Rote Kette von Therese Hilbert
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Therese Hilbert: Halsschmuck, 1983, Messing, Lack, PVC, Stahl,

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"Rot": Therese Hilberts Schmuck in der Pinakothek der Moderne

"Rot" heißt die Schau in der Pinakothek der Moderne. Gezeigt werden aber nicht monochrome Bilder, sondern feuerrot glühende Ketten und Broschen – und viel stacheliges Silber. Therese Hilbert erzählt so einiges mit ihren Schmuckstücken.

Für Gespräch und Rundgang durch die Ausstellung nimmt sich Therese Hilbert viel Zeit, nur: im Radio hören mag sie sich nicht. "Meine Sprache sind die Stücke", sagt die Künstlerin und vermittelt mit diesem Satz eine Ahnung, was das eigentlich ist, diese Sache mit dem Autorenschmuck.

Autorenschmuck: Stücke, die erzählen

Was also sagen die Stücke? Zunächst mal, dass Therese Hilbert Silber mag, von fast weiß bis schwarz, von seidig matt bis blank poliert. Eine der frühesten Broschen besteht aus einer silbernen, leicht welligen Scheibe, etwa in der Größe einer Orange. Hunderte kleiner Pünktchen treten aus der Fläche heraus und erwecken die Oberfläche zum Leben. Der Rand ist hauchdünn mit Gold gefasst. Zart wirkt die Arbeit – heute. In den 70ern war so ein Stück eine Frechheit: Riesengroß, nicht mal richtig gerade, und dann auch noch Silber mit Gold gemischt – das war nun wirklich total verpönt.

Schmuck, den sich auch junge Menschen leisten können

Der Liebe wegen kommt Therese Hilbert Anfang der 70er-Jahre von Zürich nach München und landet direkt in der heute legendären Schmuckklasse von Hermann Jünger. Plötzlich ist alles erlaubt. Hilbert beginnt, mit Kunststoff zu experimentieren, ein damals in der Schmuck-Branche völlig neuartiger Werkstoff. Sie zerschneidet Plastiktüten zu kleinen Dreiecken und macht daraus Broschen, die sich beim Tragen wie Wimpel oder kleinen Segeln hin und her bewegen. Sie macht einen Kettenanhänger in Form eines halbierten Apfels: die Schale aus knallrotem Kunststoff, das Innere ein echtes Apfelgehäuse. Das war Schmuck, den sich ihre eigene Generation leisten konnte, Gold und Edelsteine waren für die Alten, und von denen wollte man sich ja lösen.

Kunstausstellungen bekamen nur die männlichen Kollegen

Künstler und Künstlerinnen wie Therese Hilbert erkämpften damals eine Freiheit, von der heute alle profitieren. Nur einen Kampf, den verlor sie immer wieder: Die Dominanz der Männer auf dem Kunstmarkt war erdrückend. Frauen konnten gern Schmuck machen, nur Ausstellungen bekamen sie halt nicht. Kuratorin Petra Hölscher: "Wenn man Therese Hilbert ein bisschen kennt, dann weiß man wie es anfängt zu brodeln. Insofern haben in dieser Zeit, wo sie diese große Ungerechtigkeit gespürt hat, das auch ihre Stücke nach Außen hin visualisiert. Es waren dann eben keine Stücke, die sich angenehm tragen lassen, sondern Stücke, die man spürt, die einen stechen oder die stechen, wenn man den anderen umarmt. Da passiert nochmal eine Interaktion. So hat sie diese große Verwundung, dieses sich-nicht-wirklich-Wehren-können in dieser Zeit mit ihrer Sprache, mit ihren Stücken, ausgedrückt."

Stacheln und Spitzen, die stechen

Therese Hilbert fährt die Krallen aus, plötzlich werden die Stücke spitz: Es hagelt Broschen in Form von Wurfsternen, Harpunen, Hellebarden oder gezackten Messern. Die Reihe "Dornen" sieht aus wie eine Mischung aus Kugelschreiber und Ast, mit kleinen Spitzen besetzt, wer Gewehrpatronen darin erkennt, liegt auch nicht ganz falsch.

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Vorsicht Verletzungsgefahr! Therese Hilbert: Brosche "Stern", 1985

Andere Arbeiten entpuppen sich als Gefäße, etwa die Reihe plattgedrückter Mini-Vasen: Die außergewöhnlichen Formen wirken geheimnisvoll. Manchmal kann man wirklich etwas hineintun und die Anhänger als Amulett tragen. Es geht darum, den Dingen einen Raum zu geben, um Zeigen und Verbergen. Natürlich steckt in jedem Stück eine ganz konkrete Geschichte, aber die erzählt Therese Hilbert nicht. Inspiration müsse sie sich jedenfalls nicht in Mexiko holen, die liefere ihr das eigene Leben, Eltern, Ehe, Geschwister und Kinder, Musik und Literatur.

Das Rot der flüssigen Lava

Neben dem Schmuckmeer aus Silber taucht in der Ausstellung plötzlich ein markantes Rot auf: Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich Therese Hilbert mit Vulkanen, jenen vermeintlich stillen Bergen, die sich hin und wieder ziemlich spektakulär öffnen und eine Ahnung davon geben, wie es in ihrem Inneren aussieht. "Diese Vulkanstücke sind blanke Emotionen, auch da spielt wieder dieser Gedanke von Gehäuse, von Verbergen, von Verstecken, von rauslassen, zulassen, von abgeschirmt sein, von sich-öffnen, all das spielt bei ihr eine Rolle".

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Therese Hilbert: Brosche aus der Serie „Glut“, 2004

Broschen in Kegelformen wie von flüssiger Lava umrahmt, Brocken aus schwarzem Bimsstein oder rotem Obsidian, das Silber wird geschwärzt und legt sich wie Ruß und Asche auf die Formen, knallgelbe Schwefelseen, Schlote, Krater oder Berge, die sich teleskopartig nach oben zu schieben scheinen.

Therese Hilbert hat recht. Ihre Stücke sprechen, für sie und für sich.

"Therese Hilbert Rot". Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne läuft vom 12. März 2023 bis 30. Juli 2023

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