Bildrechte: Jean-Marc Turmes/Theater Ulm

Motezuma in Aktion

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Randale in der UNO: Vivaldis Azteken-Drama "Motezuma" in Ulm

Die Vernissage im Madrider Prado-Museum kann so wenig vermitteln wie ein Sondergipfel bei den Vereinten Nationen: Der indigene Azteken-Häuptling Mo(n)tezuma bleibt gefährlich. Vivaldis Oper als feine Kolonial-Satire. Nachtkritik von Peter Jungblut.

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In der UNO ist der Teufel los: Gerade noch stellten sich die Diplomaten zum Gruppenfoto, soeben wurde in die Kameras gelächelt, da fallen die Regierungsvertreter auch schon übereinander her. Eine Redeschlacht, ein schneller Druck auf den roten Knopf, und die ganze Welt fliegt in die Luft. Die Tagung zu den Menschenrechten von indigenen Völkern, also Ureinwohnern in aller Welt, verläuft also nicht ganz so harmonisch wie geplant. Regisseurin Antje Schupp zeigt Antonio Vivaldis erst 2002 wieder entdeckte Oper über den Azteken-Häuptling „Motezuma“ (1733, italienisch für „Montezuma“) am Theater Ulm somit als hoch aktuelle Auseinandersetzung über Kolonialismus und den Krieg der Kulturen.

Eroberer Cortés ist ein Weichei

Das Überraschende dabei: Diese Inszenierung ist kein dröges Seminar über die brutalen spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert und die vermeintlich naturverbundenen, edlen Indianer. Vielmehr sind in diesem Fall beide Seiten gleichermaßen herrschsüchtig, intrigant, hinterhältig. Sehr unterhaltsam und mit viel Humor spielt Antje Schupp mit Mittelamerika-Klischees. Da stöckelt Prinzessin Teutile kess und farbenfroh wie auf der Folklore-Show im Strand-Hotel (witzig und "abgebrüht": Helen Willis), da schneidet sich die Azteken-Königin Mitrena (eine großartig robuste First Lady: I Chiao Shih) mal eben ihr Herz aus der Brust, da wedelt Motezuma (gespielt von Martin Gäbler, gesungen vom sehr flexiblen und unerschrockenen Einspringer David Pichlmaier aus Darmstadt) mit seinem Federmantel, da lässt sich der ach so heldenhafte spanische Conquistador Fernando Cortés (köstlich eitel und tollpatschig in ihrer Hosenrolle: Julia Sitkovetsky) aufwändig einen Finger verbinden, an dem er verletzt wurde: Was für ein Weichei!

Wedeln mit der Patchwork-Decke

Der liebeskranke General Ramiro (wunderbar melancholisch und ungelenk: Christianne Bélanger) heftet sich noch schnell seine Orden an, wenn es ernst wird – und tanzt in der UNO prompt eine pompös beleuchtete Disco-Nummer (abwechslungsreiches und augenzwinkernd eingesetztes Licht: Johannes Grebing). Asprano, der Feldherr der Azteken (auch stimmlich mitreißend martialisch: Maria Rosendorfsky) wedelt aggressiv mit seiner Patchwork-Ethno-Decke, als ob er auf Touristen wartet, die ein Einsehen haben. Das alles ist kein Slapstick, kein Klamauk, sondern eine intelligente Satire auf die Lebenslügen der Ersten und der Dritten Welt. Die einen halten sich für überlegen, die anderen gehen ganz in ihrer Opferrolle auf, so ist keine sinnvolle Kommunikation möglich.

Prado-Vernissage gerät aus den Fugen

Ausstatterin Mona Hapke hatte einen Schauraum des Madrider Prado-Museums entworfen. Eine Vernissage mit Sekt und Häppchen, die Ausstellung über den Untergang des mexikanischen Aztekenreichs wird eröffnet. Leicht gelangweilte Besucher schlendern herum, die Azteken sind als lebende Schauobjekte auf Podesten in Szene gesetzt. Doch schnell gerät der Rundgang aus den Fugen, treten Soldaten auf, werden die kostenbaren Exponate zerdeppert und ein massives Goldkreuz an die Stelle des Idols gesetzt. Was bleibt, ist Unverständnis – so kommen sich Cortés und Motezuma jedenfalls nicht näher.

Bundesgerichtshof urteilte über Vivaldi

Wie Vivaldis dreistündige Oper wieder aufgefunden wurde, ist ein Krimi für sich: Der Musikwissenschaftler Stephen Voss erstöberte einen Teil der verschollenen Partitur im Archiv der Singakademie in Berlin. Das Material hatte jahrelang in Kiew gelegen. Als der Wert von „Motezuma“ erkannt war, folgte ein spektakuläres Gerichtsverfahren, das entscheiden sollte, wer das Werk erstmals wieder aufführen durfte. Der Bundesgerichtshof urteilte 2009, die Urheberrechte Vivaldis seien definitiv abgelaufen, so dass die Premiere einer restaurierten und ergänzten Fassung in Düsseldorf stattfinden konnte. Gut, dass das Theater Ulm bei so viel Brimborium nicht allzu respektvoll und devot mit dem Werk umgegangen ist, sondern zupackend, aktuell, politisch und ironisch.

Lohnende Opern-Archäologie

Dirigent Michael Weiger hatte mit den Ulmer Philharmonikern anfangs arge Koordinationsprobleme. Da wackelte es schauerlich, auch die Bläser mussten sich erst mal eine ganze Weile warm spielen. Dann jedoch swingte es im bekannten, immer eleganten Vivaldi-Stil, der nie hysterisch wird oder aberwitzig, sondern stets zivilisiert, gediegen, wohl temperiert bleibt. Mag sein, dass die für die Barockoper so typischen Affekte hier musikalisch etwas gedämpft rüber kommen – die Sänger wippten den Rhythmus der Kollegen unwillkürlich mit, so sehr geht Vivaldi ins Blut. Eine in jeder Hinsicht lohnende Opern-Archäologie! Und das Angenehme daran: Katholiken müssen davor nicht mehr gewarnt werden, wie noch zu Vivaldis Zeiten. 

Wieder am 31. März, sowie 6. und 13. April, weitere Termine.