Till Lindemann beim Rammstein-Konzert in Odense 2023
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Till Lindemann beim Rammstein-Konzert in Odense 2023

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Rammstein-Vorwürfe: Wie man sich bei Konzerten schützen kann

"Casting" für den Sex mit Till Lindemann: Was viele Frauen über die Aftershow-Partys bei Rammstein-Konzerten berichten, schockiert. Ein besserer Schutz insbesondere für Frauen auf Konzerten oder Partys wird gefordert. Welche Möglichkeiten es gibt.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wegen der fast täglich wachsenden Anschuldigungen zu sexuellen Übergriffen durch Rammstein-Frontsänger Till Lindemann, werden die ersten Forderungen laut, die Konzerte abzusagen. Doch eine Absage ist, zumal es sich um nicht bewiesene Verdachtsfälle und eine nur vermutete Gewaltbereitschaft handelt, nach Auskunft des Kreisverwaltungsreferats München zur Zeit "rechtlich nicht zulässig".

Von Mittwoch bis Sonntag sind in München insgesamt vier Konzerte der Band geplant. Deswegen hatten Die Grünen und Rosa Liste zusammen mit den Linken und der ÖDP einen Antrag auf zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen gestellt, die CSU und SPD allerdings ablehnten, weil die Zuständigkeit hier beim Olympiapark und den Veranstaltern liege, nicht beim Münchner Stadtrat.

Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) versichert in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem BR, dass es die aktuellen Anschuldigungen gegen die Band Rammstein "sehr ernst nehme und alle rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreife, um die Sicherheit der Konzertbesucher*innen sicherzustellen."

So werde das KVR den Aufenthalt von Konzertbesucherinnen in einer sogenannten Row Zero verbieten, was bereits zur Einhaltung der notwendigen Sicherheitsabstände für feuergefährliche Handlungen und pyrotechnische Effekte notwendig sei.

Awareness-Teams werden eingesetzt

Die Frage, wie man Frauen vor sexuellen oder gewaltfreien Übergriffen bei Partys und Konzerten besser schützen kann, ist damit dennoch nicht vom Tisch. Denn die Vorwürfe zu Rammstein sind kein Einzelfall. Club-Betreibende und Festivalveranstalterinnen und -veranstalter haben das Problem erkannt und gehen es an.

Immer mehr Veranstalter engagieren, damit alle ungestört feiern können, geschulte Awareness-Teams, die diejenigen unterstützen, die von Übergriffen betroffen sind. "Awareness" kommt aus dem Englischen und bedeutet Bewusstsein, es heißt, sensibilisiert, ansprechbar zu sein.

Für das PULS Open Air 2023 auf Schloss Kaltenberg wurde zum Beispiel ein sechsköpfiges Awareness-Team aufgestellt und einen ausführlichen Handlungsleitfaden erstellt.

Wie die Awareness-Teams helfen können

Anders als die Security steht das Awareness-Team zum Beispiel an der Bar, geht herum, mischt sich unter die Feiernden – wobei die Teammitglieder in der Regel nicht uniformiert sind, sondern an T-Shirts, Warnwesten oder Funkgeräten von erkannt werden können.

Die Betroffenen haben – das gehört zum Konzept dieser Unterstützung und bedeutet die betonte Umkehr der Machtverhältnisse von Tätern und Opfern – die Definitionsmacht über das, was passiert ist. PULS formuliert etwa in seinem Leitfaden: Das Awareness-Team sorgt im Konfliktfall für eine "betroffenenorientierte, machtkritische und vorurteilsfreie Haltung".

Das Awareness-Team ist dazu da, ansprechbar zu sein, die Betroffenen zu unterstützen und stimmt sich in Konfliktfällen mit dem Sicherheits- und Ordnungspersonal ab. Es soll den Betroffenen zuhören, ihre Nöte ernst nehmen und ihnen zum Beispiel Zugang zu Schutzräumen verschaffen, in denen sie vor verbalen oder körperlichen Übergriffen sicher sind.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Till Lindemann, den verstärkten Einsatz solcher Awareness-Teams bei Konzerten gefordert. "Gerade junge Menschen müssen hier vor Übergriffen besser geschützt werden", sagte Paus der Nachrichtenagentur AFP in Berlin. Auch die Veranstalter in München haben inzwischen die Einsetzung eines Awareness-Teams angekündigt.

Dennoch bleibt der Schock, den die Veröffentlichungen, insbesondere das Video der Influencerin Kayla Shyx, zu den Rammstein-Partys ausgelöst haben groß. Darin schilder sie, wie sie selbst bei einem Rammstein-Konzert 2022 für die "Row Zero" "gecastet" wurde. Auch Shyx sagt: "Das ist nicht normal. Von sowas geht man nicht aus." Gleichzeitig geben Berichte wie diese aber auch Aufschluss dazu, wie Frauen sich selbst schützen können:

Handylinse mit Sticker überkleben

Diese Faustregel kann aus dem Bericht von Shyx gezogen werden, nachdem sie beim Eintritt in die After-Show-Party ihr Handy abgeben musste. Für ein striktes Handy-Verbot gibt es keinen Grund. Klar, viele Clubbesitzer und Veranstalter wissen, dass jede Partystimmung verfliegt, wenn die Anwesenden in ihrem digitalen Tunnel versinken oder ihre tanzenden Mitmenschen mit blitzenden Schnappschüssen traktieren.

Aber die Kameralinse lässt sich – wie etwa in Berlins Techno-Club "Berghain" lange Usus – einfach zukleben. Der Sticker kann dann zur Not entfernt werden, falls die versprochene große Party unerwartet zu einer arrangierten "Privatparty" mit einem Mann würde. Und Handyaufnahmen können dann wichtiges Beweismaterial liefern.

Nicht isolieren lassen

Bei Shyx kamen die ersten Zweifel, dass irgendetwas nicht stimmen kann, als sie mit ihrer Freundin und weiteren Frauen aus dem allgemeinen Partybetrieb rausgeführt wurde. Zunächst hatte sie das Gefühl, wie sie berichtet, inmitten der Party mit vielen Promis sicher zu sein. Das änderte sich aber als Security-Leute sie mit anderen in einen Flur brachten. Daraus wird klar, dass man sich möglichst nicht von der großen Party isolieren lassen sollte.

Stimmung im Raum beobachten

Auch weil Shyx sich verantwortlich fühlte für ihre jüngere Freundin, mit der sie zu der Party gegangen war, habe sie - wie sie berichtet - aufmerksam die Stimmung im Raum und bei den anderen Frauen betrachtet und schließlich bemerkt, dass sie besser die Party verlassen sollten. Das bedeutet, die Atmosphäre sollte beobachtet werden: Herrscht feierliche, ausgelassene Stimmung im Raum, oder sind schon viele Gäste sehr betrunken oder machen gar einen verstörten Eindruck?

Tests gegen K.-o.-Tropfen

Das Muster vieler Frauen, die von Übergriffen auf den Partys von Till Lindemann berichten, ist, dass sie beim Zusichkommen Erinnerungslücken, Lähmungserscheinungen und extremes Unwohlsein hatten, die allein anhand der Menge des Alkohols nicht zu erklären sind. Der Verdacht steht im Raum, dass ihren Drinks betäubende Substanzen beigemischt waren, sogenannte "K.o.-Tropfen", zum Beispiel GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure), auch "Liquid Ecstasy" genannt.

Grundsätzlich ist es in unbekannteren Kontexten gut, sein Glas immer im Auge zu behalten. Wenn das nicht geht, etwa weil schon fertige Drinks serviert werden, kann man den Drink auch testen: Es gibt in vielen Drogeriemärkten Armbänder-oder Strohhalm-Tests, die wie Schwangerschaftstests funktionieren: Träufelt man etwas von dem Drink auf das Armband oder den Strohhalm, verfärben sie sich, wenn das Getränk mit GHB versetzt ist.

Trotzdem ist Vorsicht geboten: Die Tests reagieren auf GHB, aber nicht auf alle "gebräuchlichen" betäubende Substanzen. Im Zweifelsfall den Drink einfach stehen lassen.

Über schlimme Erfahrungen offen berichten

"Sie wussten nicht, worauf sie sich einließen", sagt Shyx. Die Frauen – meist junge Rammstein-Fans – hätten eine große Party erwartet und sich als "Teil einer Orgie" wiedergefunden. Wer es wie Shelby Linn oder Kayla Shyx schafft, seine Angst zu überwinden und trotz Einschüchterungsversuchen von Managern oder gar Tätern über die eigenen negativen Erfahrungen spricht, hilft allen potenziellen künftigen Opfern.

Für den Notfall

Diese Anlaufstellen sind rund um die Uhr erreichbar:

  • Hilfetelefon sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530
  • Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 0800 116 016
  • Heimwegtelefon: 030 120 74 182 (kostenlos, man gibt den aktuellen Standort und das Ziel an, im Notfall wird die Polizei gerufen)

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