Ein alter Mann mit Gehstock sitzt in einem Stuhl
Bildrechte: picture alliance/KEYSTONE | URS FLUEELER

Der französische Filmemacher Jean-Marie Straub 2017 beim Filmfestival Locarno

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Regisseur Jean-Marie Straub ist tot

Der französische Filmemacher Jean-Marie Straub starb in der Nacht zum Sonntag im Alter von 89 Jahren in der Schweiz.

Über dieses Thema berichtete kulturWelt am .

Jean-Marie Straub, Regisseur und Vertreter des Neuen Deutschen Films, verstarb in der Nacht auf Sonntag in der Schweizer Gemeinde Rolle am Genfer See. Das bestätigte seine Witwe am Nachmittag.

Straub wurde 1933 im französischen Metz geboren. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 in Frankreich verbrachte er einen Teil seiner Kindheit unter deutscher Besatzung. In dieser Zeit wurde er gezwungen, in der Schule deutsch zu lernen. Nach dem Krieg leitete Straub verschiedene Filmclubs. 1954 ging er nach Paris, wo er seine Partnerin Danièle Huillet kennenlernte. 1958 zogen die beiden gemeinsam nach Deutschland. 1962 drehten sie unter dem Namen Straub und Huillet ihren ersten gemeinsamen Kurzfilm "Der Machorka-Muff", nach der Erzählung "Hauptstädtisches Journal" von Heinrich Böll. Von dort ab arbeiteten die beiden mehr als dreißig Jahre gemeinsam.

Verfilmungen von Brecht, Böll, Schönberg

In ihrem bekanntesten Film "Chronik der Anna Magdalena Bach" zeichnen die beiden in Form von Tagebuchberichten die Lebensgeschichte des Komponisten Johann Sebastian Bach nach. Beim Internationalen Filmfestival London wird er als "Bester Film des Jahres 1968" ausgezeichnet. In der Folge verfilmt das Paar die Tragödie "Othon" des französischen Schriftstellers Pierre Corneille, Bertold Brechts "Geschichtsunterricht" und Arnold Schönbergs Opernfragment "Moses und Aron".

In den Sechzigern lebten und arbeiteten Straub und Huillet in München-Schwabing, dem damaligen Zentrum des Neuen Deutschen Films. Bis zu Huillets Tod 2006 realisieren die beiden mehr als 30 Produktionen.

Sperriger Revolutionär

Auch allein blieb Straub aktiv, drehte in Zusammenarbeit mit Barbara Ulrich knapp 20 weitere Filme, darunter der Langfilm "Corneille – Brecht" von 2009 sowie vier Kurz-Spielfilme nach Werken des italienischen Lyrikers Cesare Pavese.

Straub galt gemeinsam mit seiner Partnerin Huillet als Revolutionär: Ihre Filme waren formal oft karg und sperrig in der Rezeption, beide waren erbitterte Feinde des kommerziellen Kinos. Die überwiegend linkskritisch-politischen Arbeiten charakterisiert ein unverkennbarer Ansatz: der Verzicht auf das illusionistische und emotionale Potenzial des Kinos.

Straub und Huillet verzichteten auf professionelle Schauspieler, perfekte Rollenidentifikation und das große gestische Spiel der Darsteller. Stattdessen bevorzugten sie die Unverbrauchtheit der Laiendarsteller. Dadurch wirkten die Filme oft sperrig und schwerfällig, was ihnen den Vorwurf des Dilettantismus und der Emotionslosigkeit einbrachte. 

Eklat in Venedig

Politisch wendete sich der Marxist Straub immer wieder gegen Kapitalismus. Bei den 63. Filmfestspielen von Venedig 2006 sorgten Straub und Huillet für einen Eklat: Bei der Verleihung des Sonderpreises für "Erfindung filmischer Sprache in ihrem Werkganzen", den die Beiden für "Quei loro incontri" erhielten, las einer der Schauspieler in Vertretung des abwesenden Paars eine von Straub verfasste Botschaft vor, die schockierte: Solange es den amerikanischen, imperialistischen Kapitalismus gebe, könne es nie genug Terroristen in der Welt geben, hieß es darin gerne auch direkt gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.

Seinen letzte Kurzfilm "La France contre les robots" realisierte Straub 2020.

Mit Informationen der dpa.

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