenarbeit mit "Wagner" ablehnt, oder ob sie entsprechende Anweisungen aus dem Kreml befolgt, lässt sich von außen nicht beurteilen. Prigoschin hatte sich in den letzten Wochen wiederholt mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu angelegt und ihm und dessen Generalstabschef Waleri Gerassimow militärische Unfähigkeit vorgeworfen. Er werde vom Munitionsnachschub abgeschnitten, hatte sich Prigoschin beschwert und versucht, über die sozialen Medien Druck auf den Kreml auszuüben.

    Vergleich mit Ikarus

    Angeblich wird seitdem wieder Munition geliefert, doch die "Financial Times" (FT) verglich Prigoschin in einer längeren Analyse mit der tragischen griechischen Figur des Ikarus, dem Sinnbild des sprichwörtlichen Satzes "Wer hoch steigt, fällt tief". Dem Mythos zufolge hatte sich Ikarus Flügel gefertigt und die Federn mit Wachs aneinander befestigt. Weil er beim Aufstieg der Sonne zu nahe kam, lösten sich die Flügel auf und er stürzte in den Tod. So könne auch Prigoschin enden, zitiert die FT einen Kreml-Insider. Mit einzelnen Gouverneuren wie denen von St. Petersburg und Swerdlowsk liegt der Söldnerchef in Privatfehde, was in russischen Diskussionsforen lautstarke Reaktionen auslöste.

    "Hat Prigoschin beschlossen, in dieser für das Land schwierigen Zeit eine Revolution vom Zaun zu brechen?" fragte eine Diskutantin. Andere gaben sich mit Blick auf den wegen Raub, Betrug und Diebstahl mehrfach vorbestraften Prigoschin noch deutlich pessimistischer: "Mit einer solchen Führung sehe ich keine Zukunft für das Land - ich stimme den Aussagen zu, dass eine Art organisierte kriminelle Bande die Macht im Land ergriffen hat." Manchen hat der Söldnerhchef augenscheinlich enttäuscht: "Auf Prigoschin ruhten große Hoffnungen. Anscheinend wurde ihnen und ihm viel versprochen. Aber der Meister hat die Erwartungen nicht erfüllt."

    "Söldnerarmee wird nie funktionieren"

    Jedes Lob, das über Prigoschin im Netz zu lesen ist, steht unter "Generalverdacht", weil der vielseitige Unternehmer zugegeben hat, seit Jahren eine "Trollfabrik" zu betreiben. Mit maschinellen Kommentaren und manipulierten Debatten kennt er sich also aus. Russische Ultra-Patrioten loben die Söldner-Truppe als "beste Infanterie der Welt" und schwärmen täglich, wie unverdrossen ihre Mitglieder auf die umkämpfte Stadt Bachmut losstürmten.

    Es gibt allerdings auch einige wenige Blogger, die demonstrativ dem Kreml den Rücken stärken: "In einem Land wie Russland aus der gesamten Armee Söldner zu machen, wird nie funktionieren. Daher gilt für all diejenigen, die hartnäckig und systematisch weiterhin Prigoschin loben und das Verteidigungsministerium beschimpfen, dass sie zwei strategische Aufgaben im Dienst des Feindes erledigen: Sie diskreditieren die russischen Streitkräfte als Ganzes vor den Augen eines riesigen Publikums in Russland und sie treiben einen gewaltigen Keil in die Beziehungen zwischen Prigoschin und Moskau."

    Kreml will "euphemistische Umschreibungen"

    In "Zeiten wie diesen" würden die wirklich "Mutigen" in Russland nicht ihren Mund aufmachen, sondern geschlossen halten, empfahl derweil der Blogger Alexander Chodakowski: "Ein Schal über dem Gesicht kann gute Dienste tun."

    Das amerikanische Institute for the Study of War, das täglich Berichte und Analysen über die Lage an der Front veröffentlicht, geht in seiner neuesten Studie ausführlich auf die Rekrutierungsprobleme von Putin ein. Demnach war der Präsident von den wenig erfolgreichen Werbeanstrengungen seiner regulären Truppe zunächst frustriert und setzte aus Enttäuschung vorübergehend auf "Wagner". Inzwischen gebe es aber die Anweisung, wieder ausschließlich die offiziellen Stellen mit den militärischen Operationen zu betrauen, auch in Bachmut. Statt die Marke "Wagner" sollten Kommunikationsexperten und Blogger möglichst "euphemistische Umschreibungen" nutzen.

    Der Blogger und nationalistische PR-Experte Daniil Bessonow kommentierte das Ringen um die Mobilisierung von Reserven unterdessen mit einem Gedicht. Erste Zeile: "Im Telefonbuch stehen immer weniger Lebende."