Nein, das ist wahrlich kein klassischer Unternehmer, dieser Entrepreneur, den Kevin Rittberger da in die Manege seines neuen Stückes schickt: zumindest wird er es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr sein. Gerade hat er noch trotz Lockdown voll zugedröhnt auf einer gut besuchten Chem-Sex-Party herumgelegen, jetzt hat er die ökosophische Kehrtwende hingelegt: sein Haus verkauft, sein Auto verliehen, seine Firma dem Syndikat seiner Mitarbeiter vermacht. Nun kümmert er sich um Waldwuchs, Borkenkäfer, Brunnenbohren und vernachlässigte Kinder. Es ist der Zustand der Natur, der ihn zu diesem Totalverzicht und zu dieser Umkehr bewogen hat. Zugleich fordert er diese Kehrtwende wortreich von allen, wobei man von einem egozentrischen Ich zu einem neuen Wir finden soll.
Dass im Gegensatz dazu seine ehemalige Frau und seine Tochter von dieser Entwicklung und der sich zudem in Luft aufgelösten Erbschaft wenig amüsiert sind, lässt sich denken: "Die Belegschaft hat nun einen rotierenden Vorstand oder Rat oder wie sie das nennen", hört man die Tochter im Stück sagen. Und weiter: "Irgendwie arbeiten sie so viel sie wollen. Alleinerziehende werden nach ihren Bedürfnissen bezahlt. Sie nehmen sich Zeit miteinander zu sprechen. Und wenn es drauf ankommt, sind sie effizient. Es entstehen sogenannte Sorgekreise. New Management Lehrbuchautoren stehen an den Werkstoren Schlange. Er hat das ziemlich clever eingefädelt."
Viel Theorie und noch mehr Botschaft
Das also ist der Plot von "Der Entrepreneur", mit dem Kevin Rittberger mal wieder eines seiner Stücke mit viel Theorie und noch mehr Botschaft geschrieben hat. Denn nachdem die Situation einmal etabliert ist, passiert nicht mehr viel, obwohl das Stück von sich selbst behauptet über einen Zeitraum von 20 Jahren zu erzählen. Doch im Grunde wird man das Gefühl nicht los, dass sich hier eine Verlautbarung an die nächste reiht, zudem immer mal wieder garniert mit Pathos: "Was hätten wir mit den Rettungspaketen schon damals erreichen können, was wir jetzt erst mühsam zusammenschustern? Dass wir uns wieder um Menschen kümmern und nicht um Fallpauschalen. Dass sich Kollektive und die öffentliche Hand, ja, endlich die Hand reichen. Dass wir bei diesen zigfachen Zuwendungen immer mit einer Hand die Erde berühren und sie um Verzeihung bitten."
Auf ausgedehnten Spaziergängen während des Lockdowns - hieß es im Vorfeld der Uraufführung dieses Auftragswerks - sei die Idee zu diesem Stück aus der Frage entstanden, welche Utopien aus der Krise erwachsen könnten. Leider ist es dann bei der rechtschaffenen wenn auch nicht so neuen Utopie geblieben, dass nur ein Ende der Wachstumsorientierung und ein neues Wir diesen Planeten retten können.
Baumstämme aus Dresden
Zugleich war zu befürchten, dass die eher für vorsichtige Einrichtungen als für eigenwillig zupackende Inszenierungen bekannte Hausregisseurin Nora Schlocker diesem theorielastigen Text nun im Münchner Residenztheater szenisch nicht viel entgegensetzen würde. Und tatsächlich schickt sie ihr Ensemble ohne viel Spielphantasie in den Debattenraum einer leeren Spielfläche. Da nützt es auch wenig, dass die Rollen fluide durchgereicht werden und jeder mal jeden spielt. Schlocker folgt damit dem Autor, der die Dialoge in seinem Text ebenfalls keinen Figuren zugeordnet hat.
Einzig der Bühnenraum von Jana Findeklee und Joki Tewes kann thematisch punkten, der von vielen Baumstämmen aus dem viel zitierten Wald dominiert wird. Teilweise sind diese Stämme - darauf macht das Residenztheater zu Recht aufmerksam - in Zusammenarbeit mit der TU Dresden aus Pilzkulturen gezüchtet und entsprechen damit der Nachhaltigkeitsbotschaft des Stückes.
Doch wenn sich am Schluss die Darsteller ihrer Overalls entledigen und sich im Dunkel eben dieses Waldes wie zum Sterben zwischen die Baumstämme legen, dann wirkt das leider ebenso kitschig wie auch die Antwort auf die letzte Frage des Stückes: "Also sag, warum?" – "Was warum?" – "Warum hast du das alles gemacht?" – "Liebe hat keine Ursache."
"Der Entrepreneuer" am Münchner Residenztheater. Nächste Aufführung im Marstall ist am Dienstag, 13. Dezember.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!