Der Präsident bei einer Veranstaltung mit Jungunternehmern
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Wladimir Putin in St. Petersburg

    Putin vergleicht sich mit Zar Peter: "Hat sich nichts geändert"

    Russland nimmt sich nur, was ihm zusteht, so der russische Präsident. Das habe auch schon Peter der Große im Kampf gegen die Schweden so gehalten - und dabei die Meinung des Auslands ignoriert. Eine aufsehenerregende und skurrile "Geschichtsstunde".

    Putins Leidenschaft für die jüngere und ältere russische Geschichte ist hinreichend belegt, viele Besucher zeigten sich genervt von seinen stundenlangen Exkursen in die Vergangenheit. Jetzt sorgte der Präsident bei einem Besuch in St. Petersburg zum 350. Geburtstag von Peter dem Großen für Aufsehen. Gut gelaunt verglich er sich vor Jungunternehmern direkt mit dem umstrittenen Zaren (1672 - 1725). "Es hat sich fast nichts geändert", so Putin nach dem Besuch einer historischen Multimedia-Schau: "Erstaunlich. Irgendwie kommt man zu dieser Erkenntnis, zu diesem Fazit. Damals kämpfte Peter I. 21 Jahre lang im Nordischen Krieg. Es scheint, dass er mit Schweden gefochten hat, ihnen etwas geraubt hat. Er hat nichts geraubt, er hat es sich zurückgeholt. So ist das!"

    "Er kehrte zurück und zwar gestärkt"

    Die ganze Gegend um den Ladoga-See, wo 1703 St. Petersburg gegründet wurde, sei damals von keinem europäischen Land als russisch anerkannt worden, so Putin. Alle Staaten hätten die Region den Schweden zugeordnet, obwohl dort "seit jeher" Slawen gesiedelt hätten. Dasselbe habe für die heute estländische Stadt und Festung Narva gegolten, die Peter 1704 nach einer Belagerung erobert habe: "Warum ist er dorthin gegangen? Er kehrte zurück und zwar stärker als je zuvor - das tat er. Anscheinend fiel auch uns das Los zu, zurückzukehren und uns zu stärken." Der regierungsnahen "Iswestija" zufolge soll Putin bei diesen Worten gelacht haben.

    Doch witzig empfindet in Russlands Medien offenbar niemand die jüngsten Äußerungen des Präsidenten, ganz im Gegenteil. Es wird jetzt spekuliert, ob Putins Vergleich mit Zar Peter I. Anwendung auf die ukrainischen Ostgebiete finden wird, also den Donbass, aber auch auf andere Regionen, wie Südossetien im Kaukasus. Wenn sich der Westen im 18. Jahrhundert mit Peters Annexionen abgefunden habe, spekuliert die "Iswestija", werde er sich wohl auch im 21. Jahrhundert mit Gebietsabtretungen arrangieren.

    Zar Peter hatte Verbündete

    Was den "Nordischen Krieg" betrifft, verschwieg Putin übrigens, dass Zar Peter I. keineswegs allein dastand, wie das heutige Russland beim Angriff auf die Ukraine. Vielmehr standen dem umstrittenen Monarchen bei seiner Attacke auf die schwedische Vorherrschaft rund um die Ostsee mehrere Verbündete zur Seite, die allerdings wenig helfen konnten: Dänemark, Preußen, Sachsen, Polen, Hannover und zeitweise auch Großbritannien, das später die Seiten wechselte. Entschieden wurde der langwierige Krieg weniger durch Russlands Überlegenheit als durch die Uneinsichtigkeit und den Größenwahn des schwedischen Königs Karl XII., der schließlich fiel.

    "Entweder ist ein Land souverän oder Kolonie"

    Putin teilte die Welt der Gegenwart in "Kolonien" und "souveräne Staaten". Die Ukraine gehöre zu ersteren und sei "in den vergangenen Jahren nicht in der Lage gewesen, in einem harten Kampf auf der internationalen Bühne zu bestehen". Wörtlich sagte der Präsident: "Die Welt verändert sich, und zwar schnell. Und um irgendeine Art von Führung zu beanspruchen – ich spreche nicht von globaler Führung, aber zumindest in gewissem Sinne – muss natürlich jedes Land, jedes Volk, jede ethnische Gruppe seine Souveränität sicherstellen. Es gibt keine Zwischenformen, keinen Zwischenstaat: Entweder ist ein Land souverän oder eine Kolonie, egal wie die Kolonie genannt wird."

    Er wolle "keine Beispiele nennen, um niemanden zu beleidigen", so Putin: "Aber wenn ein Land oder eine Gruppe von Ländern nicht in der Lage ist, souveräne Entscheidungen zu treffen, ist es schon gewissermaßen eine Kolonie . Und die Kolonie hat immer noch keine historischen Perspektiven, Chancen, in einem so harten geopolitischen Kampf zu überleben." Allerdings ging der Präsident auch mit Russland hart ins Gericht: "Ja, es gab Epochen in der Geschichte unseres Landes, in denen wir uns zurückziehen mussten, aber nur, um unsere Kraft zu sammeln, um voranzukommen, uns zu konzentrieren und voranzukommen."

    Noch keine Entscheidung über Annexionen?

    Er sprach von einer "Konsolidierung der Gesellschaft" als eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für "Entwicklung". Ansonsten werde "alles auseinanderfallen". Was das genau bedeutet, darüber rätseln in Russland nicht Wenige. Einerseits wird gemutmaßt, der Kreml bereite die Annexion des Donbass und der Gegend um die südukrainische Stadt Cherson vor.

    Andererseits sorgte Putins Sprecher Dmitri Peskow kürzlich für Verwirrung, weil er dementierte, das schon eine Entscheidung über die Zugehörigkeit der fraglichen Regionen getroffen sei. Das wurde verschiedentlich als Signal der "Friedenspartei" im Kreml gewertet, wonach Russland bereit sei, bei Verhandlungen mit der Ukraine auch bereits besetzte Gebiete zur Disposition zu stellen.

    Will Russland das "Fenster zum Westen" schließen?

    Wie auch immer: Putin denkt und handelt offenbar in den Kategorien einer Zeit weit vor der Aufklärung und der Nationalstaaten. Ironischer Weise stand Zar Peter I. mit dem Beinamen "der Große" im Ruf, charakterlich und kulturell weniger Russe als Deutscher zu sein, was ihm bei den eigenen Landsleuten viel Misstrauen einbrachte.

    Mit seinem Verständnis von "Zucht und Ordnung" verärgerte er jedenfalls weite Teile der Oberschicht, die weder Bärte, noch altrussische Kleidung tragen durften. Außerdem mussten alle Adeligen Französisch lernen. Peter öffnete nach heutigem Verständnis Russland politisch, wirtschaftlich und kulturell für die westliche Zivilisation - und Putins Sprecher Dmitri Peskow sah sich zum Jubiläum genötigt zu betonen, dass die heutige Regierung nicht vorhabe, "das Fenster wieder zu schließen".

    Putin wird häufig Blut abgenommen

    Immerhin, Putin zeigte sich ebenso wie Peter der Große sehr interessiert an technischen Neuheiten: Ihm werde häufig Blut abgenommen, so der Präsident, der damit wohl unfreiwillig die Spekulationen um seine möglichen Krankheiten befeuert haben dürfte. Er habe gehört, dass diese Arbeit künftig auch Maschinen statt Krankenschwestern erledigen könnten. Die seien "zuverlässiger", könnten Patienten allerdings nicht trösten. So oder so werde er demnächst mit dem Gesundheitsminister darüber sprechen.

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