Ein Imam hält einen Koran vor eine Regenbogenflagge.
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Ein Imam hält einen Koran vor eine Regenbogenflagge.

    Queer und muslimisch: Wie ist die Akzeptanz in den Moscheen?

    Viele Religionen tun sich schwer mit Queerness, Homosexualität und Transidentitäten. So auch der Islam. Queere gläubige Musliminnen und Muslime bringt das in schwere Seelennöte. Wie reagieren die muslimischen Communities darauf?

    Ein Foto auf Ademir Karamehmedovics Instagramkanal sticht heraus. Weil es besonders bunt ist, weil er besonders strahlt, und weil er besonders gerne davon erzählt. Auf dem Bild trägt Karamehmedovic ein bauchfreies T-Shirt, einen Mund-Nasen-Schutz in Regenbogenfarben - und ein Schild: "Da stand 'Allah loves Equality' und ganz viele junge Menschen, die ich jetzt mal muslimisch lesen würde, waren sehr, sehr ergriffen von diesem Statement, weil sie gesagt haben 'Oh, da sind meine beiden Identitäten zusammengebracht'", erzählt Karamehmedovic.

    Queer und muslimisch. Manchen Musliminnen und Muslimen fällt es schwerer, diese beiden Identitäten zusammenzubringen. So wie Sahra Jiran: "Es ist immer wieder ein extremes Schamgefühl, obwohl ich weiß, es ist voll richtig so, ist es eine extreme Kontroverse, die ich jeden Tag mit mir herumtrage", sagt die lesbische Muslimin aus München. Sie trägt ihre braunen Locken offen und lacht oft. Jiran ist nicht ihr echter Name, sie möchte anonym sprechen. Obwohl sie in ihrem Heimatland, in dem Homosexualität die Todesstrafe bedeuten kann, heimlich Frauen gedatet habe, habe sie ihre Sexualität lange nicht wirklich zulassen können - auch später in Deutschland nicht.

    "Ich bin dann nach Deutschland gekommen und dachte mir Okay, das ist jetzt ein Neuanfang, ich fange jetzt ein Studium an und ich will das alles richtig machen. Deswegen will ich die Queerness so schön in eine Schublade packen und damit nichts zu tun haben. Und ich werde mein Leben jetzt einfach so leben, wie wie es sich gehört." Sahra Jiran

    In vielen muslimischen Communities in Deutschland ist Queerness noch immer ein Tabuthema. Das weiß auch der Münchner Imam Ahmad Schekeb Popal. Er ist einer der wenigen Imame in Bayern, der offen über das Thema Queerness im Islam redet. "Die Vorbehalte", sagt er, "sind groß, die Ängste sind groß und die Unwissenheit ist am allergrößten. Und gerade deshalb kommt es zu diesen Konflikten."

    Sodom und Gomorrha

    Im Koran gibt es keine Stelle, die Queerness explizit verbietet. Die gängigen muslimischen Rechtsschulen aber lesen bis heute aus der Geschichte über Sodom und Gomorrha heraus, dass Homosexualität verboten sei. Modernere Lesarten des Korans sind der Meinung: Das, was in der Geschichte von Sodom und Gomorrha verurteilt wird, ist sexualisierte Gewalt - nicht Homosexualität. Eine Debatte darüber beginnt nur langsam. Viele queere Musliminnen und Muslime schieben daher ihre sexuelle Orientierung oder Identität von sich weg - bis es nicht mehr geht.

    "Den Konflikten begegne ich jeden Tag. Über die sozialen Netzwerke, wenn ich angerufen werde, wenn Leute mich anschreiben und mir sagen, ich habe diese Sorgen und diese Leute sind fast am Rande des Suizids." Imam Ahmad Schekeb Popal

    Auch Sahra Jiran hadert mit ihrer Sexualität – unter anderem, weil sie nicht weiß, wie ihre muslimischen Freunde oder ihre Eltern reagieren würden. Es war "ein Riesenthema in mir drin", sagt sie, nicht mal ihre besten Freunde hätten davon gewusst. Nach vier, fünf Jahren, erzählt sie, ging es ihr "irgendwie mental einfach unfassbar schlecht".

    Jiran sucht sich schließlich Hilfe bei LeTra, einer Münchner Initiative für lesbische Mädchen und Frauen. Dort spricht sie das erste Mal darüber, dass sie lesbisch ist und erfährt eine große Offenheit: "Das war einfach unglaublich." Gleichzeitig hatte sie eine unfassbare Angst, dorthin zu gehen, erzählt sie: "Weil ich immer dachte 'wie soll ich nachher vor Gott stehen?'"

    Alkohol ist im Islam auch verboten

    Imam Ahmad Schekeb Popal bewertet Homo- und Transsexualität theologisch als eine Sünde. Gleichzeitig will er queere Gläubige nicht aus den Gemeinden ausschließen. Alkohol sei für Muslime auch verboten, meint Imam Popal. Wenn einer trotzdem welchen trinkt, würde keiner sagen, das ist kein Muslim. Gleiches gelte für das Kopftuch. Nach der konservativen Lesart des Islam müssen Frauen ein Kopftuch tragen, aber wenn sie das nicht täten, spreche ihr keiner den Islam ab.

    "Wenn ein Mensch einen Fehler tut, eine Sünde tut, dann gilt das, was auch in der Bibel steht: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein." Imam Ahmad Schekeb Popal

    Zentralrat der Muslime gegen Diskriminierung

    Ähnlich argumentiert der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Er spricht sich zwar gegen die Diskriminierung queerer Menschen aus. Gleichzeitig aber nennt er Homosexualität ein "Vergehen", dessen Konsequenzen eine Sache zwischen Mensch und Gott seien. Queere Musliminnen und Muslime bleiben also mit ihren Schuldgefühlen allein. Als Sahra Jiran anfängt, ihr Queer-Sein wieder zuzulassen, führen diese Schuldgefühle dazu, dass sie ihren Glauben nicht mehr praktizieren kann.

    Sie hatte ihren Gebetsteppich ausgerollt, sich hingesetzt und sich gesagt: "ich kriege das hin, ich bete." Doch dann überwältigte sie eine große Scham: "Ich hatte so krasse innerliche Konflikte, dass ich gar nicht beten konnte", erzählt Jiran. "Es hat wirklich was mit meiner Seele gemacht, mich wirklich fertig gemacht."

    Initiativen für queere muslimische Menschen

    Um in den Austausch zu gehen, gründet Jiran eine Selbsthilfegruppe für lesbische Musliminnen. Zwar sei am Anfang viel Nachfrage da gewesen, doch es sei nicht einfach gewesen, allen unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden, sagt sie. Deswegen löst sich die Gruppe kurz nach ihrer Gründung wieder auf. Dieselben Probleme haben auch eine Münchner Selbsthilfegruppe für schwule Muslime zu Fall gebracht.

    Ademir Karamehmedovic glaubt: Damit solche Initiativen funktionieren, braucht es Dialog. Anfang 2020 hat er das Netzwerk q*wir gegründet, das zur Jungen Islamkonferenz gehört. Damit will er queere Musliminnen und Muslime in ganz Deutschland erreichen - nicht nur in Berlin, wo er wohnt. Dort gibt es bereits mehrere Initiativen für queere und muslimische Menschen. Es gibt zwei offen schwul lebende Imame. Es gibt eine Moschee, die explizit queere Gläubige einlädt.

    Gott wieder näher fühlen

    Sahra Jiran würde sich freuen, wenn es bald auch in München so wäre - und sie sich ihrem Gott wieder näher fühlen könnte: "Ich versuche jetzt, mich ein bisschen zurück zu arbeiten." Im Moment fühle es sich für sie so an, als ob sie ihren besten Freund verloren hätte: "Ich versuche gerade, ihn wieder zurückzugewinnen."

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