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"Romeo und Julia" in der Regie von Pinar Karabulut (Festival "radikal jung")

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"radikal jung": Starker Auftakt des Münchner Theaterfestivals

"radikal jung": Starker Auftakt des Münchner Theaterfestivals

Romeo und Julia als Terroristen der Liebe, eine bayerische Familiengeschichte mit schwarzen Darstellern: "radikal jung" am Münchner Volkstheater fordert den gewohnten Blick heraus. Es sind echte Theaterentdeckungen zu machen. Von Stephanie Metzger

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Für mich sind das eigentlich zwei Terroristen. Und der Terror, den sie wählen, das ist halt nicht, dass sie Bombenlegen, sondern dass sie für ihre eigene Liebe kämpfen und ihren Emotionen folgen." So beschreibt Regisseurin Pınar Karabulut die Helden ihrer Inszenierung: Liebesterroristen sind Romeo und Julia bei ihr. Oder: radikal und jung, ganz und gar passend zum Festival am Münchner Volkstheater, das mit dem Klassiker der Klassiker an diesem Wochenende startete. Radikal in der Liebe und terroristisch gegen soziale Grenzen wird in der Kölner Aufführung denn auch die Todesmotivik zum dritten Protagonisten neben Romeo und Julia.

Kein Programm der Klassiker

Deren erster Kuss ist der Kuss zweier aufgeschminkter Totenmasken mitten im Treiben einer hedonistischen Technoparty. Im kalten, wandelbaren, alle von allen trennenden Labyrinth aus plexigläsernen Drehtüren tanzt, irrt und kämpft das gesamte Figurenpersonal, emotional zerrissen zwischen todessüchtiger Depression, stotternder Deformation und trotziger Liebeslust. Eine energetische Mischung aus kraftvoller Choreografie, verspielten Musikreferenzen, warm leuchtenden Videos, in einer modernisierenden Übersetzung von Gesine Danckwart. Die aber leider auch die psychologische Feinzeichnung aus dem Blick verliert: Liebeslust und Liebesleid drohen deshalb für den Zuschauer genauso am Plexiglas der Bühne abzuprallen, wie die Figuren selbst.

Neue Theaterformate

Überraschend Julias Absage an den Selbstmord am Schluss, das eigentlich Radikale in einer Aufführung, die als Klassiker auf der Bühne beinahe der Sonderfall im Festivalprogramm ist. Mit sechs Stückentwicklungen, vier Romanadaptionen und nur zwei Inszenierungen von Theatertexten spiegelt "radikal jung" eine markante Tendenz bei den jungen Theatermachern, die Kilian Engels mit seinen Co-Juroren in der vergangenen Spielzeit beobachtet hat: "Wir haben plötzlich Regisseurinnen und Regisseure, die mit auf der Bühne sind. Die sind anwesend, sind Autoren. Und dann haben wir auch jemanden wie Marie Rosa Tietjen, die den allermeisten bekannt ist als Schauspielerin und jetzt Regie führt mit einer Kollegin, also mit einer Schauspielerkollegin vom Thalia Theater Hamburg. Wenn man so will, gibt es einige Rollentausche in dieser Festivalwoche."

Wahrnehmungsexperiment auf der Bühne

Den einen Autor oder die eine Regisseurin findet sich immer seltener. Fachgebiete verschwimmen, Genregrenzen genauso. Äußerst unscharf wird in einigen Projekten auch die Trennung zwischen privat und öffentlich. Und dass das Private immer auch politisch ist, war nicht zuletzt Ausgangsimpuls von "Mittelreich". Regisseurin Anta Helena Recke inszeniert eine schon bestehende Inszenierung der Münchner Kammerspiele von Sepp Bierbichlers "Mittelreich" als Eins-zu-eins-Kopie. Einziger Unterschied: die Besetzung mit schwarzen Schauspielern. Erzürnt von einem strukturellen, selbsterfahrenen Rassismus im deutschen Theater nimmt die afrodeutsche Regisseurin Anta Helena Recke ihr künstlerisches Ego völlig zurück für ein so einfaches wie schillerndes Wahrnehmungsexperiment. Das kann man als bayerische und zugleich universelle Erzählung über Familie, Krieg und Heimat rezipieren, aber immer eben auch als konzeptkünstlerische Sehschule zu kulturellen Zuschreibungen: "Mittelreich" provoziert die Befragung von Klischees, Stereotypen und künstlerischer Originalität, ohne dabei die melancholische Poesie der Ursprungsinszenierung zu verlieren.

Sicher ist nur, dass nichts sicher ist

Eine poetisch-philosophische Einladung ist auch "Alles, was ich nicht erinnere", inszeniert von Charlotte Sprenger. Rund um ein riesiges Herz sammelt sich in einem surreal-roten Raum eine Gruppe äußerst unzuverlässiger Erzähler, um die Motive für den Selbstmord ihres Freundes Samuel zu ergründen. Sicher ist am Ende nur, dass nichts sicher ist, am allerwenigsten Erinnerung. Am ehesten vielleicht noch die Aufgabe, unermüdlich Fragen zu stellen. Weshalb man sich getrost und voller Neugier die kommenden Aufführungen bei "radikal jung" ansehen sollte. Denn die künstlerischen Antworten, die bereits zu sehen waren, machen Lust auf mehr.