Porträt der Schriftstellerin Regina Scheer. In ihrem neuen Buch erzählt sie die Lebensgeschichte der Kommunistin Hertha Gordon-Walcher. Das Buch ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden.
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Die Schriftstellerin Regina Scheer.

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"Bittere Brunnen" - das bewegte Leben der Hertha Gordon-Walcher

Geboren 1894 in Königsberg verschrieb sie sich der kommunistischen Idee - und saß zwischen allen Stühlen. Die Schriftstellerin Regina Scheer ("Machandel") erzählt jetzt die Geschichte von Hertha Gordon-Walcher in einer großen Biographie.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Am kommenden Donnerstag (27.4.) wird die Auszeichnung auf der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Literatur, Sachbuch und Übersetzung vergeben. Zu den nominierten Autorinnen und Autoren gehören unter anderem die Schriftstellerin Ulrike Draesner sowie ihre Kollegen Clemens J. Setz und Joshua Groß. Im Bereich Sachbuch wurde Jan Philipp Reemtsma für seine große Biographie des Dichters Christoph Martin Wieland nominiert, ebenso die Comic-Künstlerin Birgit Weyhe. Auch die Schriftstellerin Regina Scheer wurde von der Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse vorgeschlagen. In ihrer Biographie der Kommunistin Hertha Gordon-Walcher erzählt sie die bewegte Geschichte einer Frau aus dem 20. Jahrhundert.

Leben für den Kommunismus

Man rede immer vom Hauch der Geschichte, hat Hertha Walcher einmal gesagt. Aber wenn er einen dann streife, nehme man ihn kaum wahr und sei doch nur ein Lüftchen. Eine unprätentiöse Aussage. Tiefgestapelt könnte man auch sagen, wenn man sich die Biografie dieser Hertha Walcher vor Augen führt. Einer Frau, die ihr Leben dem Kommunismus gewidmet hat, und die das Scheitern ihrer Ideen und Ideale miterleben musste.

Am Ende saß sie in ihrem Häuschen im Berlin der DDR, mit 96 Jahren desillusioniert und doch immer noch überzeugt davon, dass es in einer sozialistischen Welt gerechter und friedlicher zugehen würde. Dabei hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen, dass mit den Genossen, wie sie die kennengelernt hat, nicht wirklich ein guter und funktionierender Staat zu machen war.

Anekdoten in schillernder Fülle

Die Berliner Schriftstellerin Regina Scheer, die jetzt mit „Bittere Brunnen“ eine ausführliche Biografie der großen stillen Dame des Sozialismus vorlegt, war selber noch eine Jugendliche, als sie Hertha Walcher kennenlernte. Immer wieder erzählte die 1894 in Königsberg geborene Jüdin Geschichten und Anekdoten aus ihrem langen Leben, unzusammenhängend oft, doch für Scheer in dieser schillernden Fülle nahezu unglaublich.

"Ich habe im Lauf der Zeit begriffen, dass sie wirklich mit den wichtigsten Leuten der linken Strömung in diesem Jahrhundert zu tun hatte", sagt Regina Scheer im BR-Interview. "Als ich beschlossen hatte, über sie zu schreiben, habe ich die Archive abgesucht, ihre Briefe gelesen, die ich vorher nicht kannte. Was ich gesehen habe, hat das, was sie mir erzählt hat, hundertprozentig bestätigt. Kleine Episoden fand ich wieder in Polizeispitzel-Berichten, sie hatte ein exzellentes Gedächtnis."

Sogar Lenin fiel sie auf

Überzeugt von den Marx`schen Theorien, kam Hertha Gordon, so der Mädchenname der in einem gläubigen Elternhaus Aufgewachsenen, früh mit führenden Vertretern der KPD zusammen. Nie in der lauten ersten Reihe stehend, machte sie sich ab den 1910er Jahren unentbehrlich für die Genossen in West und Ost: als Sekretärin der großen Sozialistin Clara Zetkin; als Botin zwischen Moskau und Berlin mit brisanten Kassibern im Gepäck, in denen es um nichts weniger als die Weltrevolution ging; als Vertraute von Rosa Luxemburg, dem jungen Willy Brandt, Wilhelm Pieck oder später Bertolt Brecht. In den Gängen des legendären Moskauer Hotels Metropol fiel sie gar Lenin auf.

Als sie ihren späteren Mann Jakob Walcher, einen unbeirrten Gewerkschaftskämpfer, kennenlernte, verschrieb sie sich voll und ganz ihm – und seinen Ideen, die ihn abbrachten von der Linie der KPD und hineinzogen in Richtungskämpfe, die fortan so etwas wie das unselige Markenzeichen der deutschen Kommunistin wurden. Nicht etwa der sinnvolle und konkrete Kampf gegen die aufkommenden Nationalsozialisten, sondern die Uneinigkeit untereinander bestimmten den sozialistischen Gang in der Weimarer Republik und offenbarte sich ständig in neuen Gründungen von Parteien wie KPO oder SAP, Grüppchen und konspirativen Vereinigungen. Für die Biografin Regina Scheer eine tragische Entwicklung.

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Willy Brandt als junger politischer Aktivist in der Linken der Weimarer Republik.

Weg ins Exil

Die Menschen, die sich da aufarbeiteten, konnten den Nazis nicht mehr gefährlich werden – und mussten trotzdem um ihr Leben bangen. Auch Hertha Walcher ging ins Exil. Zunächst nach Paris, später in die USA: eine Existenz in der Fremde, von wo aus sie mitansehen musste, wie es mörderisch abwärts ging mit Deutschland. Die Parteiarbeit im Ausland, die Regina Scheer minutiös beschreibt, mutet wie ein sinnloser Zeitvertreib an: hilflos beobachtete man die Katastrophe im eigenen Land und hatte doch immer noch nichts anderes zu tun als sich in kleinkarierten linken Flügelkämpfen zu verausgaben.

"Hertha Gordon-Walcher hat sich in einer fast religiösen Verbundenheit in ihrer frühen Jugend den Gedanken der Weltrevolution verschrieben", so Biographin Regina Scheer. Sie sprich von einer Unverbrüchlichkeit. "Und sie hat ja am Ende ihres Lebens in manchen Momenten in Frage gestellt. Aber erschrocken über ihre eigene Fragestellung das sofort wieder zurückgezogen."

In der DDR mit Argwohn betrachtet

Zurück in Deutschland nach 1945, konnte nur die DDR Heimat für das sozialistische Ehepaar Walcher sein. Doch auch hier wurden sie wieder argwöhnisch beäugt: man traute den eigenen Genossen nicht über den Weg, die so lange im westlichen Ausland ausgeharrt hatten, anstatt im ehrenwerten Kampf gegen Hitler vor Ort zu bestehen oder zumindest im Dienst der Sowjetunion Widerstand geleistet zu haben. Für Regina Scheer, selber aufgewachsen in der DDR, ist dies die wohl schmerzlichste Phase im Leben der Hertha Walcher:

"Es gab Phasen, was ich auch erst aus den Briefen erfahren habe, als sie zurückkam nach Deutschland, in dieses zerstörte, kalte Land, und sie hatte eine Krise in der Ehe, da hat sie dann schon gefragt, ob sie hier am richtigen Platz ist als Jüdin in Deutschland. Aber wo sollte sie hin?"

Trotz allem der Glaube an eine bessere Gesellschaft

Es gab Fürsprecher und Helfer genug, unter ihnen Bertolt Brecht, der ständig Jakobs Rat suchte und benötigte, und vor allem die vielen Frauen und Liebschaften des Dramatikers, von Helene Weigel bis Käthe Reichel, von Elisabeth Hauptmann bis Ruth Berlau. Sie machten den Alltag der Walchers, denen die DDR Anerkennung und auch finanzielle Sicherheit versagte, erträglicher. Trotzdem hielten Hertha und Jakob an ihrem Glauben an eine bessere Gesellschaft fest, bis zuletzt im hohen Alter: auf einem Foto aus den 1960er Jahren sieht man das Paar in endlich bequemen Sesseln in einem heimeligen Bücherzimmer: aus ihren Gesichtern spricht müde Skepsis, als glaubten sie nicht so recht an die verdiente Ruhe nach dem vergeblichen Kampf.

„Bittere Brunnen“ ist ein sehr persönliches Buch über Hertha Walcher und vor allem ein schmerzliches Stück über das Scheitern. Über den Glauben an die gute Sache und das Unvermögen, sie auf den steinigen Weg zu bringen. In seiner Trauerrede am Grab der Hertha Walcher sagte im Dezember 1990 der Brecht-Biograf Werner Mittenzwei, von Hertha Walcher könne man lernen, wie man mit Niederlagen umgeht. Für Regina Scheer war das Anlass genug für ihre spannende Arbeit, die ein vergessenes Stück deutscher Geschichte beleuchtet: „Ich finde, das ist auch ein Vermächtnis, das man weitergeben kann: mit welcher Würde und welch innerer Kraft sie ihr Leben gelebt hat, mit all diesen Enttäuschungen und Niederlagen."

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Cover des Buches "Bittere Brunnen" von Regina Scheer

Regina Scheers Buch "Bittere Brunnen. Hertha Gordon-Walcher und der Traum von der Revolution" ist bei Penguin erschienen. Die Biographie ist nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch.

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