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re:publica 2018

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re:publica 2018: Dualität aufgeben

Hier die virtuelle Welt, dort die Realität - so einfach war das 2007, bei der ersten re:publica. 2018 diskutiert die digitale Gesellschaft auf Europas größter Digitalkonferenz, inwiefern beide Welten noch zu trennen sind. Von Christian Schiffer

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Schon seit Platons Höhlengleichnis wissen wir: Es gibt die echte Welt, die reale Welt mit echter Sonne und echten Bäumen, und dann gibt es die virtuelle Welt, in der man nur Schatten sieht. Seit Jahrzehnten wird über Eskapismus gestritten, egal ob es um lesesüchtige Frauen im 18. Jahrhundert geht oder um computersüchtige Kids im 21. Auch auf der re:publica, Europas größter Konferenz für Internet und Technologie, wird über das Thema Eskapismus diskutiert.

"You know, I know this steak doesn't exist. I know that when I put it in my mouth; the Matrix is telling my brain that it is juicy and delicious. After nine years, you know what I realize? 'Ignorance is bliss." (Ausschnitt Matrix)

"Unwissenheit" ist ein Segen, das sagt der Bösewicht Cypher aus dem Film Matrix. Sein Argument: Letztlich ist es doch egal, ob das saftige Steak nun virtuell ist oder nicht; wenn es schmeckt, dann schmeckt es halt. In Matrix hängen die Menschen im Real Life in großen Tanks, während ihnen eine Computersimulation eine reale Welt vorgaukelt: unsere Welt, mit belebten Städten, wärmender Sonne und eben saftigen Steaks.

Die virtuelle Welt als Ergänzung zu unserem Leben

Matrix ist eine düstere Science Fiction-Dystopie, in der die "echte" Welt als die erstrebenswerte gilt. Für sie kämpfen der Held Neo und seine Mitstreiter und das, obwohl es in der "echten" Welt nur pampigen Napffraß gibt statt saftige Steaks. Hier die virtuelle Welt, dort die reale Realität - mit diesem Gegensatz setzt sich auch die diesjährige re:publica auseinander. Insbesondere Lucas Caracciolo, Chefredakteur des Techmagazin t3n und Experte für Virtual Reality, kann mit diesem Gegensatz jedoch nichts mehr anfangen: "Wir müssen aufhören, das als zweite künstliche Realität zu denken. Virtuelle Erfahrungen sind genauso Teil unserer Wirklichkeit wie materielle Erfahrungen. Wir müssen das grundsätzlich neu denken. Um damit später produktiv arbeiten zu können, müssen wir diese Dualität aufgeben. Und wenn wir das einmal geschafft haben, dann sehen wir - also ich seh das immer - als Ergänzung zu unserm Leben."

Permanentes Netz

"Leben im Netz", so lautete das Motto der ersten re:publica im Jahr 2007, ein Motto, das heute gar keinen Sinn mehr ergeben würde. Denn niemand lebt mehr im Netz, denn das Netz ist nicht mehr etwas, in das man hineingeht oder sich einloggt, so wie damals Boris Becker in der berühmten "Drin? Ich bin ja schon drin"-AOL-Werbung. Stattdessen haben wir das Netz immer dabei. Es umgibt uns permanent, es ist eben genau das: eine Ergänzung zu unserem Leben - egal, ob wir auf dem Tablet Bücher lesen, auf dem Fernseher Netflix schauen oder per Smartphone nach dem Weg suchen. Die Unterscheidung on- und offline hat sich längst erledigt. Doch gilt dasselbe auch irgendwann für virtuell und real, so wie Luca Caracciolo das sieht? Auf der re:publica trifft man auch Skeptiker dieser Haltung, etwa den bekannten Netzexperten und Kulturwissenschaftler Michael Seemann: "Bei uns in Social Media ist es ja so, dass diese Netzwerke, die ich auf Facebook oder auf Twitter habe, mit denen, die ich real habe, nicht komplett getrennt sind, sondern sich krass überlappen. Und das ist eben nicht der Fall bei anderen eskapistischeren Möglichkeiten, die eine eigenständige Welt aufbauen wollen."

Eskapismus in der Virtualität

Damals als das Motto der Konferenz lautete "Leben im Netz" war das Internet eine Verlängerung des realen Lebens in der Kohlenstoffwelt. Beim Eskapismus geht es allerdings ja gerade darum, Urlaub zu machen von der echten Welt oder in der Virtualität Dinge zu tun, die man in der realen Welt nicht mehr tun kann. In der Folge "San Junipero", der gefeierten Science Fiction-Serie "Black Mirror", werden alte Menschen, die in der echten Welt ans Bett gefesselt sind, in eine Simulation versetzt und können sich dort wieder jung fühlen, tanzen, trinken und vor allem: lieben.

Auch Ready Player One, der aktuelle Streifen von Steven Spielberg zeichnet ein eher positives Bild der virtuellen Realität. Zumindest die Popkultur scheint langsam, über 20 Jahre nach Matrix, ihren Frieden mit der virtuellen Realität gemacht zu haben und das freut auch den Geschäftsführer der re:publica, Andrea Gebhard, denn wer weiß, vielleicht essen ja auch wir irgendwann mal virtuelle Steaks: "Klar ist, dass seit sich über 60 Jahren die Rechenleistung der Computer alle 18 Monate verdoppelt und so ist es nicht abwegig, dass wir immer mehr in der virtuellen Realität leben."