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Buchcover Nell Zink - "Nikotin"

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Rauchen als Rebellion: Nell Zink und ihr neuer Roman "Nikotin"

Nell Zink, US-Amerikanerin mit Wohnsitz in Brandenburg, hat einen speziellen Sinn für die Widersprüche der Spätmoderne. Ihr neuer Roman erzählt von einem besetzten Haus in Jersey City. Ein schräges Sittenbild der Gegenwart. Von Beate Meierfrankenfeld

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Hauptfigur des Romans ist Penny, Tochter eines "Schamanisten", der einmal Jude war, und einer Mutter aus dem kolumbianischen Volk der Kogi. Nach knappen Skizzen zur Vorgeschichte folgt auf 50 Seiten die eindrückliche Schilderung des Sterbens von Pennys Vater. Zu seinem Erbe gehört sein Elternhaus in Jersey City. Hausbesetzer haben sich dort eingerichtet und ihm einen Namen gegeben: "Nicotine". Pennys renditeversessener Halbbruder Matt will es am liebsten zwangsräumen lassen, und Penny, die gerade weder Wohnung noch Job hat, wird von ihrer Familie abgeordnet, sich die Lage anzusehen.

"Für die Aussteiger, um die es geht in diesem Buch, in 'Nikotin', spielt es eine große Rolle, dass sie umgeben sind von der Zivilisation. Dass sie einfach ein bisschen abgreifen können, die Krümel, die vom Tisch fallen, davon wollen sie leben. Das ist etwas ganz anderes als aufs Land zu ziehen und dort Ackerbau zu betreiben, um sich so selbständig zu machen. Die wollen eine Art Selbstständigkeit, die wirklich bewusst parasitär ist, weil sie eben eigentlich meinen, dass die Wirtschaft genug abwirft für alle, also muss man sich hinstellen, Hände aufmachen, Mund aufmachen und warten, bis was runterfällt." Nell Zink

Der Mensch als Körperwesen

Nell Zinks Roman bezieht viel von seinem subversivem Pathos daraus, dass der Mensch hier ein sehr physisches Wesen ist: Er braucht ein Dach über dem Kopf, seine Aufmerksamkeit kreist um Sex, er muss essen und er weiß, dass er sterben wird.

"Nikotin" ist eine Art schräges Sittenbild der unmittelbaren Gegenwart. Zinks Figuren sind zu unberechenbar, um Typen zu sein - und dass sie verschiedene Gender-Identitäten erproben und hybride kulturelle Hintergründe haben, ist keine Botschaft, sondern schlicht ihre Realität. Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren und aufgewachsen im ländlichen Virginia, lebt heute in der brandenburgischen Provinz. Als Autorin debütierte sie erst mit 50 Jahren mit dem Roman "Der Mauerläufer" - ermutigt von keinem Geringeren als Jonathan Franzen. Mit ihm hatte sie über das gemeinsame Interesse an der Vogelkunde Kontakt aufgenommen.

"Er hat immer wieder Komplimente an meinen Schreibstil gemacht per E-Mail, und mich ein paar Mal gefragt, unter welchem Namen ich wohl schreibe, damit er meine Bücher lesen kann. Und ich habe antwortet: Ich hab keine Bücher, ich veröffentliche nichts. Dann hat er mich ermutigt, und daraufhin habe ich den ‚Mauerläufer‘ geschrieben für Franzen, ganz schnell, und einfach an ihn geschickt. Diese Freundschaft mit Franzen, das geht schon seit Jahren, und er ist ein sehr emotionaler Mensch, sehr reizbar, sehr stolz und großzügig. Ohne ihn hätte es mich als Schriftstellerin, als Profi nicht gegeben." Nell Zink

Mischung aus Satire und Existenzialismus

Der Stil, der Jonathan Franzen bei Nell Zink so beeindruckt hat, unterscheidet sich allerdings deutlich von seinem eigenen, fein ziselierten Psychologisieren: Zink schreibt kristallin und schlackenlos – und in einer speziellen Mischung aus Satire und Existenzialismus. Die Autorin hat ein feines Gespür für Pointen und die Widersprüche der Spätmoderne, doch ihre Ironie ist nicht von der Sorte, die sich das, wovon

da die Rede ist, vom Leibe halten will. Im Gegenteil: Sie sieht genau hin – auch auf die Kehrseite der Komik, auf Schmerz und Verlorenheit. Man mag sich manchmal mehr sprachliches Experiment wünschen, bekommt mit „Nikotin“ aber einen rasanten, anarchischen, sehr heutigen Roman. Und der ist unbedingt lesenswert.